Donald Trump droht am ersten Tag seiner Amtszeit Panama mit Gewalt, kündigt das Klimaschutzabkommen und begnadigt 1500 rechte Randalierer.
„Goldenes Zeitalter beginnt“Trump völlig enthemmt – Start in zweite Amtszeit mit Frontalangriff
Von den Rängen ganz oben in der gewaltigen Capitol One Arena, wo normalerweise das Eishockey-Team der Washington Capitals spielt, kann man den kleinen hölzernen Tisch mit dem roten Kunstlederstuhl kaum erkennen. Er steht ganz links auf einer mächtigen Bühne. Vorne trägt er das Wappen des amerikanischen Präsidenten. Auf der Platte liegt ein Stapel Aktenmappen mit Kugelschreibern.
Auf den ersten Blick wirkt das Arrangement unspektakulär. Und doch spielt es an diesem Tag eine zentrale Rolle. Donald Trump will hier nämlich, wenige Stunden nach seiner Vereidigung, mit der Regierungsarbeit beginnen und am Kongress vorbei zahlreiche Dekrete unterzeichnen. „Am ersten Tag“ werde er gleich loslegen, hat der neue US-Präsident im Wahlkampf immer wieder versprochen und einmal sogar gesagt, er werde dann ein „Diktator“ sein. Nun will der 78-Jährige vor 20.000 treuen Anhängern in dem Stadion und Millionen Fernsehzuschauern draußen im Land beweisen, dass er es ernst meint mit der „Wiederherstellung von Amerika und der Revolution des gesunden Menschenverstands“, die er angekündigt hat.
Donald Trump preist sich selbst als Erlöser an
Eine solche Amtseinführung haben die USA noch nicht gesehen. Das liegt nicht nur daran, dass Trump die Zeremonie wegen der angeblich arktischen Kälte in der Hauptstadt zum ersten Mal seit 40 Jahren von den Stufen an der Westseite des Kapitols nach drinnen in die Rotunde unter der mit Fresken ausgeschmückten Kuppel verlegt hat. Bei der Vereidigung am Mittag dürfen dort Tech-Milliardäre und ultrarechte ausländische Regierungschefs dabeisein, aber keine Gouverneure und Botschafter. Ein evangelikaler Prediger dankt Gott, dass er das Land aus vier „ziemlich dunklen“ Jahren befreit habe. Und Trump preist sich selbst als Erlöser an.
Derweil scheint draußen die Sonne. Tatsächlich entpuppt sich der 20. Januar als kalter, aber klarer Wintertag, und man fragt sich schon, ob die traditionelle Veranstaltung auf der Mall wegen eines angeblichen „Polarsturms“ wirklich abgesagt werden musste. Das scheint auch Trump zu ahnen. „Das ist ein großartiger Ort für eine Amtseinführung“, schwärmt er demonstrativ beim Mittagessen im President's Room des Kapitols: „Draußen ist es kalt. Hier ist es 22 Grad warm. Wunderbar.“
Extreme Sicherheitsvorkehrungen machen Washington zur geisterhaften Stadt
Seine Anhänger, die aus den ganzen USA nach Washington gekommen sind, um zumindest aus weiter Ferne einen Blick auf ihren neuen Präsidenten werfen zu können, sind nicht ganz so glücklich darüber. Mehr als 200.000 Eintrittskarten waren alleine für den hermetisch abgesperrten Teil der Mall ausgegeben worden. In der Rotunde ist gerade mal Platz für 600 handverlesene Honoratioren. Rund 1000 weitere Ehrengäste dürfen die Veranstaltung auf einer Leinwand im Besucherzentrum des Kapitols verfolgen. Schließlich wird die Zeremonie in die Eishockey-Arena übertragen. Stundenlang stehen dort schon am frühen Morgen in eisiger Kälte die Trump-Fans mit roten Kappen oder Mützen in der Schlange. Doch Zehntausende kommen nirgendwo unter. Sie irren während des Tages mehr oder weniger orientierungslos durch die wegen der extremen Sicherheitsvorkehrungen geisterhafte Stadt.
