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LieferkettenDas neue Gesetz appelliert an die Verbraucher, ihre Macht zu nutzen

Lesezeit 4 Minuten
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Kinderarbeit ist in Kobaltminen der Demokratischen Republik Kongo die Regel, nicht die Ausnahme. Kobalt wird zur Herstellung von Elektroautobatterien verwendet.

Mitten im Lockdown gibt es berechtigte Hoffnung. Zwar nicht auf ein baldiges Ende der Pandemie. Wohl aber darauf, dass der Deutsche Bundestag noch in dieser Legislaturperiode ein „Lieferkettengesetz“ verabschieden wird, das heißt ein Gesetz zur Begründung von Sorgfaltspflichten deutscher Unternehmen im Hinblick auf ihre ausländischen Lieferanten.

Darauf haben sich die Bundesminister für Arbeit und Soziales (Hubertus Heil, SPD), für Wirtschaft und Energie (Peter Altmaier, CDU) sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Gerd Müller, CSU) nach langem Ringen verständigt.

Von einem „historischen Durchbruch“ war die Rede, verbunden mit der erklärten Bereitschaft der Minister, den Worten alsbald Taten folgen zu lassen: Bis Mitte März wollen sie einen Gesetzentwurf ins Kabinett und noch vor der parlamentarischen Sommerpause in den Bundestag einbringen, damit er noch in dieser Legislaturperiode vom Parlament verabschiedet werden kann.

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Nach dem Bekunden der Minister soll das Gesetz dazu beitragen, Kinderarbeit, Hungerlöhne und mangelnden Arbeitsschutz bei ausländischen Zulieferern einzudämmen. Deutsche Unternehmen sollen mit anderen Worten verpflichtet werden, bei ausländischen Lieferanten auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten und soziale Mindeststandards zu verfolgen.

Der Gastautor

Michael Bertrams, geboren 1947, war von 1994 bis 2013 Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen. Als Kolumnist des „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt er in seiner Reihe „Alles, was Recht ist“ regelmäßig über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Wegen der Belastungen der Unternehmen durch die Corona-Pandemie soll das Gesetz mit seinen zusätzlichen Belastungen erst 2023 angewandt werden und zunächst auch nur für große Firmen mit mehr als 3000 Beschäftigten gelten. Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten sollen ab 2024 in die Pflicht genommen werden. Ausgenommen bleiben – so Minister Altmaier – mittelständische Unternehmen.

Gesetz verdient uneingeschränkte Zustimmung

Trotz massiver Kritik von Seiten der Wirtschaft und von Ökonomen verdient das geplante Gesetz uneingeschränkte Zustimmung. Ein Hauptkritikpunkt am Gesetz ist der Vorwurf, es handele es sich um einen nationalen Alleingang, der angesichts des internationalen Wettbewerbs zu einseitigen Belastungen der deutschen Wirtschaft führe.

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Überdies lasse sich über Insellösungen kein Fortschritt erzielen. Dem steht jedoch entgegen, dass sich bereits Anfang Dezember 2020 auf Initiative der deutschen EU-Ratspräsidentschaft alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt haben. Die EU-Kommission soll einen Vorschlag erarbeiten, der den europäischen Rechtsrahmen für unternehmerische Sorgfaltspflichten entlang globaler Lieferketten festlegt.

Zu den Eckpunkten des deutschen Gesetzentwurfs hat es deshalb von Beginn an einen intensiven Austausch mit der Kommission in Brüssel gegeben. Dementsprechend sind auch die Harmonisierung aller nationalen und europäischen Standards und die Begründung von Sorgfaltspflichten für alle europäischen Länder vorgesehen. Das deutsche Gesetz kann dazu, wie Minister Müller zu Recht betont, eine Vorlage sein.

Gesetz pocht nicht auf Einhaltung von Umweltstandards

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, spricht von einem „faulen Kompromiss“. Daran ist richtig, dass der Entwurf die direkten Folgen für die Unternehmen im Vergleich zu ursprünglichen Plänen deutlich begrenzt. Der Entwurf sieht keine privatrechtliche Haftung der Unternehmen vor und begründet unternehmerische Pflichten allein mit Blick auf die Beachtung von Menschenrechten und nicht auch – wie zunächst vorgesehen – bezüglich der Einhaltung von Umweltstandards.

Überdies müssen die Unternehmen konkrete Verantwortung allein für ihre direkten Handelspartner übernehmen. Bei deren Zulieferern müssen sie lediglich aktiv werden, wenn sie von Missständen erfahren.

All dies sind zweifellos problematische Kompromisse. Doch ohne sie wäre die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung lediglich ein frommer Wunsch geblieben und erneut auf die sehr lange Bank geschoben worden. Der Entwurf ist somit ein wichtiger erster Schritt, dem weitere folgen müssen.

Wenn die Kritik von Ökonomen in dem Einwand gipfelt, die Überwachung menschenrechtlicher Standards sei „teuer“ und schaffe „Risiken“ für die Unternehmen, dann überschreitet dieser Einwand meines Erachtens die Grenze des moralisch-ethisch Legitimen. Dass deutsche Unternehmen aus Kostengründen in Entwicklungsländern produzieren lassen, mag vertretbar sein, und es dient grundsätzlich auch den Interessen der dort beteiligten Menschen.

Nicht akzeptabel ist jedoch, menschenrechtliche Standards als vermeidbaren Kostenfaktor zu behandeln oder sie gar zu ignorieren, um deutschen Kunden besonders preiswerte Waren anbieten zu können.

Von daher richtet sich das Lieferkettengesetz nach meinem Verständnis am Ende nicht nur an die Unternehmen. Es beinhaltet zugleich einen unausgesprochenen, aber dennoch unüberhörbaren Appell an die deutschen Verbraucher, sich von „Schnäppchenkäufen“ zu Niedrigpreisen zu verabschieden, die erkennbar auf der Ausbeutung von Menschen beruhen.