Liebe Leserin, lieber Leser,sind Sie auch enttäuscht von dem, was sich die jüngste Bund-Länder-Runde zur Bewältigung der Corona-Pandemie ausgedacht hat? Vielleicht müssen wir uns dann alle miteinander sagen lassen: Ihr hattet ein falsches Erwartungsmanagement!
Anders formuliert: Wer gehofft hatte, dass Kanzlerin Angela Merkel mit den Länderchefs und -chefinnen der Befreiungsschlag gelingen würde, dem konnte gar nichts Anderes widerfahren als eine Enttäuschung.
Ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie scheint sich eine Strategie der Krisenbewältigung erledigt zu haben: Das alleinige Fahren auf Sicht bringt uns inzwischen nicht mehr voran, sondern führt in eine politische und gesellschaftliche Sackgasse.
In den ersten Monaten nach dem Auftreten des Coronavirus fehlte es der Politik an vielem, was sie für einen Langzeitplan braucht: klare Fakten, verlässliche Berechnungen, ein wirksames Instrumentarium. Ich erinnere nur einmal daran, dass über die Einführung einer Maskenpflicht entlang der Frage diskutiert wurde, ob man das Tragen von Masken vorschreiben könne, die nirgends zu haben sind.
Aus diesen Schwierigkeiten der Anfangsphase sollten die Verantwortlichen gelernt haben. Doch noch heute müssen wir hören, dass Schnelltests aufgrund organisatorischer Versäumnisse weder in gebotener Schnelligkeit noch in ausreichender Zahl verfügbar sind. Die verstolperte, schlecht organisierte und auf dem Verordnungsweg unzulänglich gestartete Impfkampagne ist insofern ein Desaster. Denn die Kombination aus Impfungen und Schnelltests ist die einzige Handhabe im Corona-Abwehrkampf, die ermöglicht, wonach sich alle sehnen: das Zurückgewinnen persönlicher Freiheiten und die Öffnung des gesellschaftlichen Lebens unter Beherrschung der damit immer noch verbundenen Risiken.
Es hat kein Aufbruchssignal gegeben
Jetzt tut die Politik, was sie über Monate hinweg als zu gefährlich und nicht verantwortbar abgelehnt hat. Sie lockert, weil sie unter dem Erwartungsdruck des Volkes und einer unter dem Lockdown ächzenden Volkswirtschaft nicht mehr anders kann. Aber so, wie es jetzt passiert, ist das kein Aufbruchssignal, kein Setzen auf eine bessere Zukunft, sondern ein – wiederum zögerliches – Vabanquespiel mit Risiken und Nebenwirkungen und wieder der Beschwörung einer Notbremse.
Als ob man das nicht genau so schon beim „Lockdown light“ hätte, der ein ums andere Mal verschärft und verlängert wurde, ohne dass sich perspektivisch etwas gebessert hätte.
Der Bonner Philosoph Markus Gabriel hat recht: Man konnte das ausprobieren. Drei Wochen, vielleicht noch etwas länger. Aber mit nachgewiesenem Scheitern auf diesem Weg hätte man ihn verlassen müssen. Das „Weiter so!“ in verschärfter Gangart war der Punkt, an dem – wie Gabriel es sagt – Scheitern in Versagen übergegangen ist.
Zuckerbrot und Peitsche
Jetzt lockern wir, aber niemand hat ein gutes Gefühl dabei. Fröhlich Ostern feiern – oder wieder im Lockdown sitzen. Diese Alternative hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder aufgemacht. Es ist im Grunde wieder die seit Monaten gedrehte Zuckerbrot-und-Peitsche-Leier.
Bitte, so nicht mehr! Die ritualisierten Runden auf der Chefebene, die sich als Souveränitätssimulation entpuppen; eine Politik, die sich in den mentalen Lockdown begeben hat und den Ruf Deutschlands als Organisationsweltmeister geradezu kläglich verspielt.
„Verweilverbote“ in einzelnen Städten mit Aufenthaltskontrollen und Bußgeldern sind das ultimative Symbol für eine Politik der Hilflosigkeit, die seit Monaten paralysiert auf schleppend sinkende, inzwischen sogar wieder steigende Inzidenzzahlen schaut.
Es muss sich jetzt dringend etwas ändern. Markus Gabriel hat in seinem jüngsten Interview im „Kölner Stadt-Anzeiger“ einem „Staatsversagen“ den Ruf nach mehr Bürgersinn entgegengestellt. Seit dem Beginn der Pandemie hören wir die Appelle an die Verantwortung, die wir für einander haben, und an den Gemeinsinn. Jedes meiner Editorials beende ich seit einem Jahr mit dem Satz „Achten Sie auf sich und Ihre Nächsten!“ So auch diesmal.
Erledigt die Pflichten
Aber ich füge heute hinzu: Wir brauchen endlich eine Konzentration aller Kräfte auf die praktischen Erfordernisse, damit diese Aufforderung nicht nur als Floskel durchrauscht. Wir brauchen eine Politik der Ermöglichung. Keine Machtdemonstrationen, keine Fingerhakeleien von Ministerpräsidenten und Bundesministern. Keine „Wir-haben-alles-im-Griff-Kürübungen“, sondern endlich die Erledigung der Pflichtaufgaben.