Die Migrationskrise dürfte ein bestimmendes Thema sein bei den Gesprächen von Olaf Scholz mit den Regierungschefs der Länder.
Kommentar zur Ministerpräsidenten-KonferenzDas Vertrauen in den Staat steht auf dem Spiel
Das Treffen von Bund und Ländern am Montag ist eines der wichtigsten, seitdem es dieses Format gibt. Es geht um einen einvernehmlichen Wendepunkt in der Migrationspolitik, ohne den die demokratischen Parteien gefährlich an Vertrauen verlieren, die deutsche Gesellschaft auf Dauer überfordert und anerkannte Schutzsuchende übersehen werden.
Sollten die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, die die Linke, die Grünen, FDP, SPD, CDU und CSU in den Ländern vertreten, und Kanzler Olaf Scholz, der am Freitag noch einmal mit Unionsspitzen im Bund beraten hat, keine Lösung zustande kriegen, versündigen sie sich gemeinsam am Frieden und Zusammenhalt im Land. Um nichts weniger geht es. Sie alle sollten sich hüten, aus parteitaktischen Erwägungen einen Kompromiss zu verhindern. Alle würden verlieren.
Viele Asylbewerber integrieren sich mit beeindruckendem Engagement
Zwei wichtige Punkte vorweg. Erstens: Jede Verallgemeinerung ist unzulässig. Es gibt viele anerkannte Asylbewerber aus den verschiedensten Ländern, viele Flüchtlinge aus Syrien und viele Ukrainerinnen, die sich hier mit beeindruckendem Engagement integrieren. Sie lernen die Sprache, sie suchen sich eine Beschäftigung, sie wertschätzen die Regeln unserer Demokratie. Sie sind eine Bereicherung für unsere multikulturelle, weltoffene und freiheitliche Gesellschaft. Aber es gibt eben auch zu häufig das Gegenteil.
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Zweitens: Die Pläne für die Verschärfung der Migrationspolitik werden die Zahl der Geflüchteten nicht schnell senken. Das muss klar gesagt werden, weil enttäuschte Erwartungen den Unmut erhöhen.
Olaf Scholz´ geplante Abschiebungen „in großem Stil“ werden nur einen Bruchteil ausmachen. In vielen Fällen braucht es außerdem noch Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern. Das dauert. Grenzkontrollen sind gut, aber wer seinen Fuß auf deutschen Boden gesetzt hat und um Asyl bittet, bleibt erst einmal hier. Die mit der EU geplanten Asylverfahren an der EU-Außengrenze sind auch nur für jene gedacht, deren Anerkennungsquote niedrig ist. Union und FDP, die die Sozialleistungen für Asylbewerber senken wollen, erwähnen nicht, dass das Bundesverfassungsgericht aus Gründen der Menschenwürde einen Riegel davor geschoben hat. Und dennoch sind alle Anstrengungen wichtig. Sie leiten eine Wende ein.
Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt hat breite Schultern
Dass Deutschland wieder Asylbewerber-Rekordzahlen schreibt, hat einen im Wortsinn guten Grund. Die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt hat sehr breite Schultern, eine Sicherheit des Rechtsstaates und auch nach der Aufnahme von knapp einer Million Syrerinnen und Syrer und in etwa 1,5 Millionen Ukrainer – in der Mehrzahl Frauen und Kinder – eine grundsätzlich noch intakte Willkommenskultur. Und dieses Deutschland kann mit Stolz sagen, dass es weiterhin Menschen in Not helfen wird. In den zurückliegenden Jahren haben es aber alle gemeinsam – Bund, Länder, Kommunen, Behörden, Gerichte, Verbände – versäumt, den richtigen Rahmen zu setzen.
Es ist schon lange falsch, Asylbewerber und Migranten nicht von Anfang an in Arbeit zu bringen und sie nicht zur Unterstützung des Gemeinwesens zu verpflichten. Denn nur so kann ein Verständnis dafür erzeugt werden, dass die staatlichen Leistungen für Flüchtlinge von jenen aus der Nachbarschaft erwirtschaftet werden, die regelmäßig zur Arbeit gehen, selbst für die Kinderbetreuung sorgen und ihre Steuern an den Staat abführen. Das zu „harmonisieren“, würde das gestörte Gerechtigkeitsgefühl wieder verbessern.
Ein Scheitern der Gespräche würde den Staat deutlich mehr kosten als die Mittel für die Unterbringung der Flüchtlinge, um die gestritten wird. Nämlich das Vertrauen, dass große Probleme in unruhigen Zeiten im Schulterschluss von Regierung und oppositioneller Union gelöst werden können.