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KlimawandelDas war's mit der Kohle – NRW übernimmt Vorreiterrolle

Lesezeit 6 Minuten
Braunkohle Kraftwerk

Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler hinter dem Tageabbau.

  1. Der deutsche Bundestag und Bundesrat beschließen den Kohle-Ausstieg bis spätestens 2038.
  2. Der Hambacher Forst bleibt erhalten, trotzdem wollen Kohle-Gegner Verfassungsbeschwerde einreichen.

Berlin – Armin Laschet (CDU) vermeidet es am Ende doch, den Tag, an dem Bundestag und Bundesrat in Berlin den Kohleausstieg bis 2038 und die damit verbundenen 40 Milliarden Euro an Strukturhilfen beschließen, als historisch zu bezeichnen.

„Das ist ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen“, sagt der Ministerpräsident bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinen Amtskollegen aus den anderen Kohleländern Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Laschet erinnert daran, dass Deutschland binnen weniger Jahre aus Steinkohle, Braunkohle und Atomenergie aussteige und betont: „Das macht kein Industrieland auf der ganzen Welt.“ Das Kohleausstiegsgesetz sei so gesehen ein Abschlusskapitel und gleichzeitig die Aufforderung, etwas Neues zu schaffen.

NRW übernimmt die Vorreiterrolle

Gemeinsam machen die Länderchefs in Berlin deutlich, dass die Verabschiedung der Gesetze die entscheidende Voraussetzung seien, um den notwendigen Strukturwandel positiv zu gestalten und Strukturbrüche zu verhindern.

NRW übernimmt dabei die Vorreiterrolle. „Indem wir hier die ersten Kraftwerke vom Netz nehmen, leisten wir bis 2030 den bei weitem größten Beitrag zur CO2-Einsparung. Wir übernehmen damit 70 Prozent der zu reduzierenden Braunkohlekapazitäten bis einschließlich 2029“, sagt Laschet. „Wir erhalten zudem den Hambacher Forst dauerhaft. Damit verbleiben rund 1,1 Milliarden Tonnen Braunkohle im Boden – das ist eine Verminderung der CO2-Emissionen um mehr als eine Milliarde Tonnen CO2 auf lange Sicht.“

37 Prozent der Fördermittel von 40 Milliarden Euro fließen nach NRW

Aus Sicht der Landesregierung sind das alles Erfolge, die sich sehen lassen können und dem Rheinischen Revier eine Perspektive für die Zeit nach der Braunkohle eröffnet. 37 Prozent der Fördermittel flössen in das bevölkerungsreichste Bundesland, das sei deutlich mehr als die 25 Prozent, die ursprünglich einmal vorgesehen waren.

Nach Angaben des NRW-Wirtschaftsministers Andreas Pinkwart (FDP) wird die Bundesregierung bis 2038 rund 14,8 Milliarden Euro an Strukturmitteln für das Rheinische Revier zur Verfügung stellen. Die Landesregierung sehe darin „langfristige Herausforderungen mit großem Wachstumspotenzial“. Man werde sich auf neue Technologien wie Energiesysteme der Zukunft, klimaschonende Industrien, Ressourcen sparende Stoffströme und innovative Technologien konzentrieren.

Viel Geld wird nach Angaben von NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) auch in die Schieneninfrastruktur fließen, so auch in den Ausbau der S-Bahn Köln-Mönchengladbach, die Erweiterung der Bahnstrecke Köln-Aachen und der S-Bahn für das Rheinische Revier. Wüst klingt nahezu euphorisch. Das Revier werde „als Mobilitätsrevier der Zukunft zum Vorreiter mit internationaler Strahlkraft. Dazu gehören On-Demand-Verkehre, automatisiertes und vernetztes Fahren, Mobilstationen und smarte Pendlerparkplätze. Diese werden im Rheinischen Revier entwickelt und erlebbar gemacht“.

Greenpeace-Aktivisten seilen sich mit Protestplakat vom Bundestag ab

Dass dieser Freitag nicht nur für NRW ein besonderer Tag ist, kann man auch an Äußerlichkeiten erkennen. Im Inneren des Reichstagsgebäudes ruft Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) zum „Hammelsprung“ auf. „Hammelsprung“ bedeutet, dass alle Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und die Befürworter eines Gesetzes ihn anschließend durch eine Tür wieder betreten, während die Gegner durch eine andere Tür kommen. Das Bundestagspräsidium war sich nicht einig, ob es bei der vorherigen normalen Abstimmung eine Mehrheit für den Gesetzentwurf gegeben hatte.

Noch sichtbarer wird das Besondere des Tages an der westlichen Außenfassade des Reichstagsgebäudes. Denn Greenpeace-Aktivisten klettern aus Protest gegen das geplante Kohleausstiegsgesetz der Bundesregierung auf das Dach und lassen unter dem Schriftzug „Dem deutschen Volke“ ein großes Transparent mit der Aufschrift „Eine Zukunft ohne Kohlekraft“ herunter.

Beides ändert am Ergebnis freilich nichts. Der Bundestag stimmt am Freitag mehrheitlich dem schrittweisen Kohleausstieg bis spätestens 2038 wegen des Klimaschutzes zu. Es ist der Schlusspunkt einer jahrelangen Debatte, nachdem die so genannte Kohlekommission einen Vorschlag unterbreitet hatte. Unter normalen Umständen wäre die Kohleverstromung erst in den späten 2040er Jahren ausgelaufen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bezeichnet den Ausstieg als historisches „Generationenprojekt“. Die Kohleverstromung werde bis spätestens 2038 rechtssicher, wirtschaftlich vernünftig und sozial verträglich vorüber sein, sagt er. „Das fossile Zeitalter in Deutschland geht mit dieser Entscheidung unwiderruflich zu Ende.“

Braunkohlegegner kündigen eine Verfassungsbeschwerde an

Den Braunkohlegegnern ist am Freitag hingegen nicht zum Feiern zumute. Antje Grothus von der Initiative Buirer für Buir und ehemaliges Mitglied der Kohlekommission spricht von einem „dreckigen Deal zwischen der Bundesregierung und dem Kohlekonzern RWE“.

Das Gesetz der „ganz großen Kohle-Koalition“ sei kein gesellschaftlicher Kompromiss, „sondern ein Verrat an den Menschen, deren Zuhause vom Braunkohleabbau und der Klimakrise bedroht ist. Der weiteren Zerstörung von Dörfern hätte ich unter gar keinen Umständen zugestimmt“. Die Bundesregierung habe die historische Möglichkeit verpasst, „mit dem Abschaltpfad der Kraftwerke ein für alle Mal Zwangsumsiedlungen für Braunkohle-Tagebaue in die Geschichtsbücher zu verbannen. Sie hat das Gegenteil gemacht und sich von RWE eine Bestandssicherung für den Tagebau Garzweiler II diktieren lassen“, so Grothus.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz spricht von einer „massiven Täuschung“. Ministerpräsident Laschet habe sich „eine vermeintliche Legitimation bei der Bundesregierung geholt, um weitere Menschen im Bereich Garzweiler II zwangsumzusiedeln. Das halten wir für verfassungswidrig“, sagt NRW-Geschäftsleiter Dirk Jansen.

Gegen den Abriss von fünf weiteren Dörfern im Tagebaugebiet Garzweiler II will die Gemeinschaft „Menschenrecht vor Bergrecht“, die in Keyenberg ein Grundstück besitzt, eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Auch Keyenberg soll nach den Plänen von RWE bis Ende 2023 dem Tagebau weichen.

Die Grünen in NRW sehen in dem Ausstiegsgesetz zwar „die lang erkämpfte Abkehr von der dreckigen Kohle“, sagt die Landesvorsitzende Mona Neubaur. „Der Beschluss erinnert aber nur noch entfernt an den Kohlekompromiss, den auch Umweltverbände und Bürgerinitiativen mitgetragen hatten.“ Die Große Koalition verlangsame künstlich den Ausstieg und sorge so für mehr als 100 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich. „Das Pariser Klimaabkommen werden wir so nicht einhalten können“, sagt Neubaur. „Und zur Feier des Kohleausstiegs wird mit Datteln IV noch ein neues Kraftwerk in Betrieb genommen. Das ist klimapolitisch ein völlig falsches Signal.“

Bei RWE fallen bis 2030 in der Braunkohle rund 6000 Stellen weg

RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz bezeichnet das Gesetz als „wichtigen Schritt zur Umsetzung des Kohleausstiegs“. Jetzt müsse der öffentlich-rechtliche Vertrag schnellstmöglich unterzeichnet werden. „Wir werden schon in wenigen Monaten den ersten Kraftwerksblock mit einer Leistung von 300 Megawatt stilllegen.“ RWE trage die Hauptlast bei den Regelungen zur Braunkohle. „Wir müssen bei der Richtlinie zum Anpassungsgeld Rechtssicherheit schaffen, um den Stellenabbau sozialverträglich abfedern zu können“, so Schmitz.

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Bis Ende 2022 sollen bei RWE mehr als 3000 Stellen im Bereich der Braunkohle wegfallen, bis 2030 werden es insgesamt etwa 6000 sein. Der RWE-Chef macht am Freitag noch einmal deutlich, dass es für den Erhalt der fünf Dörfer im Tagebau keine Chance gebe. Die Kohle darunter werde schon ab 2024 benötigt, um die verbleibenden Kraftwerke und Veredelungsbetriebe sicher mit Kohle zu versorgen.

Die Gesetze sind verabschiedet, der Konflikt aber längst nicht beendet.