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„Vereinte Patrioten“Karl Lauterbach entführen und die Regierung stürzen – So lief die Verschwörung

Lesezeit 8 Minuten
Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Belgischen Viertel in Köln.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach im Belgischen Viertel in Köln.

In Koblenz beginnt der Prozess gegen die „Vereinten Patrioten“: Vier Männer und eine Frau, die die Regierung stürzen und das Kaiserreich zurückwollten – mit Gewalt.

Der Wind verweht das Laub vom vergangenen Herbst am Hintereingang der Villa am Hang von Flöha in Sachsen. Das neue Gras sprießt überall im Terrassengarten. Seit sieben Monaten sind Haus und Garten sich selbst überlassen. Am 13. Oktober 2022 wurde die einzige Bewohnerin der früheren Fabrikantenvilla, die 75‑jährige Elisabeth R., verhaftet und mit einem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen. Ab Mittwoch muss sich die pensionierte Theologin und Religionslehrerin vor dem Oberlandesgericht Koblenz verantworten. Sie ist als Rädelsführerin einer terroristischen Vereinigung angeklagt, die von den Ermittlungsbehörden als „Vereinte Patrioten“ geführt wird.

Es ist abwegig zu glauben, eine Regierung könnte stürzen, nur weil einer ihrer Minister erschossen würde
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach

Vorgeworfen wird Elisabeth R. und vier Männern zwischen 44 und 56 Jahren auf den 145 Seiten der Anklageschrift nichts weniger als ein geplanter Staatsstreich: In ihrem ebenso krude wie gefährlich klingenden Plan sollen sie vorgehabt haben, durch Attacken gegen Strommasten einen wochenlangen Blackout herbeizuführen, Bundes­gesundheits­minister Karl Lauterbach zu kidnappen und dadurch „bürgerkriegsähnliche Zustände“ herbeizuführen, in einer Fernsehansprache durch ein Double von Bundeskanzler Olaf Scholz oder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Bundesrepublik für aufgelöst zu erklären und durch eine „konstituierende Versammlung“ auf Basis der Reichsverfassung von 1871 zu ersetzen.

Einblicke in eine bizarre Gedankenwelt aus Terrorplänen, Rechtsextremismus und Verschwörungsphantasien

„Die mutmaßlichen Täter haben ihre eigenen Möglichkeiten dramatisch überschätzt“, sagt der Mann, den die Verschwörer als Erstes im Visier hatten. „Es ist abwegig zu glauben, eine Regierung könnte stürzen, nur weil einer ihrer Minister erschossen würde“, erklärt Karl Lauterbach gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Dennoch mahnt er, diese Pläne ernst zu nehmen. „Es besorgt mich aber, dass sich solche Gruppen jederzeit bilden können und auch Zugang zu Waffen haben.“ Lauterbach dankt den Beamtinnen und Beamten, die an der Verhaftung der Gruppe beteiligt waren, und er dankt seinen Personenschützern: „Sie riskieren ihr Leben für uns.“

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Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister, spricht.

„Es besorgt mich“: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wollten die Verschwörer entführen.

Elisabeth R., der vom Boulevard der Beiname „Terror-Oma“ verpasst wurde, gilt als treibende Kraft und ideologischer Kopf. Ihr Leben lang hat sie Bücher geschrieben und publiziert. Zu ihrer aktiven Zeit Fachliteratur über Religionsunterricht, nach der Pensionierung dann „Reichsbürger“-Pamphlete, mit stilisierten Lebensrunen auf dem Umschlag und antisemitischen Stereotypen im Text. 2020 schrieb sie eine 25‑seitige „Anklage“ gegen die Mitglieder der Bundesregierung, des Bundestags sowie die Ministerpräsidenten und die Verfassungsrichter, auch diese voller antisemitischer, rechtsextremer und verschwörungserzählerischer Versatzstücke.

Das alles verfasste sie anscheinend in den einzigen bewohnbaren Räumen im ersten Stock der alten Villa. Im Ort habe sie keiner gekannt, Besuch habe sie nie gehabt, sagen Nachbarn. Oft habe sie im Garten gearbeitet und immer gegrüßt, „wie sich’s gehört“. Die Verhaftung war das Ereignis des Jahres im ruhigen Neubauviertel am Hang hinter der Villa. Über R.s Pläne und Ansichten reden die Nachbarn nicht. Doch dann sagt einer, der mit Einkaufstüten den Hang hinaufkommt, den Satz: „Da müssen sich die Regierenden auch nicht wundern.“

Jahre der Corona-Krise: Menschen radikalisierten sich auf Netzwerken wie Telegram

