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Größte humanitäre Krise der WeltNot, Erschießungen, sexuelle Gewalt - zwei Jahre Bürgerkrieg im Sudan

Lesezeit 5 Minuten
Unterstützer der sudanesischen Armee fahren mit einem Truck in Gedaref im Osten des Sudan im März 2024. (Archivbild)

Unterstützer der sudanesischen Armee fahren mit einem Truck durch Gedaref im Osten des Sudan im März 2024. (Archivbild)

Zwei Jahre Bürgerkrieg haben aus dem Sudan ein zerstörtes Land gemacht. Die Vereinten Nationen sprechen von der weltweit schlimmsten humanitären Krise - doch dringend benötigte Hilfe fehlt. 

Die Hauptstadt liegt in Trümmern, ein Viertel der Bevölkerung ist auf der Flucht, die Hälfte von akutem Hunger bedroht - das ist nur ein Teil der verheerenden Bilanz nach zwei Jahren Bürgerkrieg im Sudan. Die Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und der paramilitärischen Miliz RSF um die Vorherrschaft in dem nordostafrikanischen Land haben laut Helfern zur weltweit größten humanitären Krise geführt.

Menschenrechtsgruppen werfen beiden Konfliktparteien Kriegsverbrechen vor - den Regierungstruppen etwa willkürliche Bombardierungen und der RSF schwere sexuelle Gewalt, Erschießungen und ethnische Vertreibungen. Ein Ausweg aus dem Blutvergießen ist nicht in Sicht. In London wurde bei einer Konferenz über eine Lösung des Konflikts und eine Verbesserung der humanitären Hilfe beraten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Krise:

Welche Konfliktparteien stehen sich gegenüber?

Der Sudan war nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Omar al-Baschir im April 2019 vom Militär unter der Führung von General Abdel-Fattah al-Burhan regiert worden. Die Junta stand unter wachsendem Druck, die Macht an eine zivile Regierung abzugeben. Im Zuge dessen sollte die paramilitärische Miliz RSF unter al-Burhans Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo im Frühjahr 2023 in die Streitkräfte integriert werden. Die Spannungen zwischen den beiden Militärführern rund um den Übergang zu einer zivilen Regierung nahmen zu. Am 15. April 2023 brachen in der Hauptstadt Khartum Kämpfe zwischen der Armee unter al-Burhan und der RSF-Miliz unter Daglo aus.

Während des größten Teils des Konflikts schien die RSF die Oberhand zu haben. Sie belagerte laut Denkfabrik International Crisis Group (ICG) erst von der Armee kontrollierte Gebiete im Raum Khartum und eroberte anschließend den Großteil Darfurs, mit Ausnahme Nord-Darfurs, sowie einen Großteil der Region Kordofan im Süden. Die Erfolge der RSF erreichten laut ICG jedoch Mitte 2024 ihren Höhepunkt, als die Armee im September eine Gegenoffensive an mehreren Fronten startete.

Anfang 2025 erzielten demnach die Regierungstruppen im Großraum Khartum Fortschritte, die in einer Reihe verheerender Niederlagen für die RSF gipfelten. Ende März eroberte die Armee in einem wichtigen Sieg den Präsidentenpalast in der Hauptstadt zurück.

Droht eine weitere Eskalation?

Die Denkfabrik ICG hält das für wahrscheinlich. Statt den Fortschritt bei der Kontrolle der Hauptstadt „für den Frieden zu nutzen, scheint die Armee auf einen totalen Sieg zu drängen, während die RSF den Krieg auf neue Gebiete ausweiten will“, heißt es im jüngsten ICG-Bericht. „Beide Seiten erhalten weiterhin reichlich Unterstützung von außen, um ihre Kämpfe fortzusetzen.“

Während die Armee politische Unterstützung und Waffenlieferungen arabischer Staaten - insbesondere Ägyptens - erhalte, habe die RSF vor allem in den Vereinten Arabischen Emiraten Rückhalt, heißt es. Eine weitere Eskalation könnte zum Zerfall des Landes führen.

Welche Auswirkungen hat der Konflikt für die Menschen im Sudan?

Zwei Jahre nach Beginn des Konflikts ist nicht klar, wie viele Tote es bisher gibt. Die UN gehen von mehr als 20.000 aus. Es gebe aber auch Schätzungen von bis zu 150.000 Toten, so die Hilfsorganisation International Rescue Comittee.

