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Hoffen auf WoelkiVom Priester missbraucht und zur Abtreibung gedrängt

Lesezeit 7 Minuten

Die Beichte wurde für Karin Weißenfels zu einem traumatischen Erlebnis (Symbolbild).

In einem Aufsehen erregenden Missbrauchsfall aus dem Bistum Trier setzt das Opfer auf den Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Woelki, und dessen Versprechen einer umfassenden Aufarbeitung.Woelki hat eine Aufsichts- und Kontrollfunktion über die Bischöfe in der Kölner Kirchenprovinz („Metropolit“), unter ihnen die Bischöfe von Trier. Dort stehen der frühere Bischof Reinhard Marx (heute Kardinal und Erzbischof von München) sowie sein Nachfolger Stephan Ackermann im Verdacht, im Fall der heute 61 Jahre alten Karin Weißenfels (Name geändert) den Täter über Jahre geschützt und auch einen weiteren Priester nicht belangt zu haben, der sexualisierter Gewalt Vorschub geleistet und zur Verheimlichung des Geschehens beigetragen haben soll.

Weißenfels’ Anwalt Harald Schloßmacher bittet Woelki nun, „das von unserer Mandantin Erlittene“ durch eine unabhängige Stelle aufarbeiten zu lassen. Schloßmachers Brief vom 3. Mai ist in dieser Sache allerdings bereits der vierte Anlauf.

Bislang hatte der von Woelki im März beurlaubte und Ende April entpflichtete Kölner Offizial (Kirchenrichter) Günter Assenmacher Weißenfels’ Ansinnen in Woelkis Auftrag zurückgewiesen und den Kölner Erzbischof für nicht zuständig erklärt. „Wir haben das Ergebnis unserer Prüfung Kardinal Woelki vorgetragen, der mich gebeten hat, es Ihnen mitzuteilen“, schrieb Assenmacher im August 2019.

Als Weißenfels mehr als ein Jahr später auf eine Begründung drang, beschied der Prälat sie Ende 2020 mit Stempel und Unterschrift: „Aus dem vorgelegten Material ist für uns nicht ersichtlich, dass es seitens der Verantwortlichen im Bistum Trier einen Täterschutz gegeben hat.“

Falsche Rechtsauskünfte

Auf einen förmlichen Widerspruch im Januar hat Karin Weißenfels bis heute nicht einmal eine Eingangsbestätigung erhalten. Doch seit dem 18. März ist öffentlich bekannt, dass Assenmacher als Woelkis ranghöchster Fachmann für Kirchenrecht in anderen Missbrauchsfällen falsche Rechtsauskünfte gegeben hat. Das Missbrauchsgutachten der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger (das Gutachten lesen Sie hier) legt Assenmacher dies als Pflichtverletzungen zur Last.

Weißenfels’ Anwalt lässt in seinem jüngsten Brief die Erwartung erkennen, dass sich die Kölner Rechtsauffassung zum Fall seiner Mandantin nach Assenmachers Ausscheiden aus dem Amt ändern könnte. „Nicht ohne Grund haben Sie Dr. Günter Assenmacher zwischenzeitlich von seinen dienstlichen Pflichten entbunden“, schreibt Schloßmacher an Woelki.

Im Juni 2019 hatte sich die studierte Theologin, die 1983 im Bistum Trier angestellt wurde, zum ersten Mal hilfesuchend an Woelki gewandt. Sie sei „Opfer eines sexuellen Übergriffs und nachfolgenden sexuellen Missbrauchs durch ihren ehemaligen Dienstvorgesetzten, der sich von 1989 bis 2002 hinzog“, schrieb ihr Anwalt dem Kardinal.

Ratschlag in der Beichte

Als die sexuell unerfahrene Weißenfels 1989 von ihrem 21 Jahre älteren Pfarrer schwanger wird, drängt dieser sie zu einer Abtreibung. Weil er annimmt, dass sie den Abbruch vorgenommen hat, rät er ihr zur Beichte bei einem mit ihm befreundeten Priester. Tatsächlich aber ist Weißenfels immer noch schwanger, sie möchte das Kind bekommen. In ihrer Not wendet sie sich – wie geheißen – an den Priesterfreund des Kindsvaters. Sie erhofft sich eine Bestärkung in ihrem Wunsch, das Kind zur Welt zu bringen.

Doch auch der Beichtpriester stellt die Abtreibung, für die Kirche ein „verabscheuungswürdiges Verbrechen“ und eine mit härtesten Sanktionen belegte Straftat, als einzig möglichen Weg dar. Andernfalls stünde sie künftig allein da. Der Beichtpriester erteilt Weißenfels die Absolution – wie auch dem Pfarrer für den fortdauernden, zeitweilig fast täglichen Geschlechtsverkehr mit seiner pastoralen Mitarbeiterin.

Striktes Schweigegebot

1998 wechselt der Pfarrer die Stelle, setzt das missbräuchliche Verhältnis aber fort, stets unter strengster Verpflichtung der ihm gefühlsmäßig und geistlich ausgelieferten Frau, darüber zu schweigen. Drei Jahre nachdem sie das Bistum erstmals informiert hat, gelingt Weißenfels die Trennung. 2008 attestiert ihr eine Fachärztin eine krankhafte emotionale Abhängigkeit.

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Der Umgang der Verantwortlichen des Bistums Trier mit dem Fall könne „nur als völlig unzureichend und verantwortungslos beschrieben werden“, heißt es im Schreiben von Anwalt Schloßmacher an Woelki. Insbesondere das „täterschützende Verhalten“ habe dazu geführt, dass Weißenfels „bis heute traumatisiert ist“.

