Bei einer Razzia gegen die „Letzte Generation“ werden Objekte in sieben Bundesländern durchsucht. Doch was muss eigentlich vorliegen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft solch eine Razzia durchführen dürfen? Und ist das bei der Klimaschutzgruppe der Fall? Ein Jurist klärt auf.
Vorwurf der„Kriminellen Vereinigung“Auf welcher Grundlage kam es zur Razzia bei der „Letzten Generation“?
Mit einer groß angelegten Razzia sind Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittwochmorgen gegen die Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ vorgegangen. Rund 170 Beamtinnen und Beamte durchsuchten 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Doch auf welcher Grundlage geschieht das?
Der Tatvorwurf lautet: Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Damit ist die erste Voraussetzung erfüllt, wie Arndt Kempgens, Fachanwalt für Verkehrsrecht, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt: „Der Betroffene muss einer Straftat zumindest verdächtigt werden.“ Das regele die Strafprozessordnung so.
Verhältnismäßigkeit eine Voraussetzung für Razzia
Zudem gebe es die begründete Erwartung, dass bei der Durchsuchung Beweismittel gefunden werden können, die man sonst nicht bekomme. „Und dann muss das Ganze noch verhältnismäßig sein“, so der Experte. „Es muss also in einem angemessenen Verhältnis zur möglichen Straftat und zur Beeinträchtigung des Betroffenen stehen.“ Denn eine Razzia sei „ein erheblicher Eingriff in die Privatsphäre“ und daher nur in Ausnahmen zulässig.
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In diesem Fall seien die Punkte wohl erfüllt, sagt Kempgens. „Die Bildung einer kriminellen Vereinigung ist ein erheblicher Vorwurf“, betont er und befindet: „Leider ist die ‚Letzte Generation‘ eindeutig als kriminelle Vereinigung anzusehen.“ Das begründet er damit, dass die Gruppe strukturell Straftaten begehe – auch wenn das Ziel dahinter ein Lobenswertes sei. Doch das Ankleben etwa vor Autofahrerinnen und Autofahrern werde nach deutschem Strafrecht oft als Nötigung bewertet und sei damit nach dieser Auslegung eine Straftat.
Eine Gegenargumentation, wie sie auch schon vor einigen Gerichten gebracht wurde, sei es, das Ankleben als zulässigen zivilen Ungehorsam und nicht als Nötigung anzusehen. „So wird die ‚Letzte Generation‘ sich in diesem Fall auch verteidigen“, ist der Anwalt sich sicher. Wenn man davon ausgehe, würde auch die Bildung einer kriminellen Vereinigung nicht zutreffen.
So könne eine solche Razzia auch eine rechtspolitische Entscheidung sein, sagt Kempgens. Denn bei der Entscheidung des Ermittlungsrichters oder der Ermittlungsrichterin über die Verhältnismäßigkeit gibt es einen gewissen Ermessensspielraum. „Bei der Verhältnismäßigkeit spielen rechtspolitische Ansichten schon eine Rolle“, sagt der Jurist. „Wenn man von einer kriminellen Vereinigung ausgeht, kommt man nämlich besser an die Hintermänner heran und nicht nur an die, die sich auf die Straße kleben“, erläutert er. „Dann kann man das ganze Organisationsgefüge treffen und nicht nur Einzelne.“ Das sei sicherlich die Motivation dieses Vorgehens.
Vorwurf: Spendengelder für Straftaten eingesetzt
Zentraler Vorwurf im Zusammenhang mit den Durchsuchungen ist laut Polizei und Generalstaatsanwaltschaft, dass die Beschuldigten eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die „Letzte Generation“ organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben sollen. Dieses Geld sei nach bisherigen Erkenntnissen „überwiegend auch für die Begehung weiterer Straftaten“ eingesetzt worden. Woher das Geld stamme, sei Gegenstand der Ermittlungen. Wie viel davon beschlagnahmt wurde, sagte die Polizei zunächst nicht. Ziel der Durchsuchungen sei auch „das Auffinden von Beweismitteln zur Mitgliederstruktur“ gewesen, hieß es.
Ermittelt wird gegen sieben Beschuldigte, die zwischen 22 und 38 Jahre alt sind. Festnahmen gab es bei der Razzia zunächst nicht. Zwei der Verdächtigen stehen den Ermittelnden zufolge im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Ölpipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.
„Letzte Generation“ reagiert empört auf Razzia
Hintergrund der Ermittlungen und Durchsuchungen sind laut Staatsanwaltschaft zahlreiche Strafanzeigen. Die Gruppe macht regelmäßig mit Sitzblockaden und Aktionen in Museen auf die fatalen Folgen der Erderhitzung aufmerksam. Die Mitglieder kleben sich dabei häufig fest – an Straßen oder auch an Kunstwerken. Die Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten selbst reagierten mit scharfer Kritik auf die Razzia. Die Gruppe Ende Gelände kritisierte auf Twitter, Razzien gebe es bei denen, „die vor der Klimakrise warnen, und nicht bei denen, die dafür verantwortlich sind“. Die „Letzte Generation“ selbst fragte auf Twitter, wann Lobbystrukturen durchsucht und „fossile Gelder der Regierung“ beschlagnahmt würden. (RND mit dpa)