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Häufung der TatenTheorien über gesteuerte Anschläge in Deutschland nur Spekulation

Lesezeit 7 Minuten
16.02.2025, Bayern, München: Männer und Frauen leuchten mit Taschenlampen, Smartphones, Lichterketten und anderen Leuchtmitteln am Geschwister-Scholl-Platz in München. Unter dem Motto "Nie wieder ist jetzt" haben sich zahlreiche Menschen versammelt, um ein Zeichen zu setzen gegen Hass und Hetze sowie für Demokratie und Menschenrechte. Dabei gedenken sie auch der Opfer des Anschlags vom 13. Februar 2025, als ein Auto in eine ver.di-Demonstration gerast ist. Foto: Pia Bayer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Gedenken an die Opfer des Anschlags von München vom 13. Februar am Geschwister-Scholl-Platz (16. Februar)

Mutmaßungen und Spekulationen kursieren: Sind die Anschläge und Gewalttaten der vergangenen Monate gesteuert, um die Wahlen zu beeinflussen?

Der brutale Mord eines 28-jährigen Afghanen an einem zweijährigen Jungen und einem 41-jährigen Mann in Aschaffenburg hat den Wahlkampf von einem Tag auf den anderen verändert. Seitdem bestimmt eine Debatte um Migration und Sicherheit, Asyl, Abschiebungen und Grenzschließungen die politische Debatte. Keine zwei Wochen vor der Wahl ereignete sich nun in München die nächste schreckliche Tat: Ein 24-jähriger Mann, ebenfalls ein Asylbewerber aus Afghanistan, raste mit einem Auto in eine Gewerkschaftsdemonstration, tötete zwei Menschen und verletzte fast 40 weitere.

In den sozialen Netzwerken, aber auch in Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurde seitdem mehrfach die Frage gestellt: Kann das ein Zufall sein – oder besteht eine Verbindung zwischen diesen Taten, die sich auffällig kurz vor der richtungsweisenden Bundestagswahl ereigneten? Hinter dieser Frage steckt eine weitere, die nicht in jedem Fall klar ausformuliert wird: Sind die Taten gar gesteuert, etwa durch Russland, das erwiesenermaßen versucht, die Bundestagswahl zu beeinflussen?

Anschläge: Welche Mutmaßungen und Behauptungen kursieren?

Die bekannte WDR-Journalistin Isabel Schayani schrieb beispielsweise auf X (vormals Twitter): „Ich komme nicht umhin, zu fragen: Wer könnte von solchen Anschlägen profitieren? Könnte es Auftraggeber geben? Die an einer Destabilisierung von 🇩🇪 interessiert sind? Klingt nach Verschwörung, aber Anschläge vor Wahlen…ist nur immer Koinzidenz?“

Die ZDF-Journalistin und Moderatorin Marietta Slomka schrieb auf der Plattform Bluesky: „Magdeburg. Aschaffenburg. München. Wenn jemand versuchen wollte, Einfluss auf den deutschen Wahlkampf zu nehmen, würde er/sie/es sich das genau so ausmalen.“

Am vergangenen Donnerstag, dem Tag des Anschlags von München, brachte der Sicherheitsexperte Jörg Trauboth im ausführlichen Studiogespräch mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix die Frage „Cui Bono?“ in die Debatte ein – lateinisch für „wem nützt es“. Er glaube nicht an die Tat eines Einzeltäters in München. „Ich glaube, dahinter könnte etwas ganz anderes stecken“, sagte Trauboth. Aufgrund der Häufung solche Taten vermute er ein System dahinter. „Irgendetwas sagt mir, der Wahlausgang soll beeinflusst werden“, so Trauboth. Es handele sich bei den Tätern stets um Ausländer und um „low level Täter, die möglicherweise von irgendwoher eingekauft wurden und die einen Auftrag haben“.

Dieser Auftrag sei es, Unruhe zu schaffen und möglicherweise kurz vor der Wahl, die Migrationspolitik auf den Prüfstand zu stellen. Es könne sein, dass die Bedrohung von innen komme, aber von außen gesteuert werde. Belege für seine Spekulationen blieb Trauboth in der Phoenix-Sendung schuldig, auch die Moderatorin forderte sie nicht ein.

