Wiesbaden/Frankfurt am Main – Auch etliche Jahre nach dem Ende des NSU-Terrors sind die Hintergründe der rechtsextremen Taten noch immer nicht vollständig geklärt. Viele Akten zu der Mordserie werden von den Sicherheitsbehörden als Verschlusssache eingestuft.
Wer die geheimen Dokumente der hessischen Verfassungsschützer zur rechtsextremen Terrorzelle NSU an die Öffentlichkeit durchgesteckt hat, ist noch unklar. Das Landeskriminalamt ermittelt.
Wer hat die geheimen Unterlagen an die Öffentlichkeit gebracht?
Die Plattform „Frag den Staat“ und das „ZDF Magazin Royale“ von Jan Böhmermann haben die Dokumente veröffentlicht und ins Internet gestellt.
Sind die veröffentlichten Dokumente echt?
Das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen nimmt offiziell nicht dazu Stellung. Da die Behörde jedoch eine Strafanzeige wegen der unrechtmäßigen Weitergabe von als Verschlusssachen eingestuften Dokumenten gestellt hat, ist davon auszugehen.
Gegen wen richtet sich die Strafanzeige?
Die Strafanzeige richtet sich formal gegen Unbekannt. Das hessische Landeskriminalamt ermittelt. Dabei geht es um die unrechtmäßige Weitergabe und nicht um die Veröffentlichung der Unterlagen. Die Plattform „Frag den Staat“ und das „ZDF Magazin Royale“ von Jan Böhmermann sind daher nicht im Fokus der Ermittler.
Was ist der NSU?
Als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) waren Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt über Jahre mordend durch Deutschland gezogen. Die Opfer der Rechtsterroristen waren neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Mundlos und Böhnhardt hatten sich 2011 selbst getötet, um ihrer drohenden Festnahme zu entgehen. Zschäpe wurde als Mittäterin zu lebenslanger Haft verurteilt.
Worum geht es bei den NSU-Akten?
Die sogenannten NSU-Akten des hessischen Verfassungsschutzes sind Ergebnis einer Prüfung, bei der die Behörde eigene Akten und Dokumente zum Rechtsextremismus auf mögliche Bezüge zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ untersucht hatte. Um sie gibt es seit Jahren Streit. Die Akten waren zunächst für 120 Jahre als geheim eingestuft worden, später wurde die Zeit auf 30 Jahre verringert. Mehr als 130 000 Menschen haben in einer Petition die Veröffentlichung gefordert.
Um welche Informationen geht es konkret bei den veröffentlichten Unterlagen?
Bei den Dokumenten handelt es sich um als Verschlusssachen eingestufte Berichte aus den Jahren 2013 und 2014. Dabei geht es um das Ergebnis einer rückblickenden internen Prüfung der Erkenntnislage des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen aus dem Zeitraum von Anfang Januar 1992 bis Ende Juni 2012.
Es handelt sich laut Verfassungsschutz nicht um sogenannte „NSU-Akten“, sondern um die Berichte „Aktensichtung 2012 - Fachlicher Abschlussbericht zur Aktenprüfung im LfV Hessen“ vom 19. Dezember 2013 sowie „Abschlussbericht zur Aktenprüfung im LfV Hessen im Jahre 2012“ vom 20. November 2014.
Warum werden NSU-Dokumente als geheim eingestuft?
Die Einstufung von nachrichtendienstlichen Erkenntnissen als Verschlusssachen folgt normierten Vorgaben, um die Vertraulichkeit der Informationen zu wahren. Dabei geht es etwa um den Quellenschutz. Menschlichen Quellen könnte bei Bekanntwerden ihrer Tätigkeit für einen Nachrichtendienst eine Gefahr für Leib und Leben entstehen. Eine Weitergabe von Verschlusssachen an unbefugte Dritte stellt eine Straftat dar.
Welche Einstufungen von Verschlusssachen gibt es?
Es gibt die Geheimhaltungsgrade: VS - Nur für den Dienstgebrauch, VS - Vertraulich, Geheim und Streng Geheim. Unterschieden werden muss zwischen dem Geheimhaltungsgrad und der Einstufungsfrist: Die Einstufungsfrist bestimmt die Dauer, für die die Verschlusssache eingestuft bleibt. Erst nach Ablauf dieser Frist ist die Verschlusssache deklassifiziert, also offen. Es gibt Fristen für die Einstufung von 30, 50, 90 und 120 Jahren. Die besonders lange Einstufung gilt für sehr sensible Vorgänge und um auch Kinder und Enkel von menschlichen Quellen zu schützen.
Wer wusste bislang vom Inhalt der veröffentlichten NSU-Unterlagen?
Die Dokumente haben zwei Untersuchungsausschüssen des hessischen Landtags vollständig vorgelegen. Auch die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission Verfassungsschutz hatten jederzeit die Möglichkeit, die Aktenprüfungsberichte einzusehen. Die Dokumente wurden dem Bundeskriminalamt, der Generalbundesanwaltschaft sowie dem hessischen Landeskriminalamt zur Verfügung gestellt.
Wie sind die Reaktionen auf die Veröffentlichung?
Ein Sprecher der Bundesregierung erklärte, er könne sich zum konkreten Fall der hessischen NSU-Akten nicht äußern. „Grundsätzlich“ würde er aber sagen, „dass es aus guten Gründen Einstufung von Akten gibt und dass Verstöße gegen so etwas erst mal nicht Schule machen sollten“.
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Bei der Veröffentlichung eigentlich vertraulicher Akten lasse sich unter Umständen etwas über die Arbeitsweise von Sicherheitsbehörden ableiten, erklärte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Dies sei für die Arbeit dieser Behörden „eine Gefahr und ein Hindernis“.(dpa)