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InterviewNRW-Grünenchefin Mona Neubaur: „Hambach rüttelt alle wach“

Lesezeit 6 Minuten

NRW-Grünen-Chefin Mona Neubaur beim Interview in der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“

KölnFrau Neubaur, wie reagieren Sie auf den Todesfall im Hambacher Wald?

Der Todesfall im Hambacher Wald macht mich zutiefst betroffen. Mit den Gedanken bin ich in dieser Stunde bei den Angehörigen und Freunden des Toten. Es ist richtig, dass alle polizeilichen Maßnahmen auf die Aufklärung des Vorfalls konzentriert werden. Wichtig ist jetzt eine umfassende Ermittlung der Umstände, die zum Tod des Mannes geführt haben. Eine Bewertung dieses dramatischen Vorfalls verbietet sich derzeit.

Die Grünen wollen ihren kleinen Parteitag am Hambacher Forst abhalten. Wirkt das deeskalierend?

Alles zum Thema RWE

Ein Parteitag ist doch keine Eskalation, da geht es um innerparteiliche Demokratie. Der Veranstaltungsort ist damit ein Zeichen des friedlichen Protests. Wir Grüne positionieren uns klar: Wer Steine auf Polizisten wirft, ist kein Umweltaktivist, sondern ein Straftäter. Diese Haltung vertreten wir seit Jahren. Der allergrößte Teil des Protests verläuft bislang absolut friedlich.

Die NRW-Bauministerin wirft den Grünen vor, die „Demonstranten“ aufzuwiegeln. Was sagen Sie dazu?

Der Versuch, den friedlichen Protest zu kriminalisieren und eine Kulisse der Gewalt aufzubauen, wird der CDU auf die Füße fallen. Die Kritik an der Braunkohle ist in der Breite der Gesellschaft tief verwurzelt. Bei den Waldspaziergängen in Hambach sind alle vertreten, von Familien mit Kleinkindern bis zu rüstigen Rentnerinnen in beige. Selbst die Handwerkskammern machen mobil. Sie verstehen nicht, warum Diesel-Fahrverbote drohen, während RWE weiter die Luft verpesten darf.

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Glauben Sie daran, dass der Forst gerettet werden kann?

Wenn der politische Wille dazu vorhanden wäre. Leider sieht sich die schwarz-gelbe Landesregierung, als Erfüllungshilfe von RWE, offenbar nur dem Wohl des Konzerns verpflichtet. Es ist eine Mär zu behaupten, in NRW gingen die Lichter aus, wenn die Reste des Hambacher Waldes nicht gerodet werden. RWE geht es nicht um die Versorgungssicherheit, sondern um eigene Interessen.

Wie meinen Sie das?

Je mehr Kohle RWE in den Abbaugebieten wegbaggern kann, desto höher fallen die Ausgleichszahlungen des Staates an RWE aus, wenn der vorzeitige Kohleausstieg kommt. Das ist der Punkt, um den sich der Konflikt doch in Wahrheit dreht. Ich verstehe nicht, warum die Landesregierung Finanzforderungen von RWE über Umwelt- und Klimaschutz stellt.

Gerade werden Baumhäuser aus Brandschutzgründen geräumt. Gegen den Schutz von Menschen lässt sich schwer argumentieren, oder?

Das stimmt. Aber jeder merkt doch, dass das Brandschutzargument nur vorgeschoben ist. RWE wird sich bedanken, dass Schwarz-Gelb die Räumung durch den Rückgriff auf die Bauordnung damit auf die eigene Kappe genommen hat. Laschet will in Hambach ein Exempel für seine „robuste“ Polizeistrategie setzen. Mit tausenden Beamten gegen 150 Baumbesetzer vorzugehen ist doch völlig überzogen. Ich finde es unverantwortlich, solche Symbolpolitik auf dem Rücken der Beamten auszutragen. Die Polizei in NRW hat Sinnvolleres zu tun, als im Hambacher Wald die Interessen von RWE durchzusetzen.

Die Grünen haben 2016 die Leitentscheidung mitgetragen, Hambach wegzubaggern. Waren Dienstwagen damals wichtiger als Bäume?

Ach je. Es geht doch dabei nicht um Dienstwagen – ich zum Beispiel hatte noch nie einen Dienstwagen. Damals haben wir es geschafft, die Umsiedlung von 1400 Menschen im Tagebau Garzweiler zu verhindern. Wir stehen zu der damaligen Entscheidung. Denn sie beinhaltet nicht nur die Verkleinerung von Garzweiler, sondern auch, dass die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Abbaus immer wieder neu bewertet werden muss.