Für viele Besucher ist das enttäuschend. Doch Trump kommt das Arrangement, wie sich bald zeigt, außerordentlich zupass. Seine Rede wendet sich ohnehin nicht an die ganze Nation, sondern nur an die eigenen Wähler. Die lassen sich in einem geschlossenen Raum viel besser begeistern. Vor allem aber kann der Republikaner seine Ansprache in drei verschiedenen Versionen halten: zunächst vom Teleprompter am Mittag im offiziellen Rahmen. Dann kurz darauf „unplugged“ in dem Ausweich-Raum im Kapitol. Und schließlich am Abend völlig enthemmt bei einem Besuch in der Arena. Am Ende gibt er dann noch eine spontane Pressekonferenz im Oval Office. Und jedes Mal legt der einstige Reality-TV-Star einen drauf.
„Das Goldene Zeitalter Amerikas beginnt nun“, leitet Trump seine erste Ansprache bei der Vereidigung ein. Das klingt nach Pathos und etwas Positivem, wie es die Amerikaner lieben. Doch bald schon ist Trump wieder bei den düsteren Farben seiner Antrittsrede von 2017 angekommen, als er ein „amerikanisches Gemetzel“ beschrieb. Dieses Mal hat das „radikale und korrupte Establishment“ die Bürger ausgeraubt, die Stützen der Gesellschaft zerstört und ist unfähig, das Land gegen Naturkatastrophen und „gefährliche Kriminelle“ zu verteidigen, die „aus Gefängnissen und psychiatrischen Einrichtungen“ in der ganzen Welt angeblich über die US-Grenze strömen.
Donald Trump setzt bei Antrittsrede auf simple Botschaften
Vor allem aber geht es um Trump selbst. In den vergangenen acht Jahren sei er „mehr getestet und herausgefordert worden als irgendein Präsident in unserer 250-jährigen Geschichte“, verdreht der verurteilte Straftäter die Tatsachen. Dass er bei einem Attentatsversuch in Pennsylvania nur leicht verletzt wurde, interprertiert er als Zeichen: „Ich wurde von Gott beschützt, um Amerika wieder groß zu machen.“
Frühere Präsidenten hatten die Antrittsrede genutzt, um der Nation eine einigende Vision vorzugeben. „Fragt nicht, was das Land für euch tun kann, sondern, was ihr für das Land tun könnt“, rief John F. Kennedy 1961 die Amerikaner auf. Trumps Botschaften sind deutlich simpler, und sie stammen direkt aus seinem Wahlprogramm: An der Südgrenze wird der Nationale Notstand ausgerufen, was faktisch das Asylrecht beendet. Ausländische Waren sollen - beginnend am 1. Februar mit einem 20-prozentigen Aufschlag für Güter aus Kanada und Mexiko - durch Zölle verteuert werden. Und möglichst viele Umweltauflagen werden fallen. „Drill, baby, drill!“, lautet der einprägsamste Satz der Rede - es soll auf Teufel komm' raus nach Öl und Gas gebohrt werden. Ach ja, und dann nennt sich Trump noch einen „Friedensstifter“, um kurz darauf Panama zu drohen, die USA würden sich den Panama-Kanal „zurückholen“.
Immer wieder gibt es in der Rotunde Standing Ovations. Besonders groß ist die Begeisterung links vom Rednerpult. Dort sitzen Trumps Familienangehörige, einige seiner Kabinettsmitglieder und die Tech-Milliardäre Elon Musk, Mark Zuckerberg und Jeff Bezos, die den Präsidenten mit Millionen-Spenden unterstützt haben, vertraut zusammen. Die Oligarchie, vor der der bisherige Präsident Joe Biden vor wenigen Tagen so eindrücklich gewarnt hat, feiert offen ihren Triumph.
Joe Biden macht eine dramatisch schlechte Figur
Biden steht im Kapitol auf der rechten Seite seines Nachfolgers und macht an diesem Tag eine dramatisch schlechte Figur. Trump war vor vier Jahren seiner Amtseinführung einfach fern geblieben. Biden hätte sehr gute Gründe gehabt, es ihm gleichzutun – wie etwa Michelle Obama und die frühere Parlamentschefin Nancy Pelosi, die nicht erschienen sind. Doch der 82-Jährige ist ein eiserner Institutionalist, der wider besseren Wissens den Anschein der Normalität bewahren will.
