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„Die Luft wird immer dünner“Bonner Stadtdechant rechnet mit Kölner Erzbistum ab

Lesezeit 5 Minuten
Wolfgang Picken

Wolfgang Picken, Stadtdechant von Bonn

Köln – Der Rheinpegel in Bonn steht derzeit nur bei gut zwei Metern. Trotzdem ist dort in dieser Woche ein Dammbruch zu verzeichnen. Kirchlich. Der Bonner Stadtdechant Wolfgang Picken, weit über die Grenzen der Bundesstadt hinaus bekannt, rechnet in der neuen Folge seines Podcasts „Spitzen aus Kirche und Politik“ schonungslos mit dem Agieren des Erzbistums Köln im Zusammenhang mit dem von Kardinal Rainer Woelki unter Verschluss genommenen Missbrauchsgutachten ab.

Der Beitrag fällt zeitlich zusammen mit der in diesen Tagen erwarteten Entscheidung, ob der Vatikan die Untersuchung eines Vertuschungsvorwurfs gegen Woelki im Fall des mit ihm befreundeten Düsseldorfer Pfarrers Johannes O. in Gang setzt. „Die Stimmung im Erzbistum Köln war noch nie so auf dem Tiefpunkt wie gegenwärtig“, stellt Picken fest. Es müsse dringend ein Weg aus dieser „großen Glaubwürdigkeitskrise und Lethargie gefunden werden“, sonst befinde sich die Kirche im freien Fall. „Die Luft ist dünn und wird immer dünner, jetzt zählt jeder Tag.“

Picken bezieht sich auf die Wochen seit Ende Oktober, als Woelki seine Entscheidung bekannt gab, das Rechtsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl wegen angeblicher methodischer Mängel und rechtlicher Risiken nicht zu veröffentlichen und bei dem Kölner Strafrechtler Björn Gercke ein Ersatzgutachten in Auftrag zu geben.

„Sehenden Auges in die Krise“

Nach eigenen Worten nimmt Picken dem Kardinal dessen erklärten Willen zur Aufklärung ab. „Aber er wird auch verstehen müssen, wieso es vielen schwer fällt, das so noch anzunehmen. Jedem im Erzbistum Köln musste klar sein, dass der Kölner Kardinal, der eine besonders rücksichtslose und umfassende Aufklärung angekündigt hatte, umso mehr unter den kritischen Blick der Medien stehen würde.“ Dass inzwischen kaum noch jemand an gute Gründe für die Zurückhaltung des Münchner Gutachtens glaube und stattdessen ein Akt der Vertuschung vermutet werde, sei „absolut nachzuvollziehen“. Und „unglaublich“ sei es, dass man den Erzbischof „sehenden Auges in diese Krise manövriert“ habe und seit Wochen immer neue Schlagzeilen liefere, „die die Lage eklatant verschlechtern“.

Ausdrücklich weist Picken die – von anderen Unterstützern Woelkis gern verbreitete – Lesart zurück, die Schlagzeilen folgten vornehmlich aus dem Interesse, die Kirche anzugreifen und ihr zu schaden. Vielmehr müsse „längst klar sein“, dass das Erzbistum selbst die Grundlagen biete und durch ein „unprofessionelles Krisenmanagement“ immer neue Anlässe liefere, den Skandal „am Kochen zu halten“.

Dazu zählt Picken „die mehr als unglücklichen Worte der Entschuldigung des Kardinals“ in der Christmette am 24. Dezember, die „vermutlich gut gemeint“ gewesen seien, aber „vollkommen entgegengesetzt gewirkt“ hätten. Ebenfalls „gut gemeint“ sei auch der Versuch gewesen, durch ein Hintergrundgespräch zum Münchner Gutachten Anfang Januar neu Vertrauen zu gewinnen. Das in einem „Eklat“ geendete Bemühen, so Pickens Analyse, „musste jedoch schief gehen“, weil sich die eingeladenen Journalisten wegen einer ihnen abverlangten Verschwiegenheitserklärung „in ihrer Berufsehre angegriffen sahen“ und die Unterschrift verweigerten.