Ausführlich legt Schloßmacher dar, dass die Bistumsleitung die beiden beteiligten Priester über Jahre unbehelligt ließ und einschlägige kirchenrechtliche Vorschriften zur Verfolgung und Sanktionierung ihrer Vergehen nicht anwandte. Auch ihrer Aufklärungs- und Fürsorgepflicht gegenüber dem Opfer seien die Bischöfe nicht nachgekommen. So wurde Marx gegen den Beichtpriester erst auf die Androhung juristischer Schritte hin tätig.

Priester schnell rehabilitiert

Beide Geistlichen durften als Ergebnis einer kirchlichen Untersuchung zwar zeitweilig ihr Priesteramt nicht ausüben, wurden aber schnell rehabilitiert. Der Beichtpriester versah unter Bischof Ackermann bis zu seinem Tod 2019 wichtige Ämter im Bistum. Dass er Weißenfels zur Abtreibung geraten habe, sei ihm nicht erinnerlich, gab er zu Protokoll. Ob er ihr im Gegenteil riet, das Kind zu behalten, wusste er allerdings auch nicht mehr.

Weißenfels schildert ihre Leidensgeschichte in dem Ende 2020 erschienenen Buch „Erzählen als Widerstand“. In einer Vollversammlung des „Synodalen Wegs“, des Reformprozesses der deutschen Kirche, kam der „Fall Weißenfels“ im Februar als besonders erschütterndes Beispiel für die zerstörerischen Folgen des Missbrauchs, aber auch eines – bis heute vergeblichen – Kampfs um Gerechtigkeit zur Sprache.

Kardinal Marx räumte Fehler ein

Die Journalistin Christiane Florin widmete dem Fall im Deutschlandfunk (DLF) eine ganze Sendung. Gehör finden darin auch die Bischöfe Marx und Ackermann. Marx, der 2007 in einem Schreiben an die Glaubenskongregation Fehler im Fall Weißenfels eingeräumt und vor wenigen Wochen nach Opfer-Protesten auf das Bundesverdienstkreuz verzichtet hat, erklärt, er habe seinerzeit den geistlichen Missbrauch Erwachsener nicht im Blick gehabt.

Bischöfe Ackermann und Bätzing

Bischöfe Stephan Ackermann (Trier, links) und Georg Bätzing (Limburg)

Heute sei er sensibler. „So sehe ich mittlerweile, dass die kirchenrechtliche Perspektive Grenzen hat und allein nicht immer den unterschiedlichen Dimensionen eines Falls gerecht werden kann.“

Ackermann verweist in der DLF-Sendung auf sein vielfältiges Bemühen, Weißenfels zu helfen. Mit einjähriger Unterbrechung ist sie seit 2008 vom Dienst freigestellt. „Es gibt kaum einen anderen Fall, an dem ich so sehr an die Grenzen des Rechts, der beteiligten Personen und meiner Möglichkeiten gestoßen bin“, erklärt Ackermann. Auch sein früherer Generalvikar Georg Bätzing, heute Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, betont die Hilfen, die er Weißenfels „im arbeitsrechtlichen Kontext angeboten und umgesetzt“ habe.

Das Opfer spricht von Lügen

Karin Weißenfels empören diese Aussagen. Sie bezeichnet die Darstellungen Ackermanns und Bätzings als nachweislich falsch und gelogen, sieht sich im Stich gelassen, vernachlässigt und als lästige Bittstellerin behandelt. Das Verhalten der Verantwortlichen „verletzt mich bis heute zutiefst“, schreibt sie. Dass ihr mittlerweile 20-jähriger Kampf um Aufarbeitung sich „bis heute hinziehen würde, hätte ich damals nicht gedacht“.

Weil sie vom Bistum Trier inzwischen nichts mehr erwartet und auch in einer etwaigen, von Ackermann eingesetzten Kommission keine unabhängige, unvoreingenommene Stelle sieht, hofft Weißenfels nun auf Kardinal Woelkis Verständnis und auf Unterstützung aus Köln.

Widerspruch eingelegt

Dem ablehnenden Votum des früheren Offizials Assenmacher hat ihr Anwalt entschieden widersprochen. Den Wunsch nach einer abschließenden Klärung des komplexen Sachverhalts durch Woelki als zuständigen Metropoliten begründet er auch mit der „sehr angespannten gesundheitlichen Situation“ seiner Mandantin. Entlastung bringen könne nur eine unabhängige Aufarbeitung. „Unverzügliches Handeln“ sei geboten.

Womöglich hat Karin Weißenfels für ihr Ansinnen einen günstigen Moment erwischt. „Kardinal Woelki verstärkt die Aufarbeitung im Kampf gegen sexualisierte Gewalt weiter“, titelte der Pressedienst des Erzbistums in der vorigen Woche zur Gründung einer neuen „Stabsstelle Aufarbeitung“ im Erzbistum. „Im Sinne der Betroffenen und aller Menschen, die sich und ihre Angehörigen der Kirche anvertrauen, gehe ich weiter mit Tempo alle Veränderungen an“, ließ Kardinal Woelki dazu verlauten.

„Warten auf Reaktion aus Rom“

Auf Anfrage bestätigte das Erzbistum den Eingang von Weißenfels’ jüngstem Schreiben. Ihr Anliegen sei dem Vatikan vom Kölner Offizialat schon vor geraumer Zeit mit allen Unternach Rom gesandt worden. „Das Erzbistum wartet auf Reaktion aus Rom“, sagte Woelkis Sprecher Oliver Schillings.

Bleibt die Frage, wie der Erzbischof selbst sich zu dem Fall verhalten wird. Fest steht: Er ist am Zug. So wartet Karin Weißenfels weiter auf Gerechtigkeit – und auf Kardinal Woelki.