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Sicherheitslücke MelderegisterNach Morddrohungen will eine Frau das Gesetz ändern

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Katharina Scherer, die eigentlich anders heißt, versuchte wochenlang eine Auskunftssperre zu bekommen.

Köln/Düsseldorf – Wer wissen will, wo der Ex-Partner heute wohnt, muss nur die Stadt fragen. „Sie brauchen Meldedaten zu einer bestimmten Person, weil Sie ein Klassentreffen organisieren wollen?“, schreibt die Stadt Köln auf ihrer Webseite. „Dann können Sie beantragen, die letzte in Köln gespeicherte Adresse zu erfahren.“

Es ist erst dreieinhalb Jahre her, da geisterten die absurdesten Geschichten über die neue Datenschutzgrundverordnung durch die Sozialen Medien: Es gab Feste, bei denen sich alle Besucher einen roten Punkt auf die Stirn kleben sollten, die nicht fotografiert werden möchten. Auch die Stadt Köln belehrt Bürger fettgedruckt über den Datenschutz, wenn man ein Online-Formular für eine einfache Melderegisterauskunft ausfüllt: Die Zahlungsdaten werden nicht gespeichert. Haken setzen, Datenschutzhinweise gelesen. Nun kann man die Adresse von fast jedem anderen Bürger in Köln abfragen. Kosten: Sechs Euro pro Auskunft.

Bundesmeldegesetz (BMG) § 44: Einfache Melderegisterauskunft. Wenn eine Person zu einer anderen Person (…) Auskunft verlangt, darf die Meldebehörde nur Auskunft über folgende Daten einzelner Personen erteilen: 1. Familienname, 2. Vornamen, 3. Doktorgrad, 4. derzeitige Anschriften, 5. sofern die Person verstorben ist, diese Tatsache.

Ähnlich einfach geht es über das KfZ-Kennzeichen: Möchte man wissen, wem das Auto gehört, das da neuerdings im Veedel parkt, fragt man die Stadt. Neben dem Namen liefert sie sogar die Adresse dazu. Wer einen Wohnort lieber persönlich abfragen möchte, kann einfach beim Einwohnermeldeamt vorbeigehen.

Bundesmeldegesetz (BMG) § 51: Auskunftssperren. Liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der betroffenen oder einer anderen Personen durch eine Melderegisterauskunft eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Interessen erwachsen kann, hat die Meldebehörde auf Antrag unentgeltlich eine Auskunftssperre im Melderegister einzutragen.

Einfach widersprechen geht also nicht. Man kann nicht zum Meldeamt gehen und sagen: Ich möchte nicht, dass jeder andere Mensch meine Adresse erfahren kann. Einen solchen Wunsch muss man triftig begründen.

Katharina Scherer hat Angst, gefunden zu werden

Am Rande einer Großstadt, irgendwo in Deutschland, tritt Katharina Scherer durch die Glastür und stellt zwei dampfende Tassen auf den Terrassentisch. Neben dem Tee reckt sich eine Kamille im Blumentopf hoch, um ein paar letzte Strahlen der Herbstsonne zu erhaschen. „Wenn meine Kinder doch früher zurückkommen, dann sage ich, Sie sind von der Firma, die die Überwachungskameras anbringt“, sagt Scherer und setzt sich auf einen Gartenstuhl. „Die wissen nichts von der Morddrohung.“

Eigentlich heißt Katharina Scherer anders. Doch sie wird gleich über eine Bedrohung durch ein Familienmitglied sprechen und möchte nicht, dass dieser Mann – nennen wir ihn Thomas – diesen Text liest und sie erkennt. Allein schon, damit er nie erfährt, wie viel Angst er ihr gemacht hat.

Scherer greift sich eine der Tassen und erzählt. Davon, wie sie bereits vor über zehn Jahren mit Thomas furchtbar stritt. Wie aufbrausend er ist und schon immer war. Wie sie den Kontakt abbrechen wollte, wie er vor zehn Jahren nachts um zwei Uhr vor ihrer alten Wohnung auftauchte. Im Frühjahr gingen die Beleidigungen wieder los.

