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BöhmermannEx-Verfassungsrichter: „Kanzlerin hat sich in eine Zwickmühle gebracht“

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In seiner Late-Night-Show überschritt Jan Böhmermann mit seinem Erdogan-Gedicht bewusst die Grenzen dessen, was in Deutschland erlaubt ist.

  1. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW, Michael Bertrams, hält es die Strafverfolgung von Jan Böhmermann für unwahrscheinlich.
  2. Innenpolitisch wäre die Entscheidung verheerend.
  3. Bertrams bewertet den „Schah-Paragrafen“ als verzichtbares Überbleibsel aus der Kaiserzeit.

Herr Bertrams, was täten Sie, wenn jemand Sie als „Ziegenficker“ beschimpfen würde?

Hieße der Jemand Böhmermann und hätte er mich in seiner Satire-Show so tituliert, würde ich ihn jedenfalls nicht wegen Beleidigung anzeigen. Das hätte ich auch Herrn Erdogan empfohlen. Ein souveräner Staatspräsident bemüht gegenüber einem Satiriker und Clown nicht das Strafrecht. Ich sehe Böhmermanns Äußerung jedenfalls durch die vom Grundgesetz garantierte Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt.

Was bedeutet es, dass Jan Böhmermann in seiner Sendung die Bemerkung vorangeschickt hat, er wolle vorführen, was Satire nicht darf?

Ich neige dazu, das als zulässiges Stilmittel im Kontext eines satirischen „Gesamtkunstwerks“ zu bewerten. Er hat eine Art Zwitter konstruiert, eine Parodie der Parodie.

Michael Bertrams war von 1994 bis 2013 Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. Er schreibt im „Kölner Stadt-Anzeiger“ über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Ob ihn dieser Rahmen vor Gericht retten würde?

Das ist genau die Frage. Isoliert betrachtet, ist der Text zweifellos beleidigend. Und es wird mit Sicherheit Juristen geben, die in Böhmermanns Vorspann die bloße Verbrämung einer strafbaren Schmähkritik sehen.

Eine Prognose ist also schwierig.

Wie immer vor Gericht. Käme der Fall bis vor das Bundesverfassungsgericht, müsste nach bisheriger Praxis die Kunstfreiheit den Ausschlag geben, die Karlsruhe immer sehr hoch gehängt hat. Zu Recht. Denn hier geht es um die Grundfesten unseres freiheitlich-demokratischen Staates. Aber man sollte sich nicht täuschen: Die Sache stünde auf der Kippe.

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Politisch tut sie es schon.

Eben. Zwar behauptet die Bundesregierung, der Fall würde jetzt von Juristen geprüft. Davon kann jedoch keine Rede sein. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung ist eine rein politische Entscheidung. Mit Blick darauf hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in eine üble Zwickmühle gebracht.

Weil sie die Böhmermann-Satire als „ehrverletzend“ bezeichnet hat?

Ja. Mit dieser Bewertung, die nicht in die Zuständigkeit einer Kanzlerin fällt, ist sie in vorauseilendem Kotau vor Erdogan in die Knie gegangen. Und statt dass der sich mit der diplomatisch gemeinten Geste einer Quasi-Entschuldigung begnügt, sattelt er noch drauf mit seinem Antrag an die Bundesregierung, die Justiz zur Verfolgung einer Straftat gegenüber einem ausländischen Staatsoberhaupt zu ermächtigen – nach der Logik: „wenn ehrverletzend, dann auch strafbar, also bitte, Frau Merkel!“

Wird Sie sich diesem Ansinnen entziehen können? Die türkische Regierung schlägt scharfe Töne an. Vize-Premier Numan Kurtulmus hat von einem „schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ durch Böhmermann gesprochen. Sein Gedicht habe 78 Millionen Türken beleidigt.

Das ist nun blanker Unsinn. Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht nicht Böhmermann mit seinem Gedicht, sondern Erdogan, der kurdische Städte bombardieren lässt. Aber das zählt nach dem Flüchtlings-Deal mit Ankara derzeit offenbar nicht mehr.

„Regierung wird die Ermächtigung ablehnen“

Umso heikler wird der Fall Böhmermann für die Bundesregierung.

Ich glaube, der Ausweg ist vorgezeichnet. Merkel hat den Schutz der Kunstfreiheit durch ihren Regierungssprecher ja bereits für nicht verhandelbar erklären lassen. Daraus schließe ich, dass die Regierung nach ein bisschen inszeniertem Zaudern den Knoten durchschlagen und die Ermächtigung ablehnen wird. Es wäre innenpolitisch auch verheerend, wenn sie Erdogans Begehren nachkäme. Sie würde damit nicht nur Jan Böhmermann, sondern gleichsam die Meinungs- und Kunstfreiheit an einen Autokraten und Despoten ausliefern, der bürgerliche Freiheiten im eigenen Land auf gröbste Weise missachtet. Dass Erdogan jetzt auch persönlich Anzeige erstattet hat, kommt der Bundesregierung übrigens zupass.

Inwiefern?

Damit kann sie sagen: „Verehrter Herr Erdogan, selbstverständlich ist es Ihnen völlig unbenommen, den Rechtsweg zu beschreiten. Alles Weitere ist allein Sache der unabhängigen deutschen Justiz.“

Aber was ist das überhaupt für ein seltsamer Paragraf, der ein Staatsoberhaupt unter besonderen Schutz des Strafrechts stellt?

Ein Überbleibsel aus der Kaiserzeit. Tatsächlich lautete der Straftatbestand ursprünglich auf „Beleidigung der Majestät“. Für einen so alten Hut aus der Klamottenkiste des Strafrechts müssen selbst Experten erst einmal in den Kommentaren blättern, weil der Bezug darauf so selten ist. Meines Erachtens ist der Paragraf überflüssig und gehört gestrichen.