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Milliarden fehlen plötzlichWas das Haushalts-Urteil für Folgen haben wird

Lesezeit 6 Minuten
16.11.2023, Berlin: Blick in den Sitzungssaal mit dem Haushaltsausschuss des Bundestags mit der finalen Beratung des Etats für 2024. (zu dpa: "Wie weiter mit den Finanzen? - Ampel sucht Lösung für Haushaltskrise") Foto: Kay Nietfeld/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die abschließende Beratung des Haushaltsausschusses wurde vertragt.

Der Bundestag wird den Haushalt nicht wie geplant am 1. Dezember beschließen. Bürgergeld, Kindergeld, Rente sind sicher, aber manche Förderung dürfte künftig wegfallen.

Die Halbwertzeit der Feststellung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dauerte genau eine Woche: „Der Haushalt wird planungsgemäß zur Abstimmung gestellt werden.“ Am Mittwoch wurde das mit dieser Nachricht der Ampel-Fraktionen zur Makulatur: Verschiebung der Bereinigungssitzung – der Haushaltsausschuss im Bundestag wird über den Etat für 2024 nicht wie geplant an diesem Donnerstag abschließend beraten. Und in der Folge kommt es auch nicht zu dem für den 1. Dezember geplanten Beschluss des Bundeshaushalts.

Das sind die Nachbeben des Haushalts-Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November. Danach fehlen der Ampel-Koalition wohl nicht nur 60 Milliarden Euro aus dem schuldenfinanzierten Klima- und Transformationsfonds (KTF), sondern es steht auch noch der ebenfalls schuldenfinanzierte