Immer noch ist der Paragraf 218 eine der bekanntesten Normen im Strafgesetzbuch – auch wenn er in der Praxis kaum noch eine Rolle spielt. Nur 11 Menschen wurden im Jahr 2019 wegen illegaler Abtreibungen verurteilt. Die seit 1995 geltende relativ liberale Regelung der Schwangerschaftsabbrüche hat den Konflikt weitgehend befriedet.
Vor 150 Jahren bekam das neue Deutsche Reich ein Reichsstrafgesetzbuch. Es wurde am 15. Mai 1871 verkündet und enthielt auch einen Paragraf 218. Der Abbruch von Schwangerschaften wurde damals mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus bestraft. Ausnahmen gab es keine. Ein Novum war das jedoch nicht. Auch in den zuvor geltenden Strafgesetzen der deutschen Kleinstaaten waren Abtreibungen strafbar.
Todesstrafe für Abtreibungen in Nazi-Deutschland
Eine erste Reformdiskussion gab es in der Weimarer Republik, weil immer wieder Frauen an heimlich durchgeführten Abtreibungen verbluteten. Die illegalen „Engelmacher“ hatten oft keinerlei Ausbildung. Doch politisch war eine Liberalisierung nicht durchsetzbar. Immerhin ließ das Reichsgericht 1927 Abbrüche durch Ärzte zu, wenn die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Frau bedrohte.
Im Dritten Reich gab es eine zweigleisige Bevölkerungspolitik. Für „minderwertige“ Frauen wie Jüdinnen wurde der Schwangerschaftsabbruch freigegeben, für arische Frauen wurde er erschwert. 1943 führten die Nazis für Personen, die fortgesetzt gewerbliche Abtreibungen betrieben, sogar die Todesstrafe ein. Damit sollte die „Lebenskraft des Volkes“ geschützt werden.
Stern-Titel mit prominenten Gesichtern
Nach 1945 galten wieder die Regeln der Weimarer Zeit, wobei Ärzte bei der Annahme einer Notlage großzügiger wurden und auch soziale Aspekte eine zunehmende Rolle spielten. Rechtssicherheit gab es aber nicht.
Aus der Studentenbewegung ging nach 1968 auch die moderne Frauenbewegung hervor. 1971 bekannten über 300 Frauen auf dem Titelbild der Illustrierten „Stern“: „Ich habe abgetrieben“. Mit dabei waren auch berühmte Schauspielerinnen wie Romy Schneider und Senta Berger. Die Feministin Alice Schwarzer hatte die Aktion initiiert. Die neue Frauenbewegung forderte unter dem Motto „Mein Bauch gehört mir“ eine ersatzlose Streichung von Paragraf 218. Mit den Stimmen von SPD und FDP beschloss der Bundestag im Sommer 1974 eine Fristenlösung. Der Schwangerschaftsabbruch wurde erlaubt, wenn er in den ersten zwölf Wochen durchgeführt wurde.
Vorstoß von SPD und FDP von CDU blockiert
Doch auf Antrag der baden-württembergischen CDU-Landesregierung stoppte das Bundesverfassungsgericht die Fristenlösung sofort per Eilbeschluss. Ein Jahr später, 1975, erklärte Karlsruhe den liberalisierten Paragraf 218 für verfassungswidrig. Das Recht auf Leben gelte von Anfang an, also auch für das ungeborene Leben.
Der Bundestag beschloss darauf 1976 eine Indikationenlösung. Schwangerschaftsabbrüche waren rechtmäßig, wenn es eine medizinische oder soziale Notlage gab sowie nach einer Vergewaltigung oder wenn ein behindertes Kind erwartet wurde.
Aktuelle Regelung der Straflosigkeit seit 1995
In der DDR war 1972 eine Fristenlösung eingeführt worden, die bis 1992 galt. Frauen hatten in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft sogar einen Anspruch auf einen Abbruch. Nach der Wiedervereinigung musste eine einheitliche Rechtslage hergestellt werden. Auf Vorschlag der CDU-Politikerin Rita Süssmuth beschloss der Bundestag 1992 eine Beratungslösung: Abtreibungen sind in den ersten zwölf Wochen erlaubt, wenn die Frau sich im Sinne des Lebensschutzes beraten lässt.
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Doch 1993 blockierte das Bundesverfassungsgericht zunächst auch diese Reform, weil das ungeborene Leben zu wenig geschützt werde. Abbrüche nach der Beratungslösung dürfen nun zwar „straflos“ bleiben, müssen aber formal als „rechtswidrig“ eingestuft werden, so die Karlsruher Vorgabe. 1995 beschloss der Bundestag eine entsprechend angepasste Beratungslösung, die bis heute gilt.
In den letzten Jahren gab es in Deutschland jeweils rund 100000 Schwangerschaftsabbrüche, davon über 95 Prozent nach der Beratungslösung, die übrigen meist aufgrund einer medizinischen Indikation. Dass Abbrüche nach der Beratungslösung eigentlich „rechtswidrig“ sind und nur geduldet werden, ist heute weitgehend unbekannt.