Ohne ein politisches Mandat hat der reichste Mann der Welt innerhalb weniger Wochen den amerikanischen Regierungsapparat unterwandert. Kritiker warnen alarmiert vor einem kalten Staatsstreich.
Elon Musks StaatsstreichWie der Tesla-Chef die US-Regierung unterwandert
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In der Zentrale der Macht: US-Präsident Donald Trump (r.) hört zu, als Elon Musk im Oval Office im Weißen Haus spricht.
Copyright: Alex Brandon/AP/dpa
Krisen sind eigentlich ihr Job. Sie hat HIV-Aufklärung im südafrikanischen Busch-Radio betreut, eine Gesundheits-Hotline in Äthiopien unterstützt und Infomaterial für Sexarbeiterinnen in Uganda entwickelt. Mit klapprigen Propellermaschinen ist sie in entlegene Regionen Afrikas geflogen und hat mit ihrem Mann im Malaria-Risikogebiet eine gesunde Tochter großgezogen.
Doch der 20. Januar 2025 hat Anna Siegurt, deren Namen wir angesichts der politisch heiklen Lage geändert haben, einen Schock versetzt. Da fror Donald Trump noch am Abend seiner Amtseinführung per Erlass sämtliche internationalen Hilfszahlungen ein.
„So schnell hatten wir das nicht erwartet“, berichtet Siegurt beim Gespräch in einem Coffeeshop hinter dem Washingtoner Kapitol. Nur anderthalb Meilen entfernt liegt ihr Büro bei einer Nichtregierungsorganisation, von dem aus sie mit ihrem 13-köpfigen Team millionenschwere Gesundheitskampagnen rund um den Globus gemanagt hat. Das Geld kam bislang von der amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID. Für das laufende Jahr war es vom Kongress bewilligt.
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„Erst dachten wir, es geht um eine Evaluierung, und nach einer Pause können wir weitermachen“, berichtet Siegurt. Doch dann übernahm Trumps Kosten-Bulldozer Elon Musk die Sache. Er habe USAID „in den Häcksler“ geworfen, brüstete er sich vor zehn Tagen auf seiner Plattform X. Die Beamten, die Siegurts Projekte hätten überprüfen können, wurden gefeuert. Da schwante der Deutsch-Amerikanerin, dass sie und ihre Familie plötzlich selbst ins Zentrum einer Krise geraten sind.
„Stop Work“-Anweisung“ kam über Nacht
Über Nacht erhielt Siegurts Arbeitgeber eine „Stop Work“-Anweisung der Trump-Regierung. Siegurts fünf Projekte dürfen nicht fortgesetzt werden. Mehr als hundert Ortskräfte in Afrika stehen auf der Straße. Die Entwicklungsexpertin ist für 90 Tage ohne Bezüge freigestellt. Solange zahlt ihr Arbeitgeber zumindest noch die Krankenversicherung. „Dann ist Schluss“, sagt sie.
Die zupackende Frau mit Lockenfrisur erlaubt sich kein Selbstmitleid. Nüchtern schildert sie, wie schwer sich derzeit die Jobsuche in ihrer Branche gestaltet: „Alle bewerben sich auf dieselben Stellen.“ Einer ihrer Kollegen kann die Hypothek für sein Haus nicht mehr bezahlen. Eine alleinerziehende Kollegin mit Kind ist wieder bei der Mutter eingezogen. Siegurt selbst versucht verzweifelt, irgendwo Geld zu leihen. Vielleicht muss sie ihre 20-jährige Tochter vom teuren College nehmen. Noch mehr aber sorgt sie das abrupte Aus ihrer Projekte: „Selbst wenn die Regierung ihre Entscheidung irgendwann revidieren sollte, ist der Schaden irreparabel.“
So sehen die praktischen Folgen des Kreuzzugs gegen die amerikanischen Regierungsinstitutionen aus, den Techmilliardär Musk seit drei Wochen führt. „Wir haben keine Wahl. Wir müssen die Ausgaben senken“, begründet der reichste Mann der Welt seine brutale Schocktherapie. Mit einer Truppe von loyalen Techjüngern aus dem Silicon Valley, die dort in seinen Firmen arbeiten oder direkt von der Uni kommen, und der Rückendeckung von Trump hat sich Musk überfallartig Zugang zu den elektronischen Herzkammern der wichtigsten Ministerien mit vertraulichen Steuerdaten, Adressen und Bankverbindungen aller Amerikaner verschafft. Er hat die Arbeitsverträge von zwei Millionen Staatsdienern ausgespäht, Behörden zerschlagen und vom Kongress gebilligte Mittel eingezogen.