Einwohnermeldeamt verweigert ihr eine Auskunftssperre

Anfang Juni kontaktiert Scherer das Einwohnermeldeamt: Sie wolle verhindern, dass Thomas erfährt, wo sie heute wohnt. Wenn er ihre Adresse anfragt, würde die Stadt sie herausgeben? Die Anschrift bekommt er, antwortet die Behörde vier Tage später. Über eine einfache Melderegisterauskunft.

Fünf Wochen währt der Mail-Verkehr zwischen Scherer und der Meldebehörde. Sie beantragt eine Auskunftssperre, doch die wird abgelehnt. Wenn sie bedroht wird, sei das Sache der Polizei. Ohne einen konkreten Nachweis auf Gefahr für Leib und Leben könne die Behörde ihr keine Sperre geben. „Dann schreiben sie mir: Ich solle darauf achten, dass meine Adresse nirgendwo im Internet steht.“ Gleichzeitig würden sie ihre Adresse aber jederzeit rausgeben. Das klingt für Scherer wie Hohn. “Sie könnten nicht nachvollziehen, wovor ich Angst habe“, sagt Scherer. „Da bin ich sauer geworden. Ich will nicht, dass sie ihm meine Adresse geben! Punkt!“

Das Problem ist: Wenn sie Anzeige wegen Bedrohung erstattet, könnte Thomas – mit etwas Pech – auch über eine Akteneinsicht ihre Adresse einsehen. Und was, wenn sich Thomas durch die Anzeige weiter provoziert fühlt? Noch rasender wird? „Da beißt sich die Katze in den Schwanz“, sagt Scherer. „Wenn ich ihn anzeige, dann brauche ich die Auskunftssperre auch nicht mehr.“

Thomas schickt ihr eine Morddrohung

Scherer sucht Rat, kontaktiert einen Polizisten in der Nachbarschaft. Kurz bevor er zur Tür hineinkommt, bemerkt sie die nächste Sprachnachricht von Thomas: Diesmal droht er ihr mit dem Tod. Er wolle sie erschießen, bei ihr zuhause vorbeikommen. Als ihr Nachbar ins Wohnzimmer tritt, kann Scherer nicht aufhören zu zittern. Sie ruft bei der Staatsanwaltschaft an, beim „Weißen Ring“, wieder bei der Polizei, immer mit dem Ziel, endlich eine Auskunftssperre zu bekommen. Schließlich sagt ihr ein Polizist: Ohne Anzeige könne er ihr keine Bescheinigung für die Meldebehörden ausstellen. Ob sie es einfach nochmal beim Einwohnermeldeamt versucht? Ohne Bescheinigung.

Diesmal klappt es. Sie wandelt die Morddrohung in eine MP3-Datei um und schickt sie nach Absprache dem Einwohnermeldeamt. Wenig später kommt der Brief: Die Stadt hat ihre Adresse und die ihrer Kinder mit einer Auskunftssperre versehen.

Fünf Wochen hatte sich Scherer den Kopf darüber zerbrochen, was passiert, wenn Thomas ihre Adresse im Melderegister abfragt. „Es war zum Verzweifeln“, sagt sie. „Wie sollte ich den Kindern erklären, weshalb ich plötzlich jede Nacht die Rollos herunterlasse? Ich habe ihnen erzählt, der Regen solle sie sauber waschen – so ein Blödsinn. Dann habe ich mit ihnen die Fluchtwege besprochen und Brandschutz vorgeschoben.“ Einmal steht sie auf der Terrasse, guckt auf die Regentonne und ihr schießt Thomas durch den Kopf, wie er nachts auf die Tonne klettert um in das Schlafzimmer einzubrechen. Sie schiebt den Deckel zur Seite, nur ganz leicht. Damit er hineinfallen würde, sagt Katharina Scherer und lacht ein bisschen.

