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Kommentar zu AstrazenecaGute Entscheidungen schlecht kommuniziert

Lesezeit 3 Minuten
Merkel Spahn

Angela Merkel und Jens Spahn am Dienstagabend

Es kann einem schon ein wenig schwindelig werden. Bevor Astrazeneca in Deutschland auf dem Markt war, hieß es, der Impfstoff werde nur für unter 65-Jährige empfohlen. Wenig später wurde die Empfehlung auf alle Altersgruppen über 18 erweitert. Mitte März wurden die Impfungen wegen möglicher Gefahren gestoppt. Kurz darauf wurde wieder Entwarnung gegeben – nur um keine zwei Wochen später zu entscheiden: Nur über 60-Jährige sollten sich mit Astrazeneca impfen lassen. Was hier so chaotisch und willkürlich klingt, war tatsächlich in jedem Schritt logisch, und die Entscheidung, die Freigabe von Astrazeneca nun zu ändern, war die einzig richtige. Das Chaos entsteht, weil es der Politik wieder einmal nicht gelingt, den Menschen genau das rechtzeitig, glaubhaft und nachvollziehbar zu erklären. Das Ergebnis: maximale Verunsicherung.

Dass Wissenschaft und Menschen in Zeiten einer Pandemie durchaus auf Kriegsfuß stehen, lässt sich nun seit einem Jahr beobachten. Wissenschaft steht nicht still. Es liegt in ihrer Natur, dass mit jedem Erkenntnisgewinn, mit jedem neuen Datensatz, Annahmen revidiert und Prognosen angepasst werden müssen. So ist es auch im Fall von Astrazeneca. Zunächst wurde der Impfstoff nur für U-65 empfohlen, weil schlicht nicht genügend Daten vorhanden waren, um eine verlässliche Bewertung für ältere Menschen zu treffen. Vor zwei Wochen wurden die Impfungen ausgesetzt, als vereinzelte Meldungen zu schweren Erkrankungen mit möglichem Kausalzusammenhang aufkamen. Doch die Daten- und Beweislage war zu gering und das Corona-Risiko zu hoch, als dass der Impstoff weiter guten Gewissens hätte zurückgehalten werden können. Und nun die nächste Kurve: Die Daten geben es mittlerweile her, die Impf-Empfehlung noch einmal anzupassen. Zunächst soll Astrazeneca hauptsächlich an Menschen über 60 verimpft werden. Auch das kann sich in einigen Wochen wieder ändern. Je mehr Menschen geimpft werden, desto größer der Erkenntnisgewinn. Manchmal müssen eben erst 3 Millionen Fälle vorliegen, um seltene Auffälligkeiten zu erkennen. Das ist auch bei anderen Impfstoffen und Medikamenten nicht anders.

Die Menschen sind müde

Doch nach mehr als einem Jahr des Verzichts sind die Menschen müde. Und sie sind verunsichert. Ständige Regeländerungen, konstant abverlangte Flexibilität, immer neue Erkenntnisse, Informationen in Dauerschleife: All das zehrt an den Kräften. Was vielen derzeit am meisten fehlt ist Sicherheit, Struktur, Verlässlichkeit. Da tröstet es wenig, dass selbst scheinbar Chaotisches bei näherer Betrachtung Sinn ergibt. Manche Menschen schaffen es nicht mehr, so genau hinzusehen, Informationen hinterherzurennen. Sie sind dann ein gefundenes Fressen für jene, die haarsträubende aber zumindest simple Antworten liefern, wie zum Beispiel Impfgegner und Coronaleugner.

Alles zum Thema Angela Merkel

Aufgabe der Politik ist es, die derzeit so komplizierte Realität den Menschen so verständlich wie möglich zu machen. Ihre Unsicherheit zu antizipieren und ihr entgegen zu wirken. Zu oft scheitert sie genau an diesem Punkt. So auch im Fall Astrazeneca. Viel zu zaghaft wurde komminiziert, dass die Bewertung der möglichen Risiken noch nicht abgeschlossen ist, und die Freigabe des Impstoffes möglicherweise nur vorübergehend war. Viel zu spät wurde offenbar damit begonnen, tragfähige Alternativkonzepte auszuloten für den Fall, dass geplante Zweitimpfungen wegfallen. Und wieder steht am Ende eine Pressekonferenz, die die Versäumnisse der vorangegangenen Tage und Wochen auffangen soll.

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Dieses Konzept funktioniert nicht länger. Die Entscheidungsträger müssen sich endlich angewöhnen, Bürger abzuholen, bevor sie in der Flut der undurchsichtigen Informationen und Entscheidungen untergehen. Sie müssen ihnen rechtzeitig und vorausschauend erklären, was auf sie zukommen kann, auch wenn es schwierig wird. Ja, die Menschen sehnen sich nach einfachen Erklärungen und stabilen Verhältnissen. Aber vielen würde es vermutlich schon helfen, wenn ihnen nicht immer wieder trügerische Sicherheit suggeriert würde, bevor sie von den Ereignissen überrolt werden.