Die Zahl der Austritte in der katholischen Kirche steigt immer mehr an – mit zunehmend ernsten finanziellen Folgen für die Bistümer.
Im Interview spricht Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, über die Zukunft der katholischen Kirche und die Lehren aus Corona.
Und er stellt eine Forderung, die in seinen Augen umgesetzt werden muss, wenn die Kirche eine Zukunft haben soll.
Köln – Herr Bischof, das Pfingstfest ist vorüber. Ist ein Corona-Ausbruch im Kontext von Gottesdiensten – wie jüngst in Frankfurt – jetzt für Sie der Alptraum?
Natürlich schaue ich mit Sorge darauf, was in der Frankfurter Baptistengemeinde passiert ist, muss aber auch betonen: Nach allen unseren Informationen wurde dort unter sehr anderen Bedingungen Gottesdienst gefeiert, als wir das für die katholischen Gemeinden festgelegt haben. Wichtig ist mir das Signal, das von Frankfurt ausgeht: Die Gefährdung durch das Coronavirus hält an, die geltenden Abstands- und Hygieneregeln haben darum ihre Berechtigung und ihren Sinn.
Ist diese Art von Gottesdiensten – mit weitem Sicherheitsabstand, ohne Gesang – überhaupt eine Feier im eigentlichen Sinn des Wortes?
Es wird noch lange dauern, bis wir wieder „normal“ Gottesdienst feiern können. Deshalb brauchen wir zusätzlich andere Möglichkeiten, den Gläubigen nahe zu sein und Impulse setzen zu können. Die derzeitige Zweigleisigkeit halte ich für richtig. Menschen, die wieder zum Gottesdienst kommen können, zeigen sich hocherfreut darüber. Trotz aller Beschränkungen erleben sie die Feier keineswegs weniger geistlich und auch keineswegs weniger kommunikativ. Gleichzeitig erinnere ich immer daran, dass die Menschen – insbesondere solche, die zu den Risikogruppen gehören – sehr besonnen abwägen sollen, ob sie nicht besser zu Hause bleiben und den Gottesdienst als Übertragung mitverfolgen. Das Alternativangebot des Live-Streaming erhalten wir mindestens bis zu den Sommerferien aufrecht. Die Zugriffszahlen sind gleichbleibend gut.
Gehört die Kirche zu den Gewinnerinnen oder zu den Verliererinnen der Corona-Krise?
Mit den Erfahrungen dieser Ausnahmezeit, die wir unter normalen Bedingungen nicht gemacht hätten, zähle ich uns eindeutig zu den Gewinnern. Wir haben einen Kreativitäts- und Lernschub erlebt, den wir jetzt auch wissenschaftlich bearbeiten und für die Zukunft fruchtbar machen wollen. Andererseits ist der fehlende persönliche Kontakt natürlich ein Verlust und ein schwerwiegender Verzicht.
Zu den Folgen der Krise für die Kirche gehören auch finanzielle Verluste, oder?
Das wird so sein. Alle bisherigen Schätzungen der wirtschaftlichen Einbußen lassen auf einen starken Einbruch der Einnahmen auch aus der Kirchensteuer schließen. Uns werden also in den kommenden Jahren erheblich weniger Ressourcen für unsere Aufgaben zur Verfügung stehen. Das zwingt schon jetzt zu Haushaltsdisziplin und auf längere Sicht zur Neubewertung geplanter Vorhaben. Diese stehen jetzt allesamt unter Finanzierungsvorbehalt. Diese Situation teilen wir aber mit allen steuerfinanzierten Sektoren der Gesellschaft.
Steuern muss man zahlen, die Kirchensteuer nicht. Befürchten Sie eine weitere Austrittswelle, weil die Leute ihre laufenden Ausgaben jetzt noch einmal schärfer prüfen?
