Berlin – Eine Woche nach dem Treffen ruft Katja Kippings Sprecher an und bittet um Verständnis. Zwar hat die Vorsitzende der Linken 30 Minuten lang kein böses Wort über die Parteifreundin verloren und sich alle Mühe gegeben, mit Distanz auf diese, sich selbst und die Partei zu blicken. Am Ende stehen ein paar harmlose Sätze, die keinerlei Anstoß erregen. Aber beim Autorisieren übt sich Kipping noch einmal in Vorsicht und kassiert auch das Harmlose wieder ein. Sie weiß, sie ahnt, auf jeden Fall befürchtet sie, dass selbst ein Wort, das richtig gemeint war, falsch verstanden werden kann. Und dann gibt es die nächste Explosion.
Es ist der 8. Dezember, Mittagszeit. Eigentlich hat die 39-Jährige einen randvollen Tag. Vormittags hat sie an der Beerdigung des Linken-Politikers Dominic Heilig teilgenommen. Später will sie den Nachtzug nach Zürich besteigen, um an einer Hochzeit teilzunehmen. Dennoch nimmt sich die wegen der Beerdigung schwarz gekleidete Parteichefin Zeit für ein Gespräch und sitzt unterdessen an ihrem Schreibtisch im Karl-Liebknecht-Haus – vor sich eine dieser Assietten aus Aluminium, aus der sie eilig ein Essen zu sich nimmt, das wegen des Reporter-Besuchs langsam kalt wird.
Zwei Frauen – ein Problem
Die, über die sie da sprechen soll, ist keine Geringere als Sahra Wagenknecht. Spätestens seit der letzten Fraktionsklausur in Potsdam sind sich nämlich in der Linken alle einig, dass der Gegensatz zwischen den Frauen das vielleicht zentrale Problem der Partei ist oder – umgekehrt – der Punkt, an dem die Probleme der Partei kulminieren.
Tatsache ist jedenfalls, dass es Katja Kipping und Sahra Wagenknecht miteinander nicht leicht haben. Wenn man das, was man in der Linken so hört, recht versteht, dann verändert sich die Atmosphäre in einem Raum schon in dem Augenblick, in dem die beiden den Raum betreten.
In Potsdam war es ja darum gegangen, dass Kipping und ihr Co-Vorsitzender Bernd Riexinger die Macht Wagenknechts sowie ihres Co-Vorsitzenden Dietmar Bartsch beschneiden wollten. Sie wollten ihnen nahestehende Genossinnen und Genossen in der zweiten Reihe der Fraktion platzieren. Überdies wollten sie für sich selbst ein Mitspracherecht im Fraktionsvorstand und ein Rederecht im Plenum des Parlaments.
Dies wiederum war Reaktion darauf, dass Wagenknecht und Bartsch die Entscheidung über die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl faktisch gegen die eigentlich federführende Parteizentrale durchgesetzt hatten.
Brief über Intrigen und Mobbing
Kurz vor Beginn der Fraktionsklausur ließ Wagenknecht dann einen Brief bekannt machen, in dem sie Kipping und Riexinger dauernde Intrigen vorwirft und Riexinger noch dazu bezichtigt, sie durch permanenten Widerspruch aus der Partei mobben zu wollen. Kipping sei ihrerseits einer Kampagne in der Flüchtlingspolitik schuldig.
Wörtlich heißt es in dem Brief, der eine Rücktrittsdrohung enthält: „Wenn jeder, der die Position ,offene Grenzen für alle Menschen jetzt sofort‘ nicht teilt, sofort unter Generalverdacht gestellt wird, ein Rassist und halber Nazi zu sein, ist eine sachliche Diskussion über eine vernünftige strategische Ausrichtung nicht mehr führbar.“
Folter im Glaskasten
Um die Lage zu entschärfen, zogen sich die Genannten bei der Klausur in ein verglastes Büro zurück, in das Journalisten von außen Einblick nehmen konnten. Die Körpersprache sagte alles. Wagenknecht sah aus, als erleide sie gerade eine Art Folter. Stunden vergingen, bis die Vier ein Kompromisspaket geschnürt hatten, mit dem alle halbwegs leben können.
Das alles war freilich nicht der Anfang der Geschichte. Und es wird auch nicht ihr Ende sein.