Auf X und anderen Social-Media-Plattformen verbreiteten zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer – darunter auch reichweitenstarke Publizisten und Influencer – ähnliche Mutmaßungen.

Was ist aus den deutschen Sicherheitsbehörden zu diesen Mutmaßungen zu hören?

Dafür, dass es sich bei der Häufung islamistischer Anschläge und von Asylbewerbern begangener Gewalttaten in den vergangenen Monaten um geplante und gesteuerte Taten zur Beeinflussung von Wahlen in Deutschland handeln könnte, haben die deutschen Sicherheitsbehörden nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) aus Sicherheitskreisen keinerlei Hinweise. Die Tatverdächtigen der vergangenen Monate wurden auf mögliche Verbindungen hin überprüft – ohne entsprechende Erkenntnisse zu erlangen.

Es handelt sich deshalb um unbelegte Spekulationen.

Bereits im vergangenen Jahr kam es kurz vor der Europawahl zu einem islamistischen Messeranschlag durch einen afghanischen Täter in Mannheim, bei dem ein Polizist getötet wurde. Kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst tötete ein syrischer Islamist in Solingen außerdem drei Menschen auf einem Stadtfest. Schon damals kursierten im politischen Berlin Fragen, ob es sich um gesteuerte Taten zur Beeinflussung der Wahlen handeln könnte. Und bereits damals wurden diese Spekulationen in Sicherheitskreisen zurückgewiesen und klargestellt, dass es keinerlei Hinweise auf derartige Vorgänge gebe.

Es ist davon auszugehen, dass Ermittler und Nachrichtendienste solchen Fragen künftig noch verstärkt nachgehen werden. „Bei der auffälligen Häufung dieser entsetzlichen Taten unmittelbar vor der Bundestagswahl müssen die Sicherheitsbehörden mit Blick auf die Motivlage des mutmaßlichen Täters und die genauen Hintergründe der Tat einen breiten Ansatz wählen“, sagte der Grünen-Fraktionsvize und Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz, dem RND mit Blick auf den Anschlag von München. „Auch die Tätigkeit des Tatverdächtigen bei einer Sicherheitsfirma wirft Fragen auf, denen die Ermittlungsbehörden nachgehen werden“, fügte er an.

Welche Hinweise geben die Biografien der Tatverdächtigen?

Bei den Spekulationen über möglicherweise zusammenhängende Taten wird vor allem auf diese Anschläge und Gewalttaten der vergangenen Monate verwiesen:

Der islamistisch motivierte Messeranschlag auf den rechten Islamfeind Michael Stürzenberger in Mannheim am 31. Mai 2024, bei dem der Polizist Rouven L. getötet wurde. Der Täter ist ein zur Tatzeit 25-jähriger afghanischer Asylbewerber, der 2013 als Jugendlicher nach Deutschland kam.Der ebenfalls islamistisch motivierte Messeranschlag auf ein Stadtfest in Solingen am 23. August 2024, bei dem ein 26-jähriger syrischer Asylbewerber drei Menschen tötete und weitere verletzte.Die Amokfahrt auf dem Madgeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024. Der aus Saudi-Arabien stammende Psychiater Taleb al-A. tötete sechs Menschen und verletzte etwa 300 weitere. Taleb al-A. ist kein Islamist, sondern war in den vergangenen Jahren durch eine extreme Islamfeindschaft und eine Nähe zu Rechten und Rechtsextremen aufgefallen. Seine über Jahre hinweg in sozialen Medien getätigten Veröffentlichungen deuten darauf hin, dass al-A. offenbar durch einen Verfolgungswahn getrieben war.Der Messerangriff von Aschaffenburg am 22. Januar 2025, bei dem ein ausreisepflichtiger 28-jähriger Afghane eine Kindergartengruppe angriff und einen zweijährigen Jungen und einen 41-jährigen Mann tötete und weitere verletzte. Hinweise auf ein islamistisches Motiv gab es nicht, der Täter war vor der Tat mehrfach in psychiatrischer Behandlung und fiel auch schon mehrfach durch Gewalttaten auf.Der Anschlag von München am 13. Februar 2025, bei dem ein 24-jähriger afghanischer Asylbewerber mit einem Auto in eine Demonstration der Gewerkschaft ver.di raste und eine 37-jährige Mutter und ihr zweijähriges Kind tötete und zahlreiche weitere Menschen verletzte. Den Sicherheitsbehörden war der Mann zuvor nicht als Islamist aufgefallen, die Ermittler gehen jedoch von einem islamistisch motivierten Anschlag aus.

