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LKA-Chef Wünsch„Besorgniserregende Entwicklung“ beim Rechtsextremismus

Lesezeit 5 Minuten
Ingo Wünsch GRÖNERT

Ingo Wünsch

  1. Ingo Wünsch (54) war zuletzt Leiter der Stabsstelle zur Revision der kriminalpolizeilichen Bearbeitung von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderpornografie im Innenministerium. Zuvor war er Sonderermittler des Ministers im Fall Lügde.
  2. 1986 trat er als Streifenpolizist in Köln in den Polizeidienst. Ingo Wünsch ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne.
  3. Im Interview spricht der neue Chef des Landeskriminalamts auch über die jüngsten Entwicklungen der Polizei.

Herr Wünsch, im Hintergrund hängt das Bild vom Kölner Dom bei Nacht, wollten Sie nicht auch mal Chef der Kriminalpolizei in Köln werden?

Das hätte ich gerne gemacht: Kripo-Chef in Köln ist ein herausragender Job.

Warum?

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Köln ist eine sehr dynamische Millionenstadt. Damit zwangsläufig auch ein großer Magnet für Kriminelle: der Tourismus, die Messe, die Einkaufsmeilen. Deshalb bildet die Metropole auch das größte Straftatenaufkommen im NRW-Städtevergleich ab.

Welche Fähigkeiten muss ein LKA-Chef mitbringen?

Zunächst einmal sollte man polizeilich breit aufgestellt sein. Ich habe vorher in einer Landratsbehörde gearbeitet sowie im Kölner Polizeipräsidium und später im Innenministerium, deshalb sind mir alle Facetten der Polizei geläufig. Diese Kompetenz müssen Sie in diesem Amt mitbringen, um diese Behörde und ihre Aufgabenvielfalt in Gänze zu verstehen.

Früher galt das LKA NRW als verschlafener Riese, welche Herausforderungen muss die Behörde künftig meistern?

Diese Frage ist eine Unverschämtheit, das LKA ist nie ein schlafender Riese gewesen. Das kann man an folgenden Eckdaten deutlich machen: 2007 verfügte das Haus über 1000 Mitarbeiter, heute sind es 700 mehr. 2017 wurde das Cybercrime-Zentrum eingerichtet und immer weiter ausgebaut, danach die Abteilung Terrorismus, die letzten zwei Jahre hat die Behörde den Kampf gegen Kinderpornografie und sexueller Missbrauch sehr stark forciert. Von einem schlafenden Riesen kann da keine Rede sein. Das LKA NRW ist ein großes dynamisches und flexibles Haus.

Innenminister Reul hat neben dem Islamismus die Gefahr von Rechtsaußen als größte aktuelle Bedrohung erklärt, wie wollen Sie dem Phänomen begegnen?

2011 hat das LKA bereits die Abteilung gegen Rechtsextremismus ausgebaut, jetzt gehen noch mal 60 Stellen in den Bereich. Denn wir müssen auf dem Gebiet noch schlagkräftiger werden.

Warum schlagkräftiger?

Weil wir beim Rechtsextremismus eine besorgniserregende Entwicklung erleben – etwa die Terroranschläge in Hanau, Halle oder der Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Die Szene rüstet massiv auf. Die Protagonisten werden deutlich gewaltbereiter, darauf müssen die Sicherheitsbehörden reagieren. Insbesondere müssen wir frühzeitiger jene Leute erkennen, die potenzielle Gefährder oder Terroristen sein könnten. Das bedeutet, dass der Staatsschutz in der digitalen Welt weitaus intensiver agieren muss.

Wie stehen Sie zu den rechtsextremistischen WhatsApp-Zirkeln bei der Polizei in Mülheim und Essen?

Das ist schlicht unerträglich, da kann es keine andere Bewertung geben. Dieser Vorgang ist durch nichts zu entschuldigen. Polizeibeamte mit ihrer besonderen Verantwortung können nicht rechtsextreme oder antisemitische Posts im Netz absetzen. Diese Sprache und eine solche Haltung gehören nicht zur Polizei. Der Vorgang hat mich persönlich betroffen gemacht.

