Mein ungeliebter LieblingsortWie es zu der „Warze” auf dem Kölner Dom kam
Lesezeit 5 Minuten
Der Vierungsturm des Doms, schon mal als „Warze“ bezeichnet, ist erst 50 Jahre alt.
Ex-Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner erklärt die Historie des markanten Turms.
Köln – Wenn ich mit Besuchern aufs Dach des Doms komme und sie von dort aus den Vierungsturm sehen, fragen sie oft: „Der ist aber doch neu!“ – „Stimmt“, antworte ich dann, „nur von unten fällt das nicht so auf“. Tatsächlich stammt der 109 Meter hohe dritte Turm des Doms in seiner heutigen Form erst aus den 1960er Jahren.
Er hatte drei Vorgänger, wobei die ersten beiden gar keine Vierungstürme im strengen Sinne waren, sondern Dachreiter auf dem mittelalterlichen Chor. Die Vierung als Kreuzungspunkt von Langhaus, Querhäusern und Chor gab es damals noch gar nicht.
In den mittelalterlichen Bauplänen gibt es keine Vorlage für einen Vierungsturm. Vermutlich hatten die damaligen Baumeister auch keinen vorgesehen. Schon Stiche aus dem späten Mittelalter zeigen aber eine gotische Konstruktion mit einem spitzen Helm und gotischem Zierrat, bekrönt von einem Kreuz. Dieser Dachreiter, vermutlich aus Holz, wurde 1744 durch ein etwas kleineres, barockes Modell ersetzt, das eher wie eine Laterne aussah, mit einem kleinen kuppelartigen Zwischenstück.
Für den Weiterbau des Doms im 19. Jahrhundert entwarf Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner (1802 bis 1861) dann einen neugotischen Vierungsturm, der 1859/60 errichtet wurde – wie der unmittelbar zuvor fertig gestellte Dachstuhl – aus Eisen konstruiert war. Acht große Röhren trugen den Turmaufbau.
Aufnahmen aus der Nachkriegszeit belegen, dass Zwirners Werk die Bombenangriffe recht gut überstanden hatte. Er war jedenfalls nicht so schwer beschädigt, als dass man ihn komplett hätte ersetzen müssen. Doch Dombaumeister Willy Weyres (1903 bis 1989) wollte den neugotischen Ergänzungen aus dem 19. Jahrhundert den Garaus machen und dem Vierungsturm stattdessen ein modernes Gewand verpassen. Dafür verwendete er den vollständig intakten Unterbau und brachte zwischen 1965 und 1973 eine Bleiverkleidung mit Schmuckelementen im Stil des Art déco auf. Die acht großen Engel, die den Turm umstellen, wurden nach Entwürfen von Dombildhauer Erlefried Hoppe (1910 bis 1992) geschaffen. Vom neugotischen Vierungsturm übernahm Weyres nur die Kreuzblume, den Stern auf der Spitze sowie die Maßwerkbrüstungen.
Sein Werk mit dessen pseudo-expressionistischer Sprache und den Engeln, die irgendwie an Ernst Barlach erinnern, erfreut sich seither – vorsichtig formuliert – gedämpfter Beliebtheit. Der Chefarchitekt von Notre-Dame, Philippe Villeneuve, hat in der Diskussion über den Wiederaufbau des 2019 beim Großbrand der Pariser Kathedrale zerstörten Vierungsturms gesagt: Wie scheußlich es sei, auf eine mittelalterliche Kirche einen modernen Vierungsturm zu setzen, das könne man am besten in Köln besichtigen. Der dortige Vierungsturm sehe aus wie eine Warze. Das fanden wir nun nicht sonderlich charmant, aber dass wir unseren Vierungsturm von Herzen lieben würden, wäre nun auch übertrieben.
Nur haben sich sowohl Weyres’ Nachfolger Arnold Wolff als auch ich gescheut, das Werk eines verdienten Vorgängers an so exponierter Stelle bei nächstbester Gelegenheit zu demolieren. Aber sogar ein hoher Denkmalpfleger hatte in einem schwachen Moment die Phantasie, ob man nicht mal ein Flugzeug mit dem Vierungsturm kollidieren lassen könnte.
Andererseits bemerke ich bei meinen Studierenden, dass die damit mehr anfangen können als ich. Vielleicht bedarf es wirklich noch etwas mehr Zeit, bis die Generationen nach uns diesen Vierungsturm wieder schön finden.
Als die Deutsche Post den Dom 2001 in ihre Briefmarken-Serie mit deutschen Sehenswürdigkeiten aufnehmen wollte, benutzten die Bremer Grafiker Sibylle und Fritz Haase als Vorlage einen Stich aus dem Jahr 1831 mit einer Idealansicht des Doms samt Vierungsturm, die aber nie Wirklichkeit wurde. Von Westen betrachtet sah es so aus, als hätte der Dom eine Dreiturmfassade. Eine Peinlichkeit sondergleichen, die dazu führte, dass die Briefmarke eingestampft und neu gestaltet wurde.
Die Dom-Geschichten als Buch
An diesem Mittwoch erscheinen Barbara Schock-Werners Dom-Geschichten als Buch. Der gleichnamige Band enthält eine Sammlung der Kolumnen aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sowie eine Reihe bisher nicht veröffentlichter Texte. Entstanden ist ein sehr persönlicher Domführer aus der Perspektive einer seiner besten Kennerinnen mit Geschichten und Anekdoten, wie nur Schock-Werner sie erzählen kann, aufgezeichnet von DuMont-Chefkorrespondent Joachim Frank. Ein besonderer Akzent liegt auf Meisterwerken der Domschatzkammer. Die zahlreichen Fotografien stammen von Stadt-Anzeiger-Fotograf Csaba Peter Rakoczy. Der scheidende Dompropst Gerd Bachner hat die Einleitung geschrieben, Chefredakteur Carsten Fiedler ein Nachwort beigesteuert.
Barbara Schock-Werner und Joachim Frank: Dom-Geschichten. Mit der Kölner Dombaumeisterin a.D. durch die Kölner Kathedrale. DuMont Buchverlag Köln, 190 Seiten, 18 Euro.
Im Rahmen einer Dachführung – wenn es sie nach der Corona-Krise mal wieder geben sollte – gelangen die Teilnehmer auch auf den Vierungsturm, und vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass dieser Ort bis heute mein Lieblingsplatz auf dem Dom ist. Wenn ich mich in meiner Amtszeit mal so richtig geärgert habe – das kommt auch bei Dombaumeisterinnen gelegentlich vor –, dann bin ich auf die Plattform des Vierungsturms geklettert und habe mich eine Weile hingesetzt. Hier, auf einer Höhe von 65 Metern, wirkt die ganze Stadt wie vor einem ausgebreitet. Dazu das majestätische, glitzernde Band des Rheins und bei guter Sicht das Siebengebirge im Hintergrund. Das war Entspannung pur, und nach einer halben Stunde war mein Ärger dann schon nicht mehr ganz so groß. Vom Winde verweht, sozusagen.
Aufgezeichnet von Joachim Frank
Lesetipp: Klaus Hardering: Jenseits der Gewölbe. Ein Führer über die Dächer des Kölner Doms (Meisterwerke des Kölner Domes 5, herausgegeben von Barbara Schock-Werner und Rolf Lauer), Verlag Kölner Dom, 4. Auflage 2015, 87 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, 15 Euro.