KoalitionsvertragAngela Merkel lehnt Neuverhandlung ab
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Berlin – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich offen für Gespräche mit der künftigen SPD-Führung gezeigt, eine Neuverhandlung des Koalitionsvertrages aber abgelehnt. Merkel sei grundsätzlich zur Zusammenarbeit und zum Gespräch bereit, „wie es in einer Koalition üblich ist“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Aber: „Eine Neuverhandlung des Koalitionsvertrags steht nicht an.“ Die SPD bemühte sich am Montag, nach der Überraschung beim Mitgliedervotum über die neue Parteispitze und den Spekulationen um ein vorzeitiges Ende der großen Koalition die Lage zu beruhigen.
„Ich glaube, wir sollten etwas runterkochen und wir sollten einfach zur Kenntnis nehmen, die Partei hat eine neue Führung gewählt, das ist der Punkt“, sagte die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer im ZDF-„Morgenmagazin“. „Und natürlich wird sie auch ihre Akzente setzen bei der Frage, wie geht es weiter mit der großen Koalition.“
Sieg für Walter-Borjans und Esken
Die GroKo-Skeptiker Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken hatten den Mitgliederentscheid um den SPD-Vorsitz mit 53,06 Prozent der Stimmen gewonnen. Das zweite Bewerberduo aus Olaf Scholz und Klara Geywitz war mit 45,33 Prozent deutlich unterlegen.
Dreyer kündigte in Mainz an, sich von der Spitze der Bundespartei zurückzuziehen. „Ich habe mich entschieden, mich nach dem Parteitag der SPD auf unser schönes Bundesland zu konzentrieren“, sagte die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz der Deutschen Presse-Agentur. Zugleich gab die unterlegene Geywitz ihre Kandidatur als Parteivize bekannt. „Damit möchte ich meinen Beitrag leisten, um die Partei wieder zu einen“, sagte die 43-Jährige der „Rheinischen Post“.
Merkel beglückwünsche die designierten neuen SPD-Vorsitzenden, sagte ihr Sprecher Seibert. Wenn Einigkeit innerhalb der Koalition über etwas hergestellt werden könne, „dann können auch neue Vorhaben in Angriff genommen werden“. Das sei die Bedingung: „Nur, wenn die Partner sich auf etwas verständigt haben, kann in einer Koalition etwas gemeinsam umgesetzt werden.“
AKK ließ Nachverhandlungen offen
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ließ ebenfalls die Möglichkeit von Nachverhandlungen des Koalitionsvertrags in Einzelpunkten offen, indem sie nur eine vollständige Revision ausschloss. Dass bei einer Regierungspartei ein Führungswechsel stattfinde, „gehört aus meiner Sicht nicht zu den schwerwiegenden Fällen, aus denen heraus man eine Koalition komplett neu verhandeln muss,“ sagte Kramp-Karrenbauer am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“.
Sie beriet am Montagmorgen in einer Telefonschaltkonferenz mit dem CDU-Parteivorstand über die Lage. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Parteikreisen bestand dabei Einigkeit, einer Neuverhandlung des Koalitionsvertrages nicht zuzustimmen. Es habe die Devise geherrscht, sich als Union ruhig zu verhalten und abzuwarten, was die SPD beim Parteitag von Freitag bis Sonntag entscheide.
Walter-Borjans und Esken fordern von der Koalition einen neuen Kurs in einigen zentralen Fragen. Dazu zählen mehr Klimaschutz, eine massive Ausweitung der Investitionen in Schulen und Straßen und mehr Soziales.
„Eine andere Situation“
Esken sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“: „Wir sind einfach der Auffassung, dass sich im Laufe der ersten zwei Jahre der großen Koalition eine andere Situation ergeben hat im Land.“ Walter-Borjans bekräftigte, dass staatliche Investitionen von 45 Milliarden Euro pro Jahr nötig seien. In schwächeren Jahren seien auch neue Kredite nötig. Esken vermied die Drohung mit einen Austritt aus der Koalition, sagte aber mit Blick auf die Union: „Es muss schon klar sein, dass eine Bereitschaft da sein muss, zu reden.“
Hamburgs Regierungschef Peter Tschentscher (SPD) sagte dem NDR, die Personalentscheidung sei „keine radikale Kursänderung“. SPD-Fraktionsvize Achim Post sagte der Deutschen Presse-Agentur, es sei klar, „dass diese Koalition schon jetzt viel für die Menschen in diesem Land erreicht hat und auch noch viel politisch vorhat“. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) warnte die künftigen Vorsitzenden, einseitig auf soziale Themen zu setzen. Die SPD habe hier „keinen Nachholbedarf“, sagte er dem „Handelsblatt“.
Dezidiert für ein Ende der großen Koalition sprach sich nur die SPD-Linke Hilde Mattheis aus. Die SPD müsse sich jetzt auf Inhalte konzentrieren, etwa auf Verteilungsfragen und soziale Gerechtigkeit, sagte sie der dpa in Stuttgart. „Für mich sind diese Themen nur umsetzbar außerhalb der großen Koalition.“ Dagegen betonte der Chef des konservativen Seeheimer Kreises der SPD, Johannes Kahrs, im Deutschlandfunk, er könne sich nicht vorstellen, dass die SPD Erfolge wie die Einführung einer Grundrente aufs Spiel setzen wolle.
Brinkhaus warnt SPD-Spitze
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) warnte die designierte neue SPD-Spitze vor dem Versuch, in der Koalition eine Orientierung ins politisch linke Spektrum zu versuchen. „Eine Verschiebung der Koalition nach links kommt für uns nicht in Frage“, sagte er der dpa. Die Unionsfraktion im Bundestag stehe zum Koalitionsvertrag und zur Bundesregierung. Der Vertrag sei „nicht von Einzelpersonen, sondern von Parteien und Fraktionen geschlossen worden“, erinnerte Brinkhaus.
Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) plädierte für den Fall eines Bruchs der Koalition für eine Minderheitsregierung. „Der Bundeshaushalt ist beschlossen, eine Minderheitsregierung könnte im Jahr 2020 regieren“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Grüne und FDP verlangten schnelle Klarheit darüber, wie es mit der großen Koalition weitergeht. Die SPD müsse in dieser Woche klären, ob sie Deutschland weiter regieren wolle, sagte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock in Berlin. „Mit einem Jein kann man kein Land regieren, und das muss die SPD auf ihrem Parteitag jetzt klarstellen.“ Aus Sicht der FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg hat sich die SPD für einen Linkskurs entschieden. „Wichtig ist jetzt, dass die Union sich davon nicht erpressen lässt für eine weitere teure Ausgabenpolitik wider jede Vernunft und auf Kosten der Steuerzahler“, sagte sie in Berlin. (dpa)