Der Weg vom Unmut, erst über die Corona-Maßnahmen, dann über die Energiekrise, zum Verständnis auch für Gewalt ist bei manchen kurz. Für die Angeklagten und ihr Umfeld dauerte es knapp zwei Jahre vom Gedanken zur geplanten Tat. Es waren die Jahre der Corona-Krise, die vor allem auf dem Netzwerk Telegram Menschen zueinander finden ließ und radikalisierte. Sie mochten aus unterschiedlichen Regionen und Hintergründen kommen, aber nun glaubten sie, gemeinsame Gegner zu sehen: Die Regierung, die Protagonisten der „neuen Weltordnung“, die „Impf-Mafia“. Bill Gates, George Soros, der IWF. Die Juden.

Niemand könne Abhilfe schaffen, nicht die AfD, nicht „Q“, nicht die prominenten „Querdenker“ und Verschwörungserzähler wie Michael Ballweg oder Attila Hildmann. Alle seien auf die eine oder andere Weise Marionetten des Systems. Sie müssten es selbst angehen. Und hatten endlich ein Ziel, für das es sich „zu sterben lohnt“.

Es sind Menschen wie Sven B., 55 Jahre alt, selbständiger Buchhalter in Falkensee im Berliner Speckgürtel. Ein Mann mit Vergangenheit in der Nationalen Volksarmee der DDR und ein Freund Russlands. Von 1986 bis 1990 war er an der Offiziershochschule der Landstreitkräfte im sächsischen Zittau stationiert. An der Autoantenne seines Opel flattert das „Georgsband“. Es ist nicht nur ein Erkennungszeichen von Putin-Unterstützern im Allgemeinen, sondern auch des deutschen Ablegers der „Nationalen Befreiungsbewegung“ Russlands (NOD), der Schnittmengen zu „Reichsbürgern“ aufweist.

Sven B. war auch in Telegram-Kanälen der NOD aktiv sowie im „Veteranen-Pool“, wo sich am Rande der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen ehemalige Bundeswehr- und NVA-Soldaten zusammenfanden. Er nannte sich dort „Georg im Widerstand“ oder „Sven Georg“ – ein weiterer Verweis auf das Georgsband.

Georgsbänder am Zaun der ukrainischen Botschaft in Moskau.

Das „Georgsband“ ist ein Erkennungszeichen von Putin-Unterstützern und denen des deutschen Ablegers der „Nationalen Befreiungsbewegung“ Russlands (NOD), der Schnittmengen zu „Reichsbürgern“ aufweist.

Der 56-jährige Thomas O. aus Neustadt an der Weinstraße wiederum trieb sich bei den „Corona Rebellen Pfalz“ herum sowie in einer Gruppe, die sich „Tag X Deutschland“ nennt. Der Frührentner stammt aus Thüringen, auch er war bei der NVA, diente bei der Volksmarine auf dem Küstenschutzschiff „Berlin“.

Sven B. wurde zum Anführer, Thomas O. zu seinem Stellvertreter. Zusammen rekrutierten sie Gleichgesinnte für ihre im Oktober 2021 gegründete Telegram-Gruppe „Aktive Patrioten/Veteranen“. Hier ging es nicht mehr nur darum, Dampf abzulassen. Bald ging es immer konkreter darum, „wirklich ins Handeln zu kommen“. Die beiden hielten von Brandenburg und Rheinland-Pfalz aus auch persönlich Kontakt zu möglichen Mitstreitern. „Mein Zeitplan ist derzeit genauso voll wie der von Georg. Stets unterwegs im Westen von Deutschland. Sozusagen geteilte Aufgaben“, schreibt Thomas O. einmal.

Ziel: unter dem Radar bleiben

Die Beiträge in der geschlossenen Gruppe schwanken zwischen offenen Gewaltfantasien und andauernden Appellen, mehr Vorsicht walten zu lassen. Mehrere User malen sich aus, wie sie die neu gewählte Bundesregierung „an die Wand stellen“ und dann „rot färben“ wollen. Dann aber schreibt Thomas O.: „Oberstes Ziel: unter dem Radar bleiben.“ Und in einer anderen Nachricht: „Es ist nicht mein erstes Rodeo. Ich habe es erfahren dürfen zu DDR Zeiten, wie man unterm Radar bleibt bei Stasi und Co.“

Gelungen ist es ihm nicht. Thomas O. wurde am 13. April 2022 verhaftet, als er auf dem Parkplatz des Globus-Markts in Neustadt einen vorgeblichen Waffenhändler traf, der ihm eine Kiste mit zwei Sturmgewehren und vier Glock-Pistolen anbot. Der Dealer war ein verdeckter Ermittler.