Sowohl die Taten selbst als auch die Biografien der Täter und – insoweit sie bekannt sind – deren Tatmotive unterscheiden sich zum Teil deutlich. Hinweise auf direkte Verbindungen zwischen den Taten oder den Tätern gibt es nicht.

Welche Erklärungen gibt es für die Häufung solcher Taten in den vergangenen Monaten?

Gerade islamistische Attentate und Attentatsplanungen haben seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 nicht nur in Deutschland, sondern europaweit zugenommen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und andere Nachrichtendienste warnen seitdem beständig vor einer gestiegenen Terrorgefahr. Der Terrorismusexperte Peter R. Neumann verweist in diesem Zusammenhang auf die immer schnellere Radikalisierung junger Islamisten im Internet. Zu erklären sei das durch die sogenannte „algorithmische Amplifizierung“, sagte Neumann am Montag im ZDF-Morgenmagazin.

Junge Muslime interessierten sich beispielsweise für die Situation im Nahen Osten, klickten erste islamistisch angehauchte Videos an und bekämen in der Folge immer mehr solcher Videos angezeigt. „Und man kriegt von der Plattform das Netzwerk noch dazu geliefert. Es ist einfacher denn je, in diesen islamistischen oder dschihadistischen Blasen zu landen und das endet dann irgendwann in einer Telegram-Chatgruppe, wo man sich bespricht und möglicherweise einen Anschlag plant.“ Es seien „Radikalisierungszyklen“ zu beobachten, die sich in Wochen oder wenigen Monaten abspielten – was für die Sicherheitsbehörden sehr schwer zu erkennen sei.

Die Häufung von Anschlägen könnte zudem auch durch Nachahmungstaten erklärbar sein: Die vergangenen Anschläge haben jeweils umfangreiche Berichterstattung ausgelöst und die politischen Debatten in Deutschland stark und nachhaltig geprägt. Durch die Art der Berichterstattung können auch Medien dabei eine unrühmliche Rolle spielen: Einige Medienberichte stellen die Täter und zum Teil sogar das von ihnen erstellte Propagandamaterial in den Vordergrund, zeigen Täter in einer fast schon heroisierenden Weise. Auch aus der Auseinandersetzung mit rechtsterroristischen Taten ist seit Jahren bekannt, dass das ungefilterte Verbreiten von Täter-Bildern und terroristischen Propaganda-Inhalten Nachahmungstäter motivieren kann, die mit ihren Anschlägen auch ein Geltungsbedürfnis befriedigen wollen.

Was ist über Russlands Einflussversuche in Deutschland bekannt?

Für die Spekulationen, insbesondere Russland könnte hinter diesen Terror- und Gewalttaten in Deutschland stecken, um Einfluss auf Wahlen auszuüben, gibt es bislang keine Belege. Klar ist jedoch, dass Russland mit diversen Methoden versucht, Einfluss in Deutschland zu nehmen. Im Vorfeld der Bundestagswahl lassen sich intensivierte Desinformations-Kampagnen beobachten, das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt außerdem seit geraumer Zeit vor gezielten Sabotageakten in russischem Auftrag. Zuletzt war bekannt geworden, dass Beschädigungen an Hunderten Autos in mehreren Städten in Deutschland, mit denen offenbar Stimmung gegen Klimaaktivisten und die Grünen gemacht werden sollte, mutmaßlich aus Russland beauftragt und finanziert wurden.

Auch hinter einem in Brand geratenen Paket auf dem Leipziger Flughafen im vergangenen Jahr sollen russische Auftraggeber stecken. Der „Tiergarten-Mord“ in Berlin und der Giftanschlag auf Sergej Skripal in Großbritannien zeigen, dass russische Geheimdienste auch vor Mordanschlägen in westlichen Staaten nicht zurückschrecken.

Vorstellbar wäre eine Involvierung russischer Geheimdienste etwa in die gezielte Radikalisierung oder Anstiftung potenzieller islamistischer Attentäter in Deutschland deshalb grundsätzlich.