Noch freuen sich Kirchenobere über ein Einnahme-Plus. Doch Inflation und demografischer Wandel machen auch vor Kirchenkassen nicht halt.
Kirchenfinanzen schwindenMüssen Kirchenmitglieder mit Erhöhung der Kirchensteuer rechnen?
Nach Ostern ist vor Ostern. Heißt: während gläubige Christen nach ihrem bedeutendsten Fest noch einen Neubeginn anstreben, müssen sich die Kirchenoberen wieder ums Alltagsgeschäft kümmern. Was dabei garantiert nicht vergnügungssteuerpflichtig ist: die Beschäftigung mit den Finanzen.
Auch wenn evangelische und katholische Kirche nicht so schnell unter Armutsverdacht fallen - perspektivisch müssen sich die beiden christlichen Kirchen Gedanken darüber machen, wie und ob sie die Aufgaben und Verpflichtungen, die sie heute stemmen, auch künftig noch leisten können oder wollen. Nach Berechnungen von Finanzwissenschaftlern aus dem Jahr 2019 ist davon auszugehen, dass sich die Kirchenfinanzen spätestens bis zum Jahr 2060 halbieren werden.
Austritte und demografischer Wandel wirken sich auf Kirchenkassen aus
Zwar sind die Einnahmen aus den Kirchensteuern - also der Mitgliedsbeiträge, die staatliche Finanzämter jährlich gegen einen geringen Obulus freundlicherweise für die Kirchen bei der Einkommenssteuer mit einzieht - nicht alleinige Finanzierungsquellen. Sie sind jedoch ein wichtiger Seismograf für die Entwicklung der Kirche, ihrer Strukturen und immer wieder Anlass für Streit.
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Einer Ostersamstag veröffentlichten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge haben die beiden großen Kirchen in Deutschland im Jahr 2022 rund 13 Milliarden Euro an Kirchensteuern eingenommen. Auf die katholische Kirche entfielen dem IW zufolge im Jahr 2022 knapp 6,8 Milliarden Euro, auf die evangelische Kirche rund 6,1 Milliarden Euro. Das wären etwa 200 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Also doch nicht alles so wild?
Studienautor und Leiter des Clusters Staat, Steuern und Soziale Sicherung beim IW, Tobias Hentze, warnt: „Austritte und demografischer Wandel machen sich jetzt immer stärker in den Kirchenkassen bemerkbar. Real müssen die beiden Kirchen mit einem Rückgang der Einnahmen rechnen. Denn mit der Inflation verliert auch jeder Euro Kirchensteuer an Kaufkraft.“
Die künftigen Finanzprobleme bei der Kirchensteuer stecken im Detail. Die Kirchensteuer wird proportional zur Einkommensteuerschuld erhoben. Das ist der Grund dafür, dass die nominalen Steuereinnahmen der beiden christlichen Kirchen grundsätzlich mit der Entwicklung der Einnahmen aus der Einkommensteuer wachsen. Real sinken die Zuwächse jedoch. 2022 stiegen die Einnahmen des Staats aus der Einkommensteuer um rund 4,5 Prozent, bei den Kirchen kamen laut Studie jedoch nur etwa 1,5 Prozent mehr Geld an. Der Grund liegt auf der Hand: der starke Mitgliederrückgang durch Sterbefälle und Austritte.
Beide Kirchen verloren 2022 schätzungsweise 1,3 Millionen Mitglieder. Statistisch gesehen bezahlte im Jahr 2022 ein Kirchenmitglied durchschnittlich 320 Euro Kirchensteuer, hat Hentze errechnet. Diesen Betrag erreiche ein Single mit einem Bruttojahresgehalt von 32.000 Euro. Allerdings verteile sich das Aufkommen ungleich auf die 40 Millionen Mitglieder, da Kinder keine und viele Rentner kaum oder ebenfalls keine Kirchensteuer entrichten. „So tragen gemessen am Einkommen die oberen 30 Prozent der Kirchenmitglieder schätzungsweise drei Viertel des Aufkommens“, schreibt der Studienautor.
Aus dem Prinzip der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, ergebe sich deshalb für die Kirchenfinanzen ein Risiko, analysiert Hentze. „Weil die Hauptlast der Kirchensteuer, die ohnehin bereits auf den starken Schultern eines Teils ihrer Mitglieder liegt, sich künftig auf immer weniger Schultern verteilen wird.“
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte ihre Mitgliederprognose für das Jahr 2022 im März veröffentlicht. Demnach verlor sie 2022 etwa 575.000 Mitglieder, darunter 380.000 durch Austritte. Die Zahl der Austritte lag damit erstmals über der Zahl der Sterbefälle. Der evangelischen Kirche gehörten demnach Ende 2022 gut 19,1 Millionen Deutsche an.
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz plant die Veröffentlichung ihrer Statistik für den Sommer. Die IW-Studie rechnet mit einem Minus von 725.000 bei der Zahl der katholischen Kirchenmitglieder. Sie fiele dann auf die Gesamtzahl von rund 20,9 Millionen.
Nach der IW-Studie werden die Kirchensteuereinnahmen bis 2027 infolge der Inflation und des demografischen Wandels real zurückgehen. Kaufkraftbereinigt würden die Kirchen demnach im Jahr 2027 zusammen 11,3 Milliarden Euro einnehmen, prognostiziert das Wirtschaftsinstitut. Das wären dann knapp vier Prozent weniger als 2022 und etwa elf Prozent weniger als im Jahr 2019.
Bis zur Corona-Krise waren die Kirchensteuereinnahmen über viele Jahre auch real gestiegen. Dies lag vor allem an der zunächst steigenden und dann anhaltend hohen Beschäftigung sowie den steigenden Einkommen in Kombination mit dem progressiven Einkommensteuertarif, erklärt Hentze. Dadurch sei der einsetzende Mitgliederschwund zeitweise kompensiert worden. „Dies ist für die Zukunft nicht mehr zu erwarten“, so Hentze.
Lösungen für die Kirchen hat auch der Wirtschaftswissenschaftler nicht in der Tasche. Entstehende Finanzierungslücken müssten die Kirchen wahrscheinlich auf der Ausgabenseite durch die Einschränkung ihrer Leistungen oder auf der Einnahmenseite durch die Veräußerung von Vermögen schließen. Tatsache sei: „Real stagnierende oder gar rückläufige Steuereinnahmen würden den Handlungsspielraum der Kirchen spürbar verengen. Denn die Inflation sorgt gleichzeitig auch für nominal steigende Ausgaben.“
Und wie wäre es, die Kirchensteuer zu erhöhen? Hentze hält solche Ideen für finanziell kontraproduktiv. „Eine Erhöhung der Kirchensteuer würde vermutlich die Austrittsdynamik weiter antreiben.“ Die Kirche selbst habe es in der Hand, wie es weiterginge, glaubt der Forscher. „Während der demografische Wandel unabänderlich ist, gilt dies für die Austrittsdynamik nicht. Vielmehr wäre ein Rückgang der Austritte ein Hebel zur Stabilisierung der Einnahmen.“
Richtig zündende Ideen waren aus den beiden Kirchen - die vor allem nach den Missbrauchsskandalen mit hohen Vertrauensverlusten innerhalb und außerhalb zu kämpfen haben - bislang kaum vernehmbar. EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus sagte dem RND vor wenigen Tagen dazu: „Unsere Kirche befindet sich in einem großen Umgestaltungsprozess. Sie braucht neue Formen, um ein Ort zu bleiben, an dem Menschen Kraft und Hoffnung schöpfen können. Also: Erkennbar bei unseren Inhalten bleiben, neue Formen wagen, Abschied nehmen von manchem, was immer weniger zum Lebensstil der heutigen Menschen passt. Wir denken intensiv über verbindliche Formen der Mitgliedschaft nach, die es meiner Ansicht nach braucht.“
Kurschus erklärt die Verbindlichkeit so: „Die Kirchensteuer halte ich für gerecht und gut durchführbar. Jedes Mitglied zahlt entsprechend seines Einkommens. Das überfordert niemanden, sichert aber eine gewisse Grundarbeit, die Kirche in unserer Gesellschaft leistet. Ich nenne das verbindliches Dabeisein.“