Aber nicht nur die Polizei ist informiert. Ein antifaschistisches Recherchekollektiv aus der Region liest die Chats in der geschlossenen Gruppe mit. Das RND konnte Screenshots einsehen und auch Fotos, die bei insgesamt drei konspirativen Treffen der „Veteranen und Patrioten“ entstanden.

Pläne für einen Blackout: Man habe „nur einen Schuss, der wirklich sitzen muss“

In den Chats deuteten sie ihre Pläne nur an: „Ich habe Ideen, da geht einem das Licht bei aus“, schreibt einer. Oder: „Ich will den Himmel schwarz färben“ – mutmaßlich eine Ankündigung des geplanten Blackouts. Der Mitangeklagte Thomas R., Eisenbahner aus Bayern, gebürtig aus Thüringen, bietet an: „Den einen oder anderen Eimer Thermit kann ich schon einmal sozialistisch umlagern.“ Thermit wird zum Schweißen von Schienen verwendet, kann aber auch für Granaten und Brandbomben verwendet werden. R. ist mit 51 zu jung, um noch bei der NVA gedient zu haben, er war in den Neunzigern bei der Bundeswehr und schwärmt bis heute von den Rechtsrockern von „Störkraft“.

Thomas O. – wie Sven B., Elisabeth R. und der fünfte Mann Michael H. als Rädelsführer angeklagt – wirbt immer wieder für Treffen in der realen Welt. „Wann und wie diese Aktion genau aussieht, wird nur in einem persönlichen Gespräch mitgeteilt“, schreibt er.

Am 19. März 2022 trifft sich der harte Kern auf einem Pendlerparkplatz an der Autobahn 71 in Thüringen. Thomas O. ist auf den Fotos in roter Jacke zu sehen, nicht gerade tarnfarben, aber dadurch vielleicht umso gewöhnlicher. Im Chat hat er geworben: „Wir haben uns für diese Gruppe entschieden, weil wir etwas in diesem Land verändern wollen.“ Man habe „nur einen Schuss, der wirklich sitzen muss“. Bei „Thüringer Bratwurst und Steaks“ sowie dem „einen oder anderen Bierchen“ ging es dann um die konkrete Planung.

Die Chats erzählen nicht alles. Es muss weitere Kanäle geben, bis zu 70 Beteiligte zählen die Ermittler. Im Prozess soll auch ans Licht kommen, wie Elisabeth R. und Michael H., 44, zur Gruppe stießen – H. ist ein Alleinunterhalter aus Bad Zwischenahn, der für den „administrativen Zweig“ rekrutiert wurde. In bislang 41 angesetzten Verhandlungstagen werden auch die Verbindungen zu der anderen verhinderten Verschwörergruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß auf den Tisch kommen, gegen die der Generalbundesanwalt noch ermittelt.

„Eine gewaltorientierte Mischszene“: Verfassungsschutz beobachtet mehrere Gruppen und Einzelpersonen

Davon gibt es gleich mehrere: Bei Peter Wörner, Ex‑Soldat beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, rückten Ermittler bei der Razzia gegen die „Vereinten Patrioten“ im April 2022 an. Danach sollen sie den früheren Elitesoldaten überwacht haben und auf die Spur der Reußen-Verschwörer gekommen sein.

Auch im sächsischen Olbernhau gab es im April 2022 Durchsuchungen – bei der Reußen-Razzia im Dezember wurden dort zwei Männer festgenommen. Einige der offenen Telegram-Kanäle, auf denen die Verschwörer Gefolgsleute rekrutierten, gibt es nicht mehr. Andere, wie der „Tag X Deutschland“, sind nach wie vor aktiv.

Man sehe eine „gewaltorientierte Mischszene, in der Reichsbürgerideologien, Verschwörungserzählungen aus dem Bereich der Delegitimierer und rechtsextremistische Narrative zusammenfließen“, teilt das Bundesamt für Verfassungsschutz auf RND-Anfrage mit. „Sowohl die Gruppe um Prinz Reuß als auch die ‚Vereinten Patrioten‘ sind Beispiele dieser Mischszene.“ Die Verfassungsschützer hätten „entsprechende Einzelpersonen und Gruppierungen genauestens im Blick“.

Die Klientel sei „von der Intensität der Ermittlungen beeindruckt“, sagt Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts. „In Vernehmungen sagen viele das, was sie immer sagen: Wir haben nichts geplant, und wenn, dann waren es nur wenige – und immer die anderen.“