Was steckt dahinter?

Erstmal sei gesagt, dass 99,9 Prozent der Kollegen mit beiden Beinen auf dem Sockel des Grundgesetzes stehen. Diese Beamten führen ihren Job professionell und kompetent aus. Daneben gibt es einen ganz kleinen Anteil, der durch solche Dinge die Reputation und das Vertrauen in die Polizei insgesamt ein Stück weit zerstört, daran werden wir noch länger knabbern müssen. Dieser Vertrauensverlust ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft, denn gerade die Polizei steht für Stabilität in der Gesellschaft. Rechtsstaatlich auf der Basis des Grundgesetzes. Deshalb müssen wir mit allen Mitteln gegen solche Umtriebe vorgehen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer sagt, er könne trotz allem kein strukturelles Problem bei der Polizei erkennen.

Aus meiner Sicht hat Seehofer recht. Die Polizei hat kein strukturelles Problem mit rechtsextremen Tendenzen. Bei diesen Chatgruppen in Essen und Mülheim/Ruhr handelt es sich um einen verschwindend geringen Teil der Polizei in NRW. Auch muss man bei den Teilnehmern dieser WhatsApp-Zirkel danach unterscheiden, wer hat gepostet und wer nur empfangen. Meiner Auffassung nach handelt es sich nicht um eine rechtsextreme Gruppe. Vielmehr geht es eher um eine fehlgeleitete Einstellung zu anderen Menschen, zu bestimmten Problemlagen, die die Polizei täglich bewältigen muss. Die Beamten bewegen sich oft in kritischen Situationen, an bestimmten Orten begegnen sie auch ethnischen Hotspots. Stichwort Clankriminalität. Dazu kommen Viertel, die stark migrationsgeprägt sind. Hier muss sich die Polizei mitunter auch intensiv durchsetzen. Aber das rechtfertigt nicht, dass man fremdenfeindliche Ressentiments aufbaut.

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Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in einer Prognose vor der zunehmenden Radikalisierung der linksextremistischen Szene gewarnt, in der Analyse war sogar die Rede davon, dass man Mordanschläge nicht mehr ausschließt, bildet sich hier eine neue RAF?

Im Hambacher Forst haben Straftäter auf ein fahrendes Fahrzeug des Energiekonzerns RWE einen Molotow-Cocktail geworfen. Das sind für mich keine Klimaaktivisten, ausdrücklich nein. Durch diese Attacke nimmt man den Tod von Menschen in Kauf. Obwohl der Hambacher Forst erhalten bleibt, ereignen sich nach wie vor solche Gewalttaten. Gerade vergangene Woche sind wieder Mitarbeiter von RWE angegriffen worden. Allerdings muss man auch konstatieren, dass die Klimaproteste überwiegend friedlich verlaufen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Szene weiterentwickelt.

Wie hat sich das Kriminalitätsaufkommen durch das Internet verändert?

Die Kriminalitätsbekämpfung erfolgte früher rein analog; das hat sich vollständig verschoben, beinahe umgedreht. Durch das Internet hat die digitale Kriminalitätsbekämpfung enorm zugenommen. Der Bereich Kinderpornografie ist das Paradebeispiel dafür. Das Netz dient als Katalysator für diese Straftaten.

Und die Täter sind nur schwer aufzuspüren.

Das ist richtig. Im Bereich Kinderpornografie versuchen wir nun mit einer künstlich figurierten Keuschheitsprobe in die abgeschotteten Foren der Pädokriminellen hinein zu kommen. Das war uns bis März diesen Jahres gesetzlich nicht möglich. Die Kölner Polizei war mit diesem Instrument bereits erfolgreich.

Täuscht der Eindruck, dass der Kindesmissbrauch im Netz sich zunehmend verbreitet?

Die Zahlen explodieren. Das Phänomen zieht sich durch alle sozialen Schichten, durch alle intellektuellen Ebenen, der Status spielt gar keine Rolle. Es gibt verdammt viele pädokriminelle Gruppen. Die Sucht nach Missbrauch-Dateien verbreitet sich wie eine Seuche.