„Thomas ist ein Großmaul“, sagt Scherer. „Vielleicht habe ich mich auch ins Bockshorn jagen lassen. Aber ich habe mich so ausgeliefert gefühlt“, sagt Scherer. „Was für einen Grund gibt es, meine Adresse herauszugeben? An andere Behörden und Gläubiger ja, da kann ich das verstehen. Aber an Privatpersonen?“

Identität wird bei Online-Abfrage nicht überprüft

Wie leicht ist es tatsächlich, an die Adresse eines anderen Menschen zu kommen? Wir probieren es in der Redaktion aus: Über das Online-Formular der Stadt Köln fragen wir die Adresse einer Kollegin ab. Wir müssen dafür einen vollen Namen und eine Adresse angeben. Diese Identität wird nicht überprüft – es hätte jedermanns Name und Adresse sein können. Im nächsten Schritt brauchen wir entweder das Geburtsdatum oder eine ehemalige Adresse der Kollegin. Dies ist nicht in allen Kommunen nötig, meist nur in Großstädten. Doch auch diese Hürde lässt sich leicht umgehen: Viele Menschen zeigen ihr Geburtsdatum offen bei Facebook.

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Eine Melderegisterauskunft der Stadt Köln

Als Grund für die Abfrage tippen wir Klassentreffen ein, ganz klassisch. Bezahlen kann man mit Paypal. Zwei, drei Sekunden warten. Dann öffnete sich am Computer ein weiteres Fenster mit einem Dokument: Es zeigte die Adresse der Kollegin in Köln sowie die ihres Zweitwohnsitzes in Hessen. Über die Datenabfrage wurde sie nie informiert.

Melderegisterauskünfte seien an klare und enge Bundesvorgaben gekoppelt, schreibt die Stadt Köln auf Nachfrage. Einen Interpretations- oder Handlungsspielraum habe die Stadtverwaltung nicht: So sei ein Identitätsnachweis im Onlineverfahren zum Beispiel vom Gesetzgeber nicht gefordert. Anders sehe es bei Melderegisterauskünften am Kölner Kundenzentrum aus, also bei persönlichen abfragen: Hier muss sich der Antragsteller ausweisen. Nach dem Meldegesetz, so die Stadt, werden abgefragte Personen nicht über die Auskunft informiert. Sie können jedoch bei der Stadt anfragen, wer in den letzten 12 Monaten eine Melderegisterauskunft über sie eingeholt haben. Zum Bundesgesetz will die Stadt Köln sich nicht äußern.

Landesregierung verlangt Reformation des Meldegesetzes

Viel Spielraum hat die Stadt Köln nicht: Die Kommunen führen die Gesetze schließlich nur aus, sie machen sie nicht. Bundesweit ist diese Sicherheitslücke eigentlich längst bekannt. Der Mann, der mutmaßlich die NSU 2.0 Drohschreiben verschickt hatte, soll laut der Süddeutschen Zeitung bereits vor Jahren den Berliner Behörden geschrieben haben, wie einfach es sei, über ihr Melderegister an private Adressen zu gelangen.

Erst im Frühjahr reformierte der Bundestag das Meldegesetz: Personen, die aufgrund ihrer beruflichen oder ehrenamtlichen Tätigkeit einer konkreten Gefährdung ausgesetzt sind, sollen leichter eine Auskunftssperre beantragen können. Dazu zählen unter anderem Richter, Journalisten, NGO-Vertreter und Staatsanwälte. Die Reform war Teil eines Gesetzespakets gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität.

Der Landesregierung Nordrhein-Westfalen geht die Reform des Bundes nicht weit genug. Auf Initiative der FDP verabschiedeten CDU und FDP im März einen Antrag: Polizeibeamte, Ordnungsbeamte, Gerichtsvollzieher und Kommunalpolitiker sollen leichter an eine Auskunftssperre kommen. Außerdem verlangen beide Parteien höhere Hürden für eine Melderegisterauskunft durch Privatpersonen. Gestern beriet der Bundesrat darüber, diesen Antrag im Bundestag zu debattieren.

Witzel wünscht sich großzügigeren Umgang mit Auskunftssperren

Vor einigen Monaten seien Beschäftigte und Vertreter der Sicherheitsbehörden auf Abgeordnete zugegangen, sagt Ralf Witzel. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP sitzt in einem Besprechungsraum des Landtags. Draußen glitzert der Rhein in der Sonne. Beamte hätten von Drohungen erzählt, von typischen Sprüchen wie: „Ich weiß, wo du wohnst.“ Blicken diese Leute auf das Namensschild an der Uniform, können sie dies tatsächlich herausfinden. „Ich persönlich würde mir wünschen, dass man großzügiger mit den Auskunftssperren umgeht“, sagt Witzel. „Nicht nur bei bestimmten Berufsgruppen.“

Ralf Witzel

Ralf Witzel und weitere FDP-Abgeordnete initiierten den Antrag der Landesregierung. 