Auf seinem hauseigenen Propagandakanal X orchestriert der Milliardär diese beispiellose Abrissaktion im Minutentakt mit immer neuen Horrormeldungen über vermeintlich aufgedeckte Verschwendung. Angeblich hatte USAID für 50 Millionen Dollar Kondome in den Gazastreifen geschickt, die Nachrichtenseite „Politico“ mit 8 Millionen Dollar subventioniert und 84 Millionen Dollar an Hillary Clintons Tochter Chelsea überwiesen. Nichts davon stimmt. Aber mit diesen Lügengeschichten befeuert Musk gezielt Vorurteile gegen die „Bürokraten“ in Washington und bastelt sich einen Nimbus als Korruptionsbekämpfer.
„Die Oligarchen haben keinen Plan, wirklich zu regieren“
Mit einem ernsthaften Versuch zum Bürokratieabbau oder zur Effizienzsteigerung habe das nichts zu tun, analysiert der renommierte Historiker Timothy Snyder. In seinem Podcast vergleicht der Yale-Professor die Regierung mit einem Auto, das von den Wählern zur Wartung in die Werkstatt geschickt wurde. Beim Abholen erfahren sie dann, dass „Leute, die irgendwie nicht wie Automechaniker aussehen, die funktionierenden Einzelteile herausgenommen, verkauft und das Geld eingesteckt haben“. Dafür sollen die Besitzer auch noch dankbar sein. „Die Oligarchen haben keinen Plan, wirklich zu regieren“, überträgt Snyder seine Metapher auf die politische Wirklichkeit: „Sie greifen sich, soviel sie können und machen den Rest unwirksam. Es geht um die Zerstörung.“
Den Eindruck kann man tatsächlich gewinnen, wenn man die Spur der Verwüstung verfolgt, die Musk – ein privater Bürger ohne politisches Mandat und irgendwelche Verwaltungserfahrung, dafür aber mit offensichtlich problematischen Geschäftsinteressen – mit seiner Kostenkillertruppe „Department of Government Efficiency“ (Doge) in kürzester Zeit hinterlassen hat: Die Zahlungssysteme des Finanzministeriums wurden gekapert, die Webseiten aller Behörden von „woken“ Inhalten gesäubert und Liegenschaften verkauft. Die staatliche Hilfsorganisation USAID mit einem Etat von 40 Milliarden Dollar und 10.000 Beschäftigten ist zertrümmert und geschlossen. Selbst der Namenszug am Gebäude wurde eiligst entfernt.
Als Nächstes ist die Verbraucherschutzbehörde Consumer Financial Protection Bureau (CFPB) dran, die nach den Finanzkrisen von 2007 und 2008 gegründet wurde. Am Freitag postete Musk einen Tweet mit dem Kürzel der Behörde und einem Grabstein. Kurz darauf erhielten sämtliche 1700 Beschäftigten eine „Stop Work“-Aufforderung. Am Montag wurde das Gebäude verschlossen. Seither ruht die Arbeit. Auch in das Bildungsministerium ist Musks Truppe schon eingedrungen und hat dort eigenmächtig 90 Verträge im Volumen von 900 Millionen Dollar gekündigt. Das dürfte nur der Auftakt für einen Dauerbeschuss der bei vielen Konservativen unbeliebten Behörde sein.
Milliardär Musk folgt dem Drehbuch seiner Twitter-Übernahme
Gleichzeitig bombardiert Musk die Staatsdiener mit Mails, in denen er sie mit einem windigen Angebot zur freiwilligen Kündigung drängt. Rund 65.000 sollen darauf bislang eingegangen sein. Der Milliardär folgt dem Drehbuch seiner Twitter-Übernahme. „Fork in the Road“ (Weggabelung) ist seine Mobbing-Mail wie vor zwei Jahren überschrieben, als er bei dem Social-Media-Unternehmen 80 Prozent des Personals feuerte. Doch damals ging es um seine private Firma. Nun geht es um den Regierungsapparat der USA, der laut Verfassung der Aufsicht des Parlaments untersteht.