Wenn man Kipping nach ihrer ersten Erinnerung an Wagenknecht fragt, erwähnt sie ein Pfingstcamp der Sächsischen PDS-Jugend in den Neunzigern. Kipping war Anfang 20, Wagenknecht knapp zehn Jahre älter. Von Konkurrenz ist seinerzeit noch nicht die Rede. 2003, so Kipping weiter, sei sie stellvertretende PDS-Vorsitzende geworden. Und gemeinsam mit Wagenknecht habe sie als Kontrastprogramm zur Agenda 2010 für eine „Agenda Sozial“ gekämpft. Mitte der Nullerjahre sind die zwei erstmals unterschiedlicher Meinung – und zwar hinsichtlich der Fusion von PDS und WASG zur Linkspartei.
Bartsch hält sich zurück
Mittlerweile sind Kipping und Wagenknecht so oft aneinander geraten, dass an eine Heilung des Zwists kaum mehr zu denken ist. Riexinger und Bartsch hingegen sind eher am Rande beteiligt. Insider sagen, Kipping treibe Riexinger in Auseinandersetzungen hinein. Bereits unmittelbar nach ihrer Wahl Anfang Juni 2012 sagte sie in der Lokhalle von Göttingen zu ihm: „Wir ziehen uns jetzt erst mal zurück, um uns besser kennenzulernen." Ähnliche Sätze sind von der Fraktionsklausur von Potsdam überliefert. „Bernd, wir müssen uns jetzt erstmal verständigen“, sagt Kipping dort nach Ohrenzeugen-Berichten. Bartsch erklärte Anfang des Jahres, als wieder mal dicke Luft herrschte: „Sie werden von mir in keiner Hinsicht eine Schiedsrichterleistung erwarten können."
Auch wenn er öfter ähnlich denkt wie Kipping und Riexinger, teilt es der 59-Jährige lediglich in homöopathischen Dosen mit, um die brüchige Allianz mit Wagenknecht nicht zu gefährden.
So kommt es, dass der zentrale Konflikt in der Linken ein Konflikt zwischen starken Frauen ist.
Als der Streit begann
Schaut man ins Archiv, liegen Anfänge im September 2011. Da schlug Kipping die Abgeordnete Cornelia Möhring aus Schleswig-Holstein für den Fraktionsvorsitz vor – neben Gregor Gysi. Sie stehe anders als Wagenknecht für eine „neue Linke“. Als es im Jahr darauf um die Frage geht, wer nächste Parteivorsitzende werden soll, sagt Kipping: „Ich habe eine sechs Monate alte Tochter und könnte den Parteivorsitz nur in Teilzeit wahrnehmen. Deshalb werbe ich für eine Lösung ohne mich."
Es dauert aber nicht lange, bis Kipping doch kandidiert – und zwar in Gestalt einer weiblichen Doppelspitze mit Katharina Schwabedissen aus Nordrhein-Westfalen. Nur ist Schwabedissen am Schluss weit und breit nicht mehr zu sehen. Und Kipping steht neben Riexinger, den Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine gegen Bartsch ins Rennen geschickt hat, mit Blumen in der Hand auf der Bühne. Gewonnen.
Ärger um Nähe zur AfD
Spätestens 2013 lädt sich der Clinch inhaltlich auf. Da stellen Wagenknecht und Lafontaine den Euro infrage – im Einklang mit der aufkommenden AfD. Wagenknecht sagt: „Die AfD hat in vielen Punkten recht." Kipping nennt die AfD im Gegenzug „eine Rechtspartei, die wirtschaftspolitisch neoliberal, demokratiefeindlich, außenpolitisch militaristisch und latent rassistisch ist". Beim Parteitag in Dresden setzen Kipping und Riexinger einen Beschluss gegen Wagenknecht und Lafontaine durch, die zu der Zeit schon nicht mehr im Saal sind. Axel Troost, ein Kipping-Gefährte, wehrt sich später gegen „Gedankenspiele eines Ehepaars aus dem Saarland", die Linke auf einen Anti-Euro-Kurs zu trimmen.
Es folgt der beinharte Streit um die Flüchtlingspolitik, der weite Teile der Linken gegen Wagenknecht aufbringt und in dessen Verlauf Jan van Aken, ein anderer Kipping-Gefährte, konstatiert: „Wer Merkel von rechts kritisiert, kann nicht Vorsitzender einer Linksfraktion sein." Das ist nichts anderes als eine Rücktritts-Forderung – indes keine aus persönlicher Animosität, sondern aus tiefer Überzeugung.
Wagenknecht teilt direkt aus. Als die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl bestimmt werden müssen, sagt die Fraktionschefin, sie stehe höchstens allein mit Bartsch zur Verfügung oder gar nicht. Damit die Konkurrentin auch versteht, dass es gegen sie geht, fügt Wagenknecht im Fernsehen hinzu: „Natürlich kann Katja Kipping Spitzenkandidatin werden – aber dann nicht gemeinsam mit mir." Es dreht sich nicht mehr allein um Macht und unterschiedliche Meinungen, sondern auch ein bisschen ums Verletzen. Nach der entscheidenden Sitzung steht Kipping vor der Redaktion des Neuen Deutschlands und raucht, was selten vorkommt, eine Zigarette. Die Nerven.
Lafontaine wettert gegen Kipping
Schließlich ist da noch Oskar Lafontaine. Während Riexinger und Bartsch eher passiv bleiben, ist er äußerst aktiv. Würden andere Ehemänner sich raushalten, um nicht den Eindruck mangelnder Eigenständigkeit ihrer Frau zu erwecken, hält es der 74-Jährige genau umgekehrt. Er gibt Interviews oder setzt sich daheim an den Computer und postet bei Facebook. Dabei wirft Lafontaine der Gegnerin seiner Gattin „schlechten Stil“ vor. Oder er lässt verlauten, dass Kipping und Riexinger bei den Wählern nicht zögen – anders als das Spitzenduo, mit dem sich die Parteivorsitzenden „während des ganzen Wahlkampfes" nicht hätten abfinden können. Zuweilen scheint es, als wolle Lafontaine Kipping zermürben. Schlechter Stil, in jeder Hinsicht.
Ja, es türmen sich über die Jahre so viele große Gemeinheiten und kleine Nickeligkeiten auf, dass selbst bei gutem Willen der Beteiligten viel Mühe nötig wäre, um zu einem normalen Verhältnis zu kommen. Führende Parteimitglieder sagen ohnehin, dass Wagenknecht längst mit Kipping abgeschlossen habe. Kommunikation findet über Mittelsmänner oder SMS statt. Jetzt fragen sich in der Linken viele, wie eine Partei konstruktiv Politik machen soll, wenn jede Sachdebatte in der Spitze derart persönlich besetzt ist. Es war ja wesentlich der Zoff zwischen Kipping und Wagenknecht, der den letzten Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn hat das Weite suchen lassen und der dazu führte, dass der linke Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, seinem Bruder Harald abgeraten hat, die Nachfolge anzutreten.
Die Unterschiede zwischen den Frauen sind groß
Gewiss ist, dass die Frauen unterschiedlicher nicht sein könnten. Kipping, die mit dem Fahrrad zum Bundestag fährt, ist intellektuell interessiert und will, dass die Linke auch in kosmopolitischen Großstadtmilieus gehört wird. Zugleich kann sie auf einfache Leute zugehen und ist überhaupt recht kommunikativ. Kippings Reden gehen oft von konkreten Schicksalen sozial schwacher Menschen aus. Die – Flüchtlinge eingeschlossen – interessieren sie wirklich.
Die migrationskritische Wagenknecht in ihren schönen Kleidern hingegen steht dem Werben um die Großstadtmilieus skeptisch gegenüber. Sie konzentriert sich in ihren fraglos packenden Auftritten ganz auf den Gegensatz zwischen Reichen und Armen. Allerdings sind diese Reden überwiegend abstrakt. Und selbst Fraktionskollegen sagen, es sei schwer, mit Wagenknecht mal ein ganz belangloses Gespräch zu führen – etwa darüber, wie es im Urlaub war.
Es gibt außer der ostdeutschen Herkunft zwischen den Frauen bloß eine, dummerweise kontraproduktive Übereinstimmung: ihren Ehrgeiz.
Katja Kipping sagt auch deshalb, und es sind die einzigen Sätze, die sie freigibt: „Wir sind Profis und müssen das hinbekommen. Daran führt kein Weg vorbei.“ Sahra Wagenknecht indes lässt ebenfalls über ihren Sprecher ausrichten, ein Interview zu Sachfragen gebe sie gern. Aber ein Interview allein zur Parteivorsitzenden – nein, das komme nicht in Betracht.