Ganz verzichten möchte Witzel auf die Melderegisterauskunft nicht. Es gäbe auch legitime Anfragen, betont er. Wenn zum Beispiel die Rechnung eines Vereins an ein Mitglied zurückkommt mit dem Hinweis „unbekannt verzogen“, kann der Verein die aktuelle Adresse beim Einwohnermeldeamt anfragen. „Für diese Fälle brauchen wir praktikable Lösungen. Wer Schulden hat, darf nicht abtauchen können.“

Doch wenn man sicherstellen könne, bei rechtlichen Ansprüchen eine Auskunft zu bekommen, „dann könnte ich persönlich mir eine Möglichkeit für Bürger vorstellen, der Melderegisterauskunft zu widersprechen – ähnlich wie beim Telefonbuch“, sagt Witzel und geht damit deutlich weiter als der Antrag. Er plädiert dafür, Bürger mehr für den Umgang mit ihren Daten zu sensibilisieren. „Wieso wird nicht jeder Mensch bei der KfZ-Zulassung darüber informiert, dass er über sein Kennzeichen melderechtlich auffindbar ist?“, fragt Witzel.

Katzidis: „Müssen eine Gesetzesänderung vornehmen“

Im Fall von Katharina Scherer spricht der Landtagsabgeordnete von einer Sicherheitslücke. „Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass jemand hier als Bittsteller um den eigenen Schutz betteln muss“, sagt er. „Wenn jemand eidesstattlich versichert, dass er einer Bedrohungssituation ausgesetzt ist, sollte diese Person meiner Meinung nach eine Auskunftssperre bekommen.“

christos katzidis

Christos Katzidis, innenpolitischer Sprecher der CDU,  spricht sich für eine Verschärfung des Bundesmeldegesetzes aus. 

Ähnlich äußerte sich Christos Katzidis, innenpolitischer Sprecher der CDU „Wenn es um die körperliche Unversehrtheit geht, dann kann es nicht sein, dass Behörden sich dermaßen querstellen“, sagt er. „Wenn die Gesetzeslage so ausgelegt wird, dann müssen wir eine Gesetzesänderung vornehmen.“ Dass man auch online, ohne Überprüfung der Identität, Adressen von anderen Personen abfragen kann, kritisiert Katzidis. „Die Daten müssen geprüft werden“, sagt er. „Das muss zwingende Voraussetzung sein. Wenn dies nicht gemacht wird, müssen wir auch über die aktuelle Praxis reden.“ Die genaue Ausgestaltung einer Reform müsse jedoch auf Bundesebene diskutiert werden.

Scherer erwägt einen Normenkontrollantrag

Katharina Scherer greift eine Gartenschere und schneidet ein paar Weintrauben ab, die sich an der Terrasse entlangranken. Von dem Antrag der NRW-Landesregierung ist sie enttäuscht. Die Hürden für Melderegisterauskünfte, die CDU und FDP vorschlagen, umfassen unter anderem die Kölner Regelungen: Dass der Antragsteller in allen Meldeämtern das Geburtsdatum und die ehemalige Adresse vorlegen muss. Das geht Scherer nicht weit genug. Gerade bei privaten Bedrohungslagen seien solche Informationen ja meist bekannt. Auch der Mann, der sie bedroht, kennt diese Daten natürlich.

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Sie habe eine Petition gestartet, um das Bundesmeldegesetz zu ändern, erzählt sie und legt die Weintrauben in eine Schale. „Meine Adresse gehört mir!“, schrieb sie in den Titel. Sollte dies nicht funktionieren, erwägt sie einen Normenkontrollantrag, mit dem ein aktuelles Gesetz rechtlich geprüft werden kann. Denn wie alle Auskunftssperren ist auch ihre Sperre auf zwei Jahre beschränkt. „Soll ich ihn etwa bitten, mir in zwei Jahren eine neue Morddrohung zu schicken?“, fragt sie kopfschüttelnd. „Nach zwei Jahren sind wir wieder Freiwild.“