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„Gequält und erniedrigt“Landtag will Schicksal von Verschickungskindern aufarbeiten

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Blick in den NRW-Landtag

Düsseldorf – Rund zehn Millionen Kinder wurden im Nachkriegsdeutschland zu Kuraufenthalten in Sanatorien geschickt. Viele Betroffene haben dort traumatische Erfahrungen gemacht, die ihr Leben bis heute geprägt haben.

Jetzt verlangen die Opfer die Aufarbeitung des vergessenen Themas Kinderverschickung: „Wir wollen wissen, wer von dem System profitiert hat“, sagt Detlev Lichtrauter, Landeskoordinator „Initiative Verschickungskinder“ in NRW. „Niemand weiß heute, ob es eine Heimaufsicht gab und wer die Einrichtungen kontrolliert hat. Wir sind uns sicher, dass es sich bei den Berichten über schlimme Erfahrungen nicht um Einzelfälle handelt.“

Harte Strafen waren alltäglich

Bis in der 70er Jahre hinein wurden Kinder von Ärzten und Behörden in die Kindersanatorien verschickt. Drangsalierungen und harte Strafen waren bei den Kuren an der Tagesordnung. „Wir wurden nach dem Baden stets minutenlang eiskalt abgeduscht“, berichtet die Kölnerin Ute M., die zusammen mit anderen Opfern zu einem Austausch in die SPD-Landtagsfraktion eingeladen wurde.

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Eine Leidensgenossin erzählt, sie sei gezwungen worden, jeden Tag Sülze zu essen. Kinder seien zum Teil genötigt worden, Erbrochenes aufzuessen und in Kammern ohne Licht eingesperrt worden, wenn sie sich den Anweisungen widersetzt hätten. Schläge und Prügel gehörten zu den gängigen Methoden, um Kindern Ruhe und Gehorsam aufzuzwingen.

Heime von Altnazis geprägt

Den Berichten zu Folge nahmen die Eltern der Kinder Hinweise über Misshandlungen meistens nicht erst. Viele folgten den Empfehlungen der Ärzte und überließen die Kinder ihrem Schicksal, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu bekommen. „Die Einstellung war damals eine ganze andere als heute“, sagt Josef Neumann, Gesundheitsexperte der SPD. „Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass es gar keine Beschwerden gab. Wir wollen wissen, wie der Staat damit umgegangen ist, wenn Kinder gequält, und erniedrigt wurden.“

Dennis Maelzer, familienpolitischer Sprecher der SPD im Landtag, erklärte, die „schwarze Pädagogik“ sei häufig von Alt-Nazis geprägt worden, die in den Kinderkurheimen ein neues Betätigungsumfeld gefunden hätten. „Es beschämt mich zutiefst, dass diese Verbrechen an Kindern in Deutschland über Jahrzehnte möglich waren“, erklärte Maelzer. Die Aufarbeitung des Unrechts müsse unterstützt werden. Er fordert eine wissenschaftliche Untersuchung und die Einrichtung einer vom Land geförderten Geschäftsstelle für die Opfer-Initiative.NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat in seinem Haus jetzt eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die das Ausmaß der Geschehnisse unter die Lupe nehmen soll.