Am Ende einer dramatischen Nacht hatten sie ihn wieder alle unterschätzt. Armin Laschet schien zwischenzeitlich wie der sichere Verlierer des Machtkampfs um die Kanzlerkandidatur der Union auszusehen. Was aus der Präsidiumssitzung der CDU am Montagabend herausdrang, konnte man als stetiges Abrücken der Parteifreunde von ihrem Vorsitzenden interpretieren: Die CDU wollte, so schien es, nicht mit Laschet, sondern mit CSU-Chef Markus Söder an der Spitze in die Bundestagswahl ziehen.Doch es kam anders. Das Parteipräsidium hob Laschet am Ende einer jetzt schon historischen Debatte mit deutlicher Mehrheit auf den Schild. Obwohl nach Meinung vieler an der Basis Söder der bessere, aussichtsreichere Kandidat gewesen wäre.
Das Kanzleramt ist noch weit weg
Warum neigt man dazu, den NRW-Ministerpräsidenten zu unterschätzen? Liegt es an seinem weichen rheinischen Dialekt? An seiner Art zu reden, die dem Gesprächsgegenstand seine Härte nimmt?Armin Laschet, laut „Spiegel“ der „Rocky Balboa der deutschen Politik“, beweist nicht zum ersten Mal enorme Steherqualitäten. Er blieb auch in der letzten Runde des auf Biegen und Brechen geführten Duells einfach im Boxring stehen. Und entschied den Kampf dann mit vielen blauen Flecken, aber kühlem Kopf in der Verlängerung.
Doch um welchen Preis? Laschet hat die Kandidatur gewonnen, aber noch längst nicht das Kanzleramt. Er startet in den Bundestagswahlkampf aus einer denkbar schlechten Position – mit dem Rücken zur Wand. Der von erheblichen Teilen seiner eigenen Partei ungeliebte Spitzenkandidat ist zum Erfolg verdammt. Und zwar kurzfristig. Laschet muss die Union befrieden, kampagnenfähig machen und ein überzeugendes Konzept für den Wahlkampf vorlegen.
Markus Söder im Nacken
Ein dickes Brett für den Aachener. Programmatisch hat die Union einiges aufzuholen. Sie muss dringend erklären, wie sie sich die Gesellschaft der Zukunft vorstellt. Sie muss Wählerinnen und Wählern endlich Gründe liefern, warum diese ihr Kreuz bei der CDU machen sollen – und nicht bei SPD oder Grünen.
Gleichzeitig hat Laschet als Kanzlerkandidat von Tag eins an den im Machtkampf unterlegenen Markus Söder im Nacken, allen frischen Treueschwüren zum Trotz. Der CSU-Chef hat nachdrücklich gezeigt, dass er die Klaviatur der öffentlichkeitswirksamen politischen Auseinandersetzung im Schlaf beherrscht. Dieser „Söderismus“ setzt das Stilmittel Populismus virtuos ein und agiert rücksichtslos, wenn er seine Interessen durchsetzen will. Laschet steht hingegen für das Prinzip Verlässlichkeit, dem aber immer auch etwas Langweiliges und Uninspiriertes anhaftet.
Es braucht eine frische Union
Ob es reicht, sich nicht unterkriegen zu lassen, um den CSU-Chef dauerhaft in die Schranken zu weisen? Söder sieht sich als „Kandidat der Herzen“, dem ein Rückzug in Würde gelungen ist. Er hat den Kampf verloren, aber viele Sympathien in der Union wie in der Bevölkerung gewonnen. Es gibt keinen Grund, warum er seine Ambitionen zurückschrauben sollte.
Laschet wiederum geht aus dem Machtkampf nicht automatisch gestärkt hervor. Im Gegenteil, er wirkt noch angreifbarer. Als „Versöhner“ steht er an der Spitze einer Partei, die sich nach 16 Jahren Angela Merkel neu erfinden muss. Schon die ersten drei Monate als CDU-Vorsitzender verliefen unglücklich, weil er die Zweifel an seiner Person nicht zerstreuen konnte.
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Dabei braucht es eine frische, geschlossene Union, um am 26. September als stärkste Fraktion aus den Parlamentswahlen hervorzugehen. Selten war die Konkurrenz so groß. Zum entscheidenden Machtfaktor können die Grünen werden, die mit Annalena Baerbock eine junge Spitzenkandidatin aufbieten und noch nie so einig und ambitioniert erschienen.
Man darf im Gegensatz dazu bezweifeln, dass die Union nach der aus dem Ruder gelaufenen Kandidatenkür die notwendige Geschlossenheit herstellen kann. Die CSU wird Laschet auf dem Weg ins Kanzleramt nur mit geballter Faust in der Tasche unterstützen. Die Union zieht schwer traumatisiert in den Wahlkampf. Sie kämpft mit Gräben, die sich nicht ohne weiteres zuschütten lassen – für Laschet eine schwere Hypothek.
Die letzte Volkspartei muss hoffen, dass eine positive Entwicklung in der Corona-Pandemie und eine erfolgreiche Impfkampagne die Stimmungslage in Deutschland entspannt. Nur dann werden sich auch Laschets Umfragewerte verbessern und die vielen kritischen Stimmen verstummen. Geht das schief, könnten womöglich die Grünen die nächste Kanzlerin stellen. Die Fehlersuche in der Union werden dann viele mit der These beginnen, dass der falsche Mann zum Kandidaten gekürt wurde.