Auch wenn die Austrittszahlen für 2019 erst im Juli valide vorliegen, wissen wir bereits, dass es im vorigen Jahr noch einmal einen erheblichen Anstieg gegeben hat. Dabei war 2019 kein „Skandaljahr“ wie zuvor die Jahre 2010, 2014 oder 2018. Damals haben bestimmte innerkirchliche Geschehnisse – der Missbrauchsskandal oder der Bau des Bischofshauses in Limburg – die Austrittszahlen sprunghaft steigen lassen, weil die Menschen sich gesagt haben, „mit meinem Geld nicht mehr“. Einen anderen ausschlaggebenden Faktor haben Sie gerade selbst benannt: Die Menschen fragen sich, wo eigentlich noch ihre Berührungspunkte mit der Kirche sind, der sie Monat für Monat ihr Geld geben. Sie fragen sich: Ist es mir das noch wert? Das wird sich durch den wirtschaftlichen Druck im Zuge der Corona-Krise mit Sicherheit noch verstärken, gerade in der mittleren Generation. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Menschen Angebote machen, die sie als wertvoll und lohnend erachten. Ich möchte erwähnen, dass unsere Kitas, Schulen und Sozialeinrichtungen nach wie vor hohe Plausibilität haben, die Menschen zum Bleiben bewegt.
Sind Bistümer von Zahlungsunfähigkeit bedroht?
Als Körperschaften öffentlichen Rechts sind Bistümer nicht insolvenzfähig. Aber vor der Gefahr der Überschuldung steht sicher das eine oder andere Bistum, und diese Gefahr kann letztlich nur durch Haushaltsdisziplin und durch solidarische Maßnahmen zwischen den Bistümern gelöst werden.
Oder durch Einschnitte beim Personal? Die Kirche ist ein großer Arbeitgeber.
In etlichen Bistümern sind Einstellungsstopps verhängt als ein Mittel, mit klammen Finanzen umzugehen. Kirchliche Mitarbeiter sind vor Entlassungen weitgehend geschützt. Sichere Arbeitsplätze sind für die Kirche als Arbeitgeberin ein hoher ethischer Anspruch. Ich habe es bislang so erlebt, dass die Mitarbeitenden von Einrichtungen oder Bereichen, die aufgegeben oder neu strukturiert wurden, jeweils andernorts beschäftigt werden konnten.
Zur Person
Georg Bätzing, geb. 1961, ist seit März Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Bätzing wurde 2016 Bischof von Limburg, nachdem sein Vorgänger Franz-Peter Tebartz-van Elst im Zuge des Skandals um den extravaganten Bau seines
Bischofshauses vom Papst entpflichtet worden war. Zuvor war Bätzing in seinem Heimatbistum Trier als Priesterausbilder sowie von 2012 bis 2016 als Generalvikar tätig. (jf)
Sie sprachen von Angeboten der Kirche gerade für diejenigen, die eher am Rand stehen und sich mit dem Gedanken an Austritt tragen. Was macht die Kirche in einer modernen Gesellschaft attraktiv?
Unsere Gesellschaft lebt unter dem Vorzeichen der Freiheit. Freiheit ist aber immer ungesichert. Deshalb glaube ich: Menschen brauchen Orientierung und auch Halt. Den bietet ihnen die Botschaft von Jesus Christus. In der Krise ist deutlich geworden, dass wir in der Verkündigung all unsere Kräfte darauf konzentrieren müssen: auf das Angebot einer Beziehung zu Jesus Christus – zu einem fürsorglichen und treuen Gott, dessen Zuwendung im Raum der Kirche erlebbar wird.
Aber Freiheit ist zunächst einmal schon etwas Gutes?
Nicht nur „zunächst einmal“, sondern generell. Christsein ist frei sein – was denn sonst? Die Freiheit kennt Gefährdungen, keine Frage. Aber als Wert ist sie grundlegend. Und wir alle partizipieren doch daran. Ich will nichts von der Freiheit im Glauben und im Leben missen, die jeder von uns genießen darf. Deswegen warne ich davor, in den Lebensvollzügen der freiheitlichen Gesellschaft immer gleich den „Libertinismus“ und den „Relativismus“ zu wittern. Das entspricht nicht meiner Erfahrung.