„Nach allen Maßstäben ist dies die größte humanitäre Krise der Welt“, sagt Shaun Hughes, beim UN-Welternährungsprogramm WFP zuständig für den Sudan. Fast 13 Millionen Menschen seien auf der Flucht und 25 Millionen Menschen von akutem Hunger bedroht, warnt Hughes vor dem, was im dritten Jahr des Konflikts noch kommen könnte: „Das Ausmaß von dem, was im Sudan geschieht, droht vieles von dem, was wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben, in den Schatten zu stellen.“

Hilfsorganisationen beklagen, dass die Aufmerksamkeit für den Sudan weit hinter der für die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine liegt. Das macht sich auch bei der Finanzierung von Hilfsmaßnahmen bemerkbar: Bisher sind nur neun Prozent der Gelder für den internationalen Hilfsplan für den Sudan vorhanden. Benötigt werden laut UN mindestens 1,8 Milliarden US-Dollar. Der Sudan hat gut 50 Millionen Einwohner, mehr als 30 Millionen sind auf Hilfe angewiesen. Auch deshalb sind die Erwartungen an die Konferenz in London hoch. Mehrere diplomatische Anläufe, um eine Waffenruhe und Friedensverhandlungen zu erreichen, waren erfolglos geblieben.

Wie leben die Menschen derzeit in Khartum?

Trotz vieler grausamer Bilder und dramatischer Statistiken: Es gab zuletzt auch Anzeichen für neues Leben in der Hauptstadt. Das Zentrum ähnelt vielerorts weiter einer Geisterstadt, in manche Viertel wagen sich erste Einwohner aber zurück, beobachtete ein dpa-Reporter: An den Kreuzungen warten Teeverkäufer auf Kunden, Kinder spielen auf der Straße Fußball. Lebensmittel aber sind dreimal so teuer wie vor dem Bürgerkrieg.

Wie ist die Lage in Darfur?

In einer zunehmend verzweifelten Lage sind die mindestens 500.000 Menschen im Flüchtlingslager Samsam unweit von El Fascher in Nord-Darfur. Das Lager wurde mehrfach von der RSF angegriffen, mittlerweile ist die Miliz Berichten zufolge in das Lager eingedrungen, nachdem bei einem Angriff vergangene Woche mehr als 100 Menschen getötet wurden. Unter ihnen waren auch rund 20 Kinder und neun Mitarbeiter einer Hilfsorganisation. Zivilgesellschaftliche Organisationen warnen vor der Gefahr eines weiteren Völkermords in Darfur, das schon vor 20 Jahren Schauplatz von Massakern durch arabische Milizen an der einheimischen Bevölkerung war.

Was ist bei der Konferenz in London herausgekommen?

„Die Priorität muss sein, einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen und den Konflikt zu beenden“, teilten die Gastgeberstaaten der Konferenz in London mit. Eine Teilung des Landes müsse vermieden und es müsse Zugang für humanitäre Hilfe geschaffen werden, forderten Großbritannien, Deutschland, Frankreich, die Afrikanische Union und die EU. Das veröffentlichte Papier wurde aber nur von den Gastgebern unterzeichnet, nicht von allen teilnehmenden Staaten.

Angesichts des Ausmaßes der humanitären Krise hätten insgesamt acht Teilnehmer ihre Zusage bekräftigt, in diesem Jahr 813 Millionen Pfund (etwa 953 Millionen Euro) bereitstellen zu wollen, teilte die britische Regierung mit. Deutschland hatte zuvor 125 Millionen Euro an Unterstützung für den Sudan und benachbarte Staaten zugesagt.

Wie wirkt sich der Bürgerkrieg auf die Nachbarstaaten aus?

Beobachtern zufolge besteht die Gefahr einer Destabilisierung der Nachbarländer des Sudan, insbesondere des Tschad und des Südsudan. Die beiden Nachbarn, zwei der ärmsten und wirtschaftlich schwächsten Staaten der Welt, gehören zu den wichtigsten Aufnahmeländern sudanesischer Flüchtlinge. „Der Sudan-Konflikt droht eine ohnehin verletzliche Region zu destabilisieren und hat weitreichende Auswirkungen auf Sicherheit, Wirtschaft und soziale Spannungen“, heißt es in einem Bericht des Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zum zweiten Jahrestag des Konflikts. (dpa)