 Mit der Einsetzung der Kohlekommission steht die Neubewertung jetzt an. Wir erwarten, dass alle Beteiligten abwarten, wohin der Weg geht, bevor man unnötig Fakten schafft und die Chance auf einen gesellschaftlichen Konsens beim Kohleausstieg verspielt. Denn die Beschlüsse der Kohlekommission sollen ja auch von den Umweltverbänden mitgetragen werden.

Der Hambacher Forst ist ein vergleichsweise kleines Waldgebiet. Die Grünen blasen die Rodung auf – sie verfolgen auch eigene Interessen, genau wie RWE…

Wir vertreten die Interessen der Menschen, die von der Klima-Krise betroffen sind – und das sind wir alle. In diesem Sinne sind wir natürlich auch Interessenvertreter. Es ist oft hilfreich, wenn sich Politik an Symbolen erklären lässt. Der Kampf um den Hambacher Wald zeigt exemplarisch, worum es gerade geht. Die Menschen haben doch in diesem heißen Sommer gemerkt, welche Folgen die Klimakrise jetzt schon nach sich zieht. Hambach rüttelt die Gesellschaft wach. Und auch im Ausland wird jetzt wahrgenommen, wie weit Deutschland von seinem Anspruch entfernt ist, ein internationaler Vorreiter beim Klimaschutz zu sein.

Themenwechsel: 2017 stürzten die Grünen bei der Landtagswahl ab, jetzt schweben sie auf einem Umfragehoch – wie erklären Sie sich das?

Seit Brexit, seit Trump und seit die AfD in den Bundestag eingezogen ist, sehnen sich viele Menschen nach Politikern, die bereit sind, Haltung zu zeigen und Verantwortung zu tragen. Die diesen liberalen Rechtsstaat gegen seine Feinde verteidigen. Die Grünen positionieren sich da sehr deutlich. Das bringt uns Zuspruch.

Profitieren die Grünen auch von der Stärke der AfD?

Die Bürgerinnen und Bürger sehnen sich nach Politikern mit einer klaren Haltung. Die Grünen sind nicht die einzigen, die der AfD vorwerfen, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu gefährden. Darin sind wir uns einig mit vielen in Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden und der Wirtschaft. Wir Grüne zeigen klare Kante gegen Ausländerfeindlichkeit. Wir profitieren davon, dass wir einen Sammelpunkt und Orientierung für die bieten, die diesen Anstand in anderen Parteien vermissen.

Wie bewerten Sie in diesem Kontext die Beförderung von Hans-Georg Maaßen zum Staatsminister?

Eigentlich können wir das Kabinett gleich in Kabarett umbenennen. Das Ganze ist ein Trauerspiel für die große Koalition, getrieben vom Landtagswahlkampf in Bayern. Im normalen Leben fällt man hin, wenn man sich einen Fehltritt erlaubt. In dieser großen Koalition fällt man nach oben und wird befördert.

Wäre in Bayern auch eine Koalition der Grünen mit der CSU denkbar?

Über eine mögliche Koalition entscheiden die Wähler und bei uns die jeweiligen Landesverbände. Umfragen zeigen, dass sich viele Menschen Grüne in der Verantwortung wünschen – möglicherweise auch mit der CSU. Eine ökologische und gerechte Regierungspolitik ist für die bayerischen Grünen vorstellbar, nicht aber eine antieuropäische und autoritäre.

Wir haben zuletzt viel über Rechtsextremismus in Chemnitz diskutiert. Wie ist die Situation in NRW?

Direkt nach den Vorfällen in Chemnitz gab es einen Aufmarsch von Hooligans und anderen Rechten vor dem NRW-Landtag. Sie haben den Moment ausgenutzt, um aggressiv auf die Straße zu gehen. Ihnen geht es darum, öffentliche Räume an sich zu reißen und zu sagen: „Das ist unser Land, wir regeln das jetzt. Ohne den Rechtsstaat“. Dass wir auch in NRW ein Problem mit rechten Strömungen haben, belegt die hohe Anzahl rechtsextremistischer Straftaten.

Das Gespräch führten Eliana Berger, Carsten Fiedler und Gerhard Voogt.