Wie soll denn Attraktivität von einer Institution ausgehen, in der – als letzte in der Gesellschaft – Frauen nicht gleichberechtigt sind?
Man muss das Thema Gleichberechtigung von der Zulassung zu den Weiheämtern trennen. Sonst ist das Gespräch darüber schnell am Ende. Außer Forderungen an die Kirchenleitung in Rom, die ich durchaus bereit bin vorzutragen, ist dann nämlich nichts zu machen. Dagegen ist die Gleichstellung von Frauen in allen Belangen ein weites Feld, auf dem wir auch in der Kirche vieles bewegen können. Für mich ist die Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche die entscheidende Zukunftsfrage. Aber ich merke immer, sobald die Antwort binär – „alles oder nichts“ – ausfällt, blockieren wir uns.
Ist Ihre „nicht binäre“ Antwort auf die Frage nach den Weiheämtern für Frauen dann: Alles nur eine Frage der Zeit?
Das ist nicht meine Haltung. Denn es besteht ja eine klare Position des Lehramtes in dieser Hinsicht. Demgegenüber gibt es innerhalb der Kirche selbst und in der Gesellschaft einen erkennbaren Entscheidungsdruck. Das ist ein Dilemma, oder wie nicht wenige meinen, eine echte Blockade. Ich mache mir nichts vor: Den Veränderungsdruck werde ich mit allen Maßnahmen zur stärkeren Mitbestimmung und Beteiligung von Frauen nicht auflösen können – im Gegenteil. Aber wir werden als Kirche in unserer freiheitlichen und pluralen Gesellschaft nur zukunftsfähig sein, wenn Frauen mehr Gestaltungsmacht bekommen und besitzen. Sonst ist die Kirche bald am Ende.
Aber was sagen Sie den Frauen denn dann, wenn sie Gleichberechtigung auch beim Zugang zu den Ämtern fordern?
Ich bin selbst Teil einer Gesellschaft, in der die Gleichberechtigung der Geschlechter ein fundamentales Recht darstellt. Und ich kann nicht sehen, inwiefern darin ein Fehler liegen könnte, der das Leben der Kirche auf eine schiefe Bahn bringt. Aber ich bin auch Bischof und katholischer Amtsträger. Als solcher werde ich vortragen, dass sich das Lehramt der Kirche erklärtermaßen nicht für befugt hält, Frauen zu weihen. Nur habe ich zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Erklärung und ihre Argumente von weiten Teilen des Gottesvolks nicht mehr aufgenommen werden – nicht aus bösem Willen, sondern weil gute theologische Argumente dagegen stehen. Deshalb glaube ich, wir könnten als Ergebnis unseres „Synodalen Wegs“ eine Eingabe machen, dass die bislang offene Frage der Diakoninnenweihe von Rom weiter verfolgt und positiv beantwortet wird.
Auf dem Synodalen Weg gibt es erste Absetzbewegungen. Der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp will ein Reformpapier zur Sexualmoral nicht mittragen und hat seine Mitarbeit in der Arbeitsgruppe aufgekündigt, der Sie bis zu Ihrer Wahl zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz vorgestanden haben. Sehen Sie das als Indiz für ein Scheitern des Synodalen Wegs?
Nein, das sehe ich nicht. Ich bedaure die Entscheidung von Dominikus Schwaderlapp, die er ja persönlich begründet hat. Seine Positionen wird er aber konstruktiv in die Synodalversammlungen einbringen, so hat er erklärt. Der Synodale Weg geht weiter, kraftvoll und mit Elan.
Sie haben sich als Vorsitzender der Bischofskonferenz zum Synodalen Weg bekannt. Von den Ergebnissen hängt damit auch Ihre Autorität ab.
Positionierung ist gefragt. Das ist so. Anders kommen wir ja auch nicht weiter. Meine Positionen waren den Mitbrüdern in der Bischofskonferenz bekannt. Insofern ist meine Wahl zum Vorsitzenden auch Ausdruck eines Mehrheitswillens in der Bischofskonferenz.