Der Kongress nimmt seine rasante Entmachtung tatenlos hin. Dafür sorgen Trumps Republikaner, die selbst die Vorladung von Musk zu einer Befragung verhinderten. „Die Exekutive hat das Recht, selbst zu überprüfen, wie ihre Behörden arbeiten“, verteidigt Repräsentantenhaus-Chef Mike Johnson ernsthaft Musks Machtergreifung: „Das ist ein lange überfälliger, begrüßenswerter Prozess.“
Kritiker sehen das ganz anders. „Das fühlt sich an wie die feindliche Übernahme des Staatsapparats durch den reichsten Mann der Welt“, schlägt der Verwaltungswissenschaftler Donald Moynihan von der Universität Michigan Alarm: „Wenn das keine Verfassungskrise ist, weiß ich nicht, was eine sein könnte.“ Auch die Demokraten im Kongress sind aufgebracht: „Musk ist dabei, die Verfassung zu untergraben. Er hat sich Zugang zur Rentenkasse, zu den Finanzdaten, zu Gesundheitsinformationen und noch vielem mehr verschafft. Das sind Elemente eines Staatsstreichs“, warnt Ron Wyden, der dienstälteste Demokrat im Finanzausschuss des Senats.
Damit nicht genug: der Unternehmer Musk hat wirtschaftliche Eigeninteressen im Umgang mit der Regierung. Seine Weltraumfirma SpaceX hat seit 2015 staatliche Aufträge im Wert von 17 Milliarden Dollar eingestrichen. Sein Satellitenunternehmen Starlink erhielt von USAID Orders für mehrere Millionen Dollar für die Lieferung von Terminals an die Ukraine. Im Mai 2024 kündigte die Revision der Entwicklungsbehörde eine Überprüfung des Geschäfts an. Besonders brisant klingen Berichte, denen zufolge die von Musk torpedierte Verbraucherschutzbehörde CFPB Anstoß an seinen Plänen für ein neues Zahlungssystem mit dem Namen „X Money“ genommen haben soll. „Das ist, als wenn ein Bankräuber die Polizisten entlassen und den Alarm abschalten lässt, bevor er den Schalterraum betritt“, empört sich die demokratische Senatorin Elizabeth Warren.
Doch all das ficht den Präsidenten nicht an. Am Dienstag präsentierte er sich im Oval Office stolz gemeinsam mit dem Milliardär. Der trug ein schwarzes Maga-Käppi („Make America Great Again“) auf dem Kopf und seinen vierjährigen Sohn mit dem Namen X auf den Schultern. Trump unterzeichnete ein Dekret, das mittelfristig den Abbau jeder vierten Stelle in der Bundesverwaltung fordert und Musks Doge-Team die Aufsicht über mögliche Personalentscheidungen nach Auslaufen des dreimonatigen Einstellungsstopps überträgt. „Wir haben schon Milliarden Dollar an Verschwendung, Betrug und Missbrauch gefunden“, sagte Trump.
Die letzte Hoffnung des liberalen Amerikas ruht nun auf den Gerichten, bei denen sich inzwischen Dutzende Klagen türmen. Mehrere Richter haben schon im Sinne der Beschäftigten befunden und den Ausgabenstopp vorerst ausgesetzt. Am Freitag soll in New York entschieden werden, ob dem Doge-Team dauerhaft der Zugang zu den sensiblen Daten der Finanzbehörden verwehrt wird.
Doch manche Beobachter befürchten inzwischen, dass sich der Präsident über Vorgaben der Justiz hinwegsetzen und Musk weiter wüten lassen könnte. „Ich bin sehr pessimistisch“, gestand der Anwalt George Conway, ein Mitgründer des Trump-kritischen konservativen Lincoln Projects, Anfang dieser Woche: „Wir reden über einen Psychopathen, der keine Regeln und keine Gesetze achtet. Warum sollte er sich an eine Gerichtsentscheidung halten?“