„Willkommen zuhause“, hat er ernsthaft morgens Trump und dessen Frau Melania zum Tee im Weißen Haus begrüßt. Zu dieser Zeit hat er schon zwei Erlasse vorbereitet, mit denen er zunächst Ex-General Mark Milley, den Corona-Experten Anthony Fauci, die Ex-Abgeordnete Liz Cheney und weitere Beteiligte des Untersuchungsausschusses zum Kapitolsturm vorsorglich begnadigt. Wenige Minuten vor dem Ende seiner Amtszeit schiebt er noch eine Blanko-Begnadigung für seine Geschwister und deren Ehepartner nach. Die Sorge vor einer politisch gelenkten juristischen Verfolgung der Betroffenen durch Trump ist berechtigt. Doch die beispiellosen Persilscheine passen nicht zur harmlosen Fassade. Überdies machen sie es künftig schwerer, Verbiegungen des Rechts durch Trump zu kritisieren.
Donald Trump wirkt völlig enthemmt
Auf die muss das Land nicht lange warten. Schon bei seiner zweiten Rede in der Emancipation Hall, wo mehr als tausend Familienangehörige republikanischer Abgeordneter, aber auch Gouverneure und Botschafter warten, wirkt Trump völlig enthemmt. Er spricht jetzt frei, 33 Minuten lang. Seine Frau Melania habe ihm geraten, bestimmte Dinge im offiziellen Teil nicht zu sagen. „Ich wollte eine wunderbare versöhnende Rede halten. Aber jetzt muss das raus“, sagt er, als säße er mit Freunden in einer Kneipe. Dann pöbelt er über die „jammernde Verrückte“ Cheney und macht seine Erzfeindin Pelosi für den Kapitolsturm vom 6. Januar verantwortlich. Die Aufrührer, kündigt er an, wolle er begnadigen - schließlich sei die Präsidentschaftswahl 2020 manipuliert worden.
Diese Verschwörungslüge haben zahlreiche Gerichte, der Untersuchungsausschuss und Sonderermittler Jack Smith, den Trump nun „geistesgestört“ nennt, zweifelsfrei widerlegt und stattdessen die Verantwortung Trumps für den Aufruhr nachgewiesen. Doch der Ober-Putschist von vor vier Jahren ist nun Präsident und schreibt die Geschichte um.
Dabei will Trump keine Zeit verlieren. Das macht er am frühen Abend dann in der Capitol One Arena deutlich, wo ihn 20.000 Anhänger mit dem frenetischen Schlachtruf „Fight, fight, fight!“ begrüßen. Trump setzt sich hinter den kleinen Tisch auf der Bühne und beginnt mit kratzendem Filzstift eine schwindelerregende Flut präsidialer Dekrete zu unterschreiben - von der Rücknahme zahlreicher Biden-Verordnungen über einen Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst, die offizielle Anerkennung lediglich zweier Geschlechter und die Schließung der Grenze bis zum Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Vieles davon dürfte vor Gericht landen. Aber für seine Basis demonstriert der neue Machthaber ungebremsten Tatendrang und Entschlossenheit.
Die beunruhigendste Botschaft dieses Tages aber hebt sich Trump bis zum Ende auf. In der Sport-Arena hat er Angehörige israelischer Geiseln auf die Bühne geholt, deren Verwandte von der Hamas verschleppt wurden. In deren Beisein verkündet er tatsächlich, er werde „eine große Zahl von Geiseln des 6. Januar“ begnadigen: „In den meisten Fällen haben sie nichts falsch gemacht.“ Der 6. Januar 2001 ist das Datum des Kapitolsturms. Die Teilnehmer wurden von ordentlichen Gerichten wegen unterschiedlichster Delikte vom Hausfriedensbruch bis zu tätlichen Angriffen auf Polizisten verurteilt. Diese Schläger und Chaoten setzt der US-Präsident mit den Opfern eines bestialischen Terroraktes gleich.
Doch der Mob, der das Kapitol stürmte, ist Trumps treue Basis. Nach seinem offiziellen Einzug ins Weiße Haus am späteren Abend unterzeichnet er tatsächlich den Erlass: 1500 angeklagte oder verurteilte Teilnehmer des Putschversuches werden begnadigt. Noch am Tag von Trumps Amtseinführung kommt Enrique Tarrio, der zu 22 Jahren Haft verurteilte Rädelsführer und frühere Boss der rechtsextremen Miliz Proud Boys, aus dem Gefängnis in Louisiana frei. Nicht jeder Amerikaner hat sich das „Goldene Zeitalter“ so vorgestellt.