Als weiteren Fehler charakterisiert Picken die kurzzeitige Androhung dienstrechtlicher Konsequenzen gegen den Dormagener Priester Klaus Koltermann, der Woelki scharf kritisiert und sich – als erster leitender Pfarrer im Erzbistum – hinter Rücktrittsforderungen an den Kardinal gestellt hatte. Picken konzediert, dass man dies – wie in jedem Unternehmen auch – als Verrat eines Mitarbeiters an der gebotenen Loyalität auffassen könne, fragt dann aber: „Wie kann man in dieser aufgeheizten Atmosphäre schriftliche Abmahnungen versenden, statt das persönliche Gespräch zu suchen?“

Picken: „Wer berät den Bischof?“

Diese Sicht der Dinge ist umso interessanter, als im Erzbistum das Gerücht die Runde macht, der Verfasser des Briefs, Personalchef Mike Kolb, habe Koltermann gegen seinen eigenen Willen und nur auf eine entsprechende Dienstanweisung von oben hin geschrieben. Diese könnte dann nur von Generalvikar Markus Hofmann oder von Woelki persönlich gekommen sein.

In der Summe jedenfalls beklagt der Bonner Stadtdechant das Fehlen einer Gesamtstrategie und stellt erneut bohrende Fragen: „Wer berät den Bischof? Wie kommen … Entscheidungen zustande? Aber wichtiger noch: Registriert jemand, welche Folgen das hat und dass es so nicht weitergehen kann?“ Picken konstatiert sodann eine „zusätzliche Erschütterung“ der Gemeinden weit über die Grenzen Kölns hinaus. „Man merkt, dass es den Leuten unter die Haut geht und sie extrem bedrückt sind.“

Hier gelangen Sie zum Podcast von Wolfgang Picken.

Seine doppelte Forderung lautet: totale Transparenz und totale Konsequenz. Dies zielt vor allem auf die führenden Kölner Kleriker, die mutmaßlich in Gerckes Gutachten „für vielfaches Vertuschen“ verantwortlich gemacht werden. Das Erzbistum hat die Vorlage der Ergebnisse für den 18. März angekündigt. Allerdings stelle sich, so Picken, schon jetzt die Frage, „warum die Verantwortlichen, denen doch bewusst sein muss, dass sie sich schuldig gemacht haben, auf die Veröffentlichung eines Gutachtens warten, anstatt sofort selbst tätig zu werden und die Konsequenzen aus ihren Fehlern zu ziehen. Sie würden weiteren Schaden von der Kirche abwenden, und man würde es auch von Priestern und ihrer Gewissenserforschung erwarten.“ Dass sie es nicht täten, lasse befürchten, „sie würden darauf hoffen, irgendwer könnte sie schützen oder ihre Haut retten oder aber, es würde gelingen, im allgemeinen Durcheinander dieser Konfliktlage sich wegzuducken und unbemerkt abzutauchen. Wo sich Verantwortliche so verhalten, demontieren sie die Glaubwürdigkeit der Kirche weiter und machen jeden Neuanfang unmöglich.“

Pickens Breitseiten gelten mithin dem Geleitzug der erzbischöflichen Flotte: einerseits der von Generalvikar Hofmann im Verbund mit externen Anwälten gesteuerten Öffentlichkeitsarbeit, andererseits jenen ehemaligen und aktiven Funktionären, die unter den Kardinälen Joseph Höffner und Joachim Meisner Personalverantwortung trugen und somit auch für sämtliche Missbrauchstäter und den Umgang mit deren Vergehen zuständig waren. Namentlich sind dies mindestens die früheren Generalvikare Norbert Feldhoff (Dompropst a.D.), Dominik Schwaderlapp (heute Weihbischof in Köln) und Stefan Heße (heute Erzbischof von Hamburg), dazu auch die wechselnden Personalchefs – unter ihnen wiederum Heße in einer früheren Verwendung – und weitere Offizielle, etwa der langjährige Leiter des Kölner Kirchengerichts, Offizial Günter Assenmacher.

Ausgenommen von der Bonner Kanonade bleibt hingegen bleibt das Flaggschiff des Konvois mit Kardinal Woelki auf der Brücke. Ihn sieht der promovierte Politologe und versierte Öffentlichkeitsarbeiter Picken, der Woelkis konservativen Kurs beim laufenden bundesweiten Kirchenreformprozess „Synodaler Weg“ nach Kräften stützt, schlechten Rechts- und Medienberatern sowie unprofessionellen Krisenmanagern im Generalvikariat ausgesetzt.

Was das zu bedeuten haben könnte, lässt sich am besten mit einer der von Picken selbst so geschätzten rhetorischen Frage beantworten: Empfiehlt sich hier jemand noch vor dem 18. März für höhere Aufgaben?