Interview

Kreml als Wahlsieger
„Putin geht es darum, dass die EU in Nationalstaaten zerfällt“

Lesezeit 5 Minuten
„Das ist genau, was Putin will“, sagt der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger über die Wahlergebnisse in Frankreich. Auch in Deutschland drohen laut Jäger bald „französische Verhältnisse“. (Archivbild)

„Das ist genau, was Putin will“, sagt der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger über die Wahlergebnisse in Frankreich. Auch in Deutschland drohen laut Jäger bald „französische Verhältnisse“. (Archivbild)

Putin drohe nicht nur in Frankreich heimlicher Wahlsieger zu werden, warnt der Politologe Thomas Jäger. Auch in Deutschland könnte es „französische Verhältnisse“ geben. 

In Frankreich sind mit dem RN die Rechtspopulisten vorne, dahinter folgen die Linkspopulisten. Sie haben vor „französischen Verhältnissen“ auch in Deutschland gewarnt. Warum?

Thomas Jäger: Dass AfD und BSW auf einmal die Regierung in Thüringen stellen können und die sogenannten Parteien der Mitte da das Nachsehen haben, ist im Prinzip die Situation, die in Frankreich jetzt zu beobachten ist.

Aufschwung für Populisten: „Genau, was Putin will“

Sie haben im gleichen Atemzug der ARD und dem ZDF vorgeworfen, für den Aufstieg der populistischen Parteien mitverantwortlich zu sein.

Da geht es mir mehr um das BSW als um die AfD. Nach meiner Beobachtung kopiert Wagenknecht Trump. Sie macht genau das, was er auch macht. Also Leute im Zorn auf die Regierung aufwiegeln und sagen: ‚Wir sind die einzigen, die wirklich für euch stehen, die anderen nehmen euch alles, denen seid ihr egal.‘ Da sehe ich die Parallele zu Trump, der ohne Twitter kein Publikum gefunden hätte. Wagenknecht hat letztlich über die Talkshows in ARD und ZDF eine Marke aufbauen können. Das führt jetzt dazu, dass AfD und BSW sich in Thüringen der Regierungsfähigkeit annähern.

Die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen. In der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich liegt das rechtsnationale Rassemblement National vorn.

Die rechtsextreme französische Politikerin Marine Le Pen. In der ersten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich liegt das rechtsnationale Rassemblement National vorn.

Emmanuel Macron ist 2017 angetreten, um Le Pen kleinzuhalten oder sogar aus der politischen Landschaft zu verdrängen. Damit scheint er gescheitert zu sein. Hat er sich mit den Wahlen nun noch mehr verzockt?

Ja, er hat das Gegenteil erreicht. Wenn kein Wunder passiert, wird in Frankreich am Ende der Rassemblement National die stärkste Fraktion stellen, die linke Volksfront die zweitstärkste – und dann kommt Macrons Gruppe hinterher. Das ist genau spiegelbildlich zu dem, was wir in Thüringen sehen: die Ränder werden stark, die Mitte schrumpft.

Auch in Frankreich gelten die beiden Wahlsieger als russlandnah. Der Historiker Matthäus Wehowski warnte angesichts dieser Entwicklungen kürzlich, Wladimir Putin drohe sogar zu gewinnen, wenn er in der Ukraine militärisch verliert.

Das stimmt. Russland führt seinen hybriden Krieg auf unterschiedlichen Ebenen. Eine ist es, genehme politische Akteure zu finden. Da gehört der RN mit rein, ebenso wie auch die Linke, die russlandfreundlich ist. In Frankreich, wie in Deutschland. Das nationale Interesse überwiegt in diesen Lagern dem europäischen. Das ist genau, was Putin will.

„Sobald die EU weg ist, geht Revanchismus wieder los“

Moskau will also die europäische Einheit untergraben?

Putin geht es darum, dass die Europäische Union in ihre Nationalstaaten zerfällt.

Kremlchef Wladimir Putin zusammen mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Russland hatte bereits im Wahlkampf vor Trumps erster Amtszeit die Finger im Spiel.

Kremlchef Wladimir Putin zusammen mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Russland hatte bereits im Wahlkampf vor Trumps erster Amtszeit die Finger im Spiel.

Die Populisten würden nun wohl sagen, dann lebt man eben einfach in Nationalstaaten.

Die Vorstellung, dass Nationalstaaten ohne die EU einfach ganz normal miteinander umgehen würden, ist Unsinn. Die EU ist der Rahmen für die Nationalstaaten, um in ihren Grenzen zu existieren. Sobald sie weg ist, geht der Revanchismus in Europa wieder los.

Demokratien in Bedrängnis – so wie Wladimir Putin es will

Wie können sich Demokratien und die EU gegen derartige Angriffe wehren?

Das ist genau die Frage, mit der Joe Biden seine Präsidentschaft begonnen hat. Und seine Antwort, die ich für sehr vernünftig und sehr realistisch halte, war: Probleme lösen. Noch stellen wir die Regierung. Wir müssen die Leute davon überzeugen, dass wir Probleme lösen und ihnen ein angenehmeres Leben bieten können. Demokratien, marktwirtschaftliche Systeme, die europäische Zusammenarbeit sind dem russischen Modell weit überlegen, was Sicherheit, Wohlstand, aber auch kulturelle Freiheit angeht. Das Problem ist, dass der Eindruck entsteht, das wäre gar nicht so und man könne diese Zusammenarbeit aufgeben – und wäre dann noch reicher und sicherer.

Die klassischen falschen Versprechungen von mehr Sicherheit und Wohlstand also?

Ja. In Großbritannien haben sie es mittlerweile verstanden – aber auch erst, nachdem sie in die Grube gefallen sind. Die Frage ist also: Müssen wir noch einmal in diese Grube fallen, um das zu verstehen – oder kann man das vermitteln? Da muss man auch die politische Bildung mal hinterfragen. Und auf der anderen Seite gilt: Wenn Probleme da sind, müssen sie gelöst werden. Man kann nicht darüber hinwegreden.

Joe Biden ist trotz seines damaligen Vorsatzes mehr denn je in Bedrängnis. Donald Trump hingegen hat nun Unterstützung vom Obersten Gericht bekommen. Wenn es so weit kommt, hilft reine Problemlösung doch auch nicht mehr?

Das ist richtig. Das ist die Gefahr, die Demokratien von innen ausgesetzt sind, die wir auch in Deutschland oder noch gravierender in Frankreich haben.

Kehrt Donald Trump als „imperialer Präsident“ zurück?

Trump könnte bei einem Wahlsieg nun sogar seine Konkurrenten umbringen lassen – und wäre laut Urteil juristisch immun. Wurde in den USA die Tür zur Diktatur aufgestoßen?

Ich würde das Wort Diktatur nicht benutzen. Ich würde, wie Arthur Schlesinger, den Begriff der imperialen Präsidentschaft benutzen. Die demokratischen Institutionen in den USA sind nicht auf einmal weg. Aber die Gewichte zwischen Exekutive, Legislative und Judikative verschieben sich dahin, dass die Macht immer weiter in der Hand weniger ist. Ein Unterschied einer imperialen Präsidentschaft zu einer Diktatur ist aber, dass sie reversibel wäre. Nämlich in vier Jahren.

Auch dass sich die Macht in den USA auf immer weniger Menschen konzentriert, dürfte allerdings wie Le Pens Erfolg in Frankreich nach Putins Geschmack sein.

Natürlich. Vor allem, wenn es solche wie Trump sind, die zu ihm aufschauen und diesen autoritären Zug gut finden. Das sind genau die Gesprächspartner, die Putin sucht.


Thomas Jäger, 1960 in Hanau geboren, ist Politikwissenschaftler an der Universität zu Köln. Im Jahr 1999 wurde Jäger in Köln zum Professor für „Internationale Politik und Außenpolitik“ berufen. Auf X (vormals Twitter) findet man seine Beiträge unter: @jaegerthomas2

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