Ex-rechtsextreme Youtuberin„In meinem Kopf war: Ich muss meine Tochter verhüllen“
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Lange Zeit galt Lisa H. als schönes Aushängeschild der Neuen Rechten.
Nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 beginnt sie, wie sie sagt, zu „recherchieren“. Tritt in Facebook-Gruppen ein.
Heute sagt sie, eigentlich habe sie das alles nie gewollt, sie sei da reingeschlittert. Sie hätte zu dieser Zeit keinen „Youtube“-Kanal gebraucht. Sondern einen Psychologen.
Mittlerweile kämpft Lisa H. gegen ihre ehemaligen Kameraden.
Köln – Neulich hat ihr wieder einer den Tod gewünscht. Wann sie sich endlich einschläfern lässt, hat er gefragt. Einen Screenshot davon hat sie selbst veröffentlicht, es war nicht das erste Mal. Regelmäßig, sagt sie, bekommt sie mittlerweile solche Nachrichten. Mails, in denen sie ihr mit Vergewaltigung drohen, mit Hinrichtung, auch ihrer Kinder, sie wollen ihr die Kehle durchschneiden. Wer genau ihr das schreibt, wer hinter den Nutzernamen und Aliasen steckt, weiß sie nicht. Aber sie hat da so eine Vermutung.Es ist nun knapp einen Monat her, dass Lisa H., im Internet bekannter als Lisa Licentia, vor 1,69 Millionen Menschen aus der rechten Szene ausstieg. So viele Zuschauer hatte die Dokumentation „Rechts. Deutsch. Radikal.“Ende September lief sie auf dem Privatsender ProSieben, 20.15 Uhr, beste Sendezeit, über zwei Stunden lang und ohne Werbung. Schon vor der Ausstrahlung berichteten Medien deutschlandweit, der Höhepunkt des Films war vorab bekannt geworden: Christian Lüth, damals noch Pressesprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, damals noch ein wichtiger Mann in der Partei, sagt bei einem vermeintlich vertraulichen Gespräch, man könnte Flüchtlinge „erschießen“ oder „vergasen“. Lüth wusste bei dem Treffen im Februar dieses Jahres nicht, dass versteckte Kameras ihn filmen. Dass sein Gegenüber, Lisa H., eine Frau Ende 20, schmale Schultern und große Augen, damals die vielleicht wichtigste rechte Bloggerin Deutschlands, nun mit Journalisten zusammenarbeitet, um ihn zu entlarven.Wie konnte es dazu kommen?
Lisa H. stand lange Zeit auf der anderen Seite
Ein kleines Café in der Nähe von Köln, Ende Oktober. H. trägt einen grauen Mantel zum Gespräch, die Haare sind jetzt kurz und pink gefärbt. Es sei besser, nicht zu schreiben, wo sie mittlerweile wohne. Bereits im Juni, lange vor dem Sendetermin, wurden ihre Konten in den Sozialen Medien gehackt. Private Unterhaltungen veröffentlicht. Seitdem war zumindest unter Rechten bekannt, dass Lisa H. anscheinend raus will und dass sie sich einer Redaktion anvertraut hat. Auch ihre private Adresse sei herumgeschickt worden.
„Ich habe eine Postkarte bekommen“, sagt H. „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen. Ausreisehilfe nach Afrika, sowas.“ Dazu regelmäßig die Nazi-Aufkleber, die sie von der Fassade habe abkratze müssen. Ihr Partner Michael (Name geändert), der H. beim Ausstieg hilft und auch beim Treffen dabei ist, sagt, er schaue sich mittlerweile drei Mal um, wenn sie zusammen aus dem Haus gehen.
Es wäre einfach, das, was Lisa H. passiert ist, gänzlich als eine Opfergeschichte zu erzählen. Die Wahrheit ist aber auch: Lisa H. stand lange Zeit auf der anderen Seite. Als eine Art rechte „Influencerin“ hetzte sie auf ihrem YouTube-Kanal gegen den Islam, Geflüchtete, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Andersdenkende. Dort sah man sie Sätze in die Kamera sprechen wie diesen: „Jeder Moslem, der sich an den Koran hält, ist meiner Meinung nach nicht mit unseren Werten vereinbar.“ Die Erzählung war immer ähnlich: Migranten vergewaltigen und töten, sie sind eine Gefahr, besonders für deutsche Frauen und Kinder.
Radikalisierung begann vor Karriere im Internet
Ihre Videos kamen insgesamt auf fast zwei Millionen Aufrufe, ihr folgten zeitweise rund 45.000 Menschen. Kaum eine andere Frau war in der von Männern geprägten rechten Szene so bekannt wie sie.
H. sagt heute offen, dass sie sich schämt. Vor sich selbst. Dass sie Wiedergutmachung für ihr Gewissen betreiben wolle. Deswegen spreche sie nun mit Journalisten. Sie nehme an einem staatlichen Aussteigerprogramm teil. Die zuständige Behörde darf das auf Anfrage dieser Zeitung aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht verifizieren.
Die Radikalisierung von Lisa H. beginnt lange, bevor sie sich das erste Mal vor eine Kamera setzt. Sie erzählt die Geschichte so:
Eigentlich stammt H. aus Franken, Bayern. Eigentlich sei sie immer ein unpolitischer Mensch gewesen. Ihr Vater ist, so sagt sie, Muslim. Als sie noch ein Kind war, habe er der Mutter schwere Gewalt angetan, dann verließ er die Familie. H. macht mit 16 eine Lehre, heiratet früh, zieht ins Rheinland. Drei Kinder. Scheidung. Alleinerziehend.
Dann die Silvesternacht 2015/2016. Am Kölner Hauptbahnhof kommt es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen durch junge nordafrikanische Männer. H. beginnt, wie sie sagt, zu „recherchieren“. Sie tritt in Facebook-Gruppen ein, die vor einer angeblichen Islamisierung Deutschlands warnen. Sie liest die Artikel, die dort geteilt werden. Manchmal fünf, manchmal neun Stunden am Tag. Von 7 Uhr früh bis nachts um eins. Wenn die Kinder um 19 Uhr im Bett liegen, verbringt sie den Rest des Abends am Handy. Die Algorithmen versorgen sie mit immer neuen Angstzuständen: Sie sieht Hinrichtungsvideos, unzensiert, obwohl sie nicht einmal danach gesucht hat. Ihre Timeline ist voll von Muslimen, die Frauen misshandeln und ermorden. Und der Staat, findet H., tut nichts dagegen. Das macht ihr panische Angst.
Erste Kontakte zur „Identitären Bewegung“
Zwei Jahre geht das so. Als sich in Chemnitz tausende Rechte zu einem „Trauermarsch“ treffen, stößt H. auf ein Video der sogenannten „Identitären Bewegung“ (IB). Deren Ideologie richtet sich laut Verfassungsschutz gegen die Menschenwürde, die IB wird als rechtsextremistische Organisation eingestuft. Doch die „Identitären“ sehen nicht aus, wie man sich Neonazis vorstellt, sie tragen Sneaker und keine Springerstiefel, im Internet geben sie sich in gut produzierten Imagevideos als jung, akademisch und hip. In Wahrheit aber stehen sie so weit rechts, dass selbst der AfD-Bundesvorstand 2016 per Unvereinbarkeitsbeschluss jegliche Zusammenarbeit mit ihnen ausgeschlossen hat. H. findet, der Anführer dieser „Identitären“, Martin Sellner, wirkt aber doch ganz eloquent und sympathisch.
Sie nimmt Kontakt auf, wird vermittelt und Teil einer Frauenkampagne der IB, macht bei Flyeraktionen mit. Es gibt ein Foto von ihr aus dieser Zeit, sie schaut darauf entschlossen, während sie ein Banner der Gruppierung in der Hand hält.
Am 26. April 2019 schließlich gründet sie ihren eigenen „Youtube“-Kanal. Dort nennt sie sich „Lisa Licentia“, lateinisch für Freiheit, Macht. In der Szene hat sie längst einen anderen Spitznamen: „IB-Lisa“. „Identitären“-Chef Sellner hat selbst Tausende Abonnenten, ihnen empfiehlt er H.s erstes Video. Anfang Mai 2019 veröffentlicht Sellner zudem ein Interview mit H. auf seiner Seite. Auch ihre Followerzahlen steigen schnell. 12.000 nach nur zwei Wochen.
Gespräche mit Roger Beckamp
Es dauert keinen Monat, dann wird Lisa H. von der AfD entdeckt.
Am 14. Mai 2019 wird sie in den Bundestag eingeladen. Die AfD-Fraktion veranstaltet die „1. Konferenz der freien Medien“. Gesinnungsnahe Blogger sollen sich hier mit rechtspopulistischen Politikern vernetzen. Lisa H. ist plötzlich ganz oben angekommen, sie gehört jetzt dazu, der schnelle Aufstieg schmeichelt ihr. Sie sagt, sie dachte wirklich, die finden ihre Videos einfach gut.
Etwa um dieselbe Zeit bekommt H. auch eine Nachricht von Roger Beckamp. Der Kölner Rechtsanwalt ist Landtagsabgeordneter der AfD in Nordrhein-Westfalen, betreibt selbst einen „Youtube“-Kanal und will mit H. zusammenarbeiten. Es kommt zu einem ersten persönlichen Gespräch. Was dort besprochen wird, darin unterscheiden sich heute die Aussagen der Beiden. H. sagt, Beckamp habe sie gefragt, ob sie bei der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ aktiv sei. Bevor sie ausreichend antworten konnte, habe er sinngemäß hinzugefügt: „Selbst wenn, ist mir das eigentlich auch egal.“ Beckamp schreibt auf Anfrage, ihm sei nicht bekannt gewesen, für wen H. „zuvor oder zu diesem Zeitpunkt zusammen tätig war“, eine Zusammenarbeit mit der „Identitären Bewegung" habe sie ihm gegenüber verneint. Den Satz „Selbst wenn, ist mir das eigentlich auch egal“ habe er nie gesagt. Nach Informationen dieser Zeitung gibt es für dieses Gespräch keine weiteren Zeugen, wer Recht hat und wessen Erinnerung getrübt ist, wird sich daher wohl kaum klären lassen.
Der Redaktion liegt ein Mailverkehr zwischen H. und Beckamp vor. Darin geht es um ein Antwortvideo, das H. auf den bekannten Clip „Die Zerstörung der CDU.“ von Rezo drehen soll. In einer ersten Mail macht Beckamp konkrete Vorschläge zum Inhalt dieses Antwortvideos. Nur zwei Stunden später dann schickt er H. ein Manuskript, das diese im später veröffentlichten Video fast wortgleich übernehmen wird. An mehreren Stellen wird in Beckamps Text Werbung dafür gemacht, den Positionen der AfD mehr Gehör zu schenken. Auch hat er H. diesen Satz vorformuliert: „Allein die unkontrollierte Masseneinwanderung spaltet unser Land seit 2015, die eigenen Leute werden verdrängt, auf dem Wohnungsmarkt, bei sozialen Leistungen, in ihrer eigenen Heimat.“
Natürlich sei der Entwurf nur „denkbare Orientierung“ schreibt Beckamp damals. Und: „Toll wäre noch eine persönliche Geschichte oder auch irgendwas ausgedachtes Bildhaftes.“ Er bietet H. zudem Hilfe beim Schnitt durch einen Mitarbeiter der Landtagsfraktion an. Das alles sendet er von seiner Landtags-Mailadresse, samt offizieller Unterschrift: „Roger Beckamp MdL“ – Mitglied des Landtags.
AfD-Politiker als Ghostwriter für eine Bloggerin?
Drei Tage später veröffentlich Lisa H. ein Video unter dem Titel „Die CDU will Rezo nicht antworten? Ich schon“. Sie sitzt darin auf einer grauen Couch. Drei Minuten und 41 Sekunden spricht sie in die Kamera. Über 100.000 Mal wird es angeklickt.
Dass MdL Roger Beckamp allerdings an der Erstellung beteiligt war, dass er den Text geschrieben hat, dass er, so behauptet H., sogar die ursprüngliche Idee für das Video hatte, davon erfahren die Zuschauer nichts. Es gibt keinen Verweis oder ähnliches. Laut H. sei es abgesprochen gewesen, dass Beckamp nicht mit dem Video in Verbindung gebracht werden kann.
Gleichwohl postet Beckamp den Link dazu auf seinem Facebook-Account. „Lisa - die passende Antwort auf die scheinheilige Parteienkritik des YouTubers Rezo“, schreibt er. „Bitte unbedingt teilen und weiter verbreiten!“
Ein AfD-Politiker also, der sich als Ghostwriter für eine Bloggerin betätigt, die zu diesem Zeitpunkt zumindest noch öffentlich der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ nahegestanden hat.
Der AfD-Landesverband NRW fühlt sich nicht zuständig, das groß zu kommentieren, auf Anfrage teilt er mit, „Herr Beckamp ist als Mandatsträger nicht an Weisungen des Landessprechers gebunden.“ Die Fraktion schreibt, die Vorgänge seien ihr nicht bekannt gewesen, sie habe mit ihnen nichts zu tun. Auch die beim Bundeverband angesiedelte parteiinterne „Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“, zu deren selbst erklärten Aufgaben es gehört, bei problematischen Äußerungen oder Verhaltensweisen von AfD-Politikern „korrigierende Maßnahmen“ durchzusetzen, will die Sache weder bewerten noch tätig werden. „Die weitere Behandlung dieser Angelegenheit ist Sache des Landesverbandes NRW“, schreibt der Leiter der Arbeitsgruppe, Roland Hartwig, auf Anfrage dieser Zeitung.
Tage später sagt sich H. tatsächlich von der „Identitären Bewegung“ los, weil ihr die zutiefst männliche Struktur der Gruppierung, Frauenhass inklusive, missfallen habe. Ein weiteres Video zusammen mit Beckamp, der diesmal offiziell und vor der Kamera auftritt, erscheint. Wieder schreibt laut H. er den Text vor, sie liest vom Teleprompter ab.
Im Blick des NRW-Verfassungsschutzes
In den Monaten darauf filmt H. auch immer wieder auf Demonstrationen. Auch auf solchen, die von bekannten Rechtsextremisten angemeldet wurden. Und Neonazis machen plötzlich für ihre Veranstaltungen Werbung mit H.s Gesicht. Sie fällt dem NRW-Verfassungsschutz auf. Der schreibt damals auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“, man kenne H., sie versuche mit ihren Videos die Breitenwirkung von Veranstaltungen der „rechtsextremistisch beeinflussten Mischszene in Nordrhein-Westfalen“ zu erhöhen.
H. sagt heute, eigentlich habe sie das alles nie gewollt, sie sei da reingeschlittert. Schnell habe sie nur noch rechte Freunde gehabt, ihre Grenze habe sich Stück für Stück verschoben. „In meinem Kopf war: Wir werden islamisiert, ich muss meine Tochter verhüllen, ich muss ihr eine Burka aufziehen, sonst wird sie vergewaltigt. Da nehme ich die paar Nazis auf der Demo hin. Ich hab’s gewusst, aber mir war es egal.“ Sie sagt, sie hätte zu dieser Zeit keinen „Youtube“-Kanal gebraucht. Sondern einen Psychologen.
„Ich lösch meinen Kanal. Ich verpiss mich einfach“
Schon im späten Herbst 2019, sagt sie, kommen Zweifel. Sie fühlt sich instrumentalisiert. In AfD-Kreisen ist sie die „Schöne“, das Püppchen, das Mäuschen. Ein hübsches Gesicht, um junge Leute im Internet anzuwerben. Zahnrad in der Propagandamaschine, der sie einst verfiel und nun mit antreibt. Ernst genommen aber wird sie nicht wirklich, findet sie.
Gleichzeitig bekommt sie mit, wie Menschen aus der rechten Szene sich über neue Gewalttaten freuen. Wie sie sich lustig machen über tote Flüchtlingskinder. Das, sagt sie, habe sie trotz ihrer Abneigung gegen den Islam und Migranten fassungslos gemacht.
Nachts um drei, erzählt sie, kommen plötzlich solche Gedanken: Ich lösch meinen Kanal. Ich verpiss mich einfach. Ich will nur meine Ruhe.
Dann schreibt Michael ihr. Er ist in seinen Zwanzigern und links, ebenfalls aus Köln. Zufällig hat er eins ihrer Videos gefunden, will nun mit ihr diskutieren. Ein paar Tage lang schicken sie sich Nachrichten hin und her, rufen sich schließlich über einen Messaging-Dienst an. Reden sechs Stunden am Stück, wie sie sagen. „Schon während des Gesprächs ist mir aufgefallen, dass sie zwar versucht, für Frauenrechte einzustehen“, sagt Michael. „Aber es da einen Widerspruch gibt: Für sie war es schlimmer, wenn ein Muslim die Tat begeht.“ Michael sagt, er habe von Beginn an gemerkt, dass H.s Weltansicht nicht wirklich gefestigt ist. Dass sie nicht wirklich Migranten hasst, sondern sich vor allem: fürchtet.
Von da an schreiben sie sich jeden Tag. Viele Stunden. Lange Nachrichten. Er leiht ihr Bücher aus, schickt ihr Statistiken. In Diskussionen über Altersarmut ist sie schnell auf seiner Seite. Doch ihre Angst vor dem Islam, die behält sie noch für vier, fünf weitere Monate.
In denen fragt auch ProSieben an. Sie machen einen Film über junge Rechte. H. sagt zu, wird von den Journalisten zu einer anderen AfD-Veranstaltung in den Bundestag begleitet. Anschließend beginnt sie vor der Kamera zu weinen. Sagt: „Ich häng’ da total drin und komm’ nie wieder raus.“ Das war im Dezember 2019.
Festnahme als Schlusspunkt der rechten Karriere
Sie wird gebeten, bis zur Ausstrahlung dicht zu halten, auch über das Treffen mit Pressesprecher Lüth, das noch folgte. Selbst veröffentlicht sie anschließend nur noch wenig, gibt höchstens anderen rechten Bloggern Interviews, alibimäßig, wie sie sagt, filmt noch einmal von einer Anti-Corona-Demo in Köln, wird dort schließlich nach einer körperlichen Auseinandersetzung von der Polizei festgenommen. Es ist vielleicht der Tief- und zugleich Schlusspunkt ihrer rechten Karriere.
Auch nach mehreren Gesprächen ist es schwierig, H. wirklich einzuschätzen. In dem Café wirkt sie ein bisschen nervös, ihre Gedanken scheinen sich manchmal zu überschlagen. Wenige Tage später, am Telefon, spricht sie ruhig, klar. Aufgeräumt. Man kann kaum sagen, wie viel Furcht und wie viel Hass tatsächlich einst in ihrem Kopf war.
Und auch einen großen Umdreh-Moment, einen in dem es geklickt hat und danach hatte sie verstanden, der als großer Höhepunkt dieser Geschichte hätte stehen können, den findet man bei ihr nicht. Vielleicht ist das aber auch die Pointe: So wie sie Stück für Stück, immer ein kleines bisschen mehr, in die rechte Szene reinrutschte, so kam sie auch nur langsam, von Gespräch zu Gespräch, immer ein bisschen mehr aus ihr heraus.
Abitur und Studium geplant
Lisa H. betreibt noch immer ihren Kanal auf „Youtube“. Ihre alten Clips hat sie gelöscht. Stattdessen produziert sie Videos, die „Tschüss AfD - jetzt ist Schluss“ heißen. Ihre Abonnentenzahl sinkt stetig. Doch sie hat die Hoffnung, die Rechten, die ihr noch folgen, ebenfalls zu einem Umdenken bewegen zu können. Klappt nicht wirklich. „In 95 Prozent der Fälle werde ich einfach nur beleidigt“, sagt sie. Klar wäre es einfacher, wenn sie sich einfach stummschalten würde, verschwinden, im Aussteigerprogramm habe man ihr dazu sogar geraten.
Es ist noch immer eine Bedrohung der Frauen in Deutschland, die sie antreibt. Sie sagt: „Wenn es eine Gefahr für die Frauen in Deutschland gibt, dann ist das definitiv die AfD. Davor will ich warnen.“
Auf dem Abendgymnasium macht H., so sagt sie, zudem das Abitur nach. Danach plant sie ein Studium. Soziologie, Schwerpunkt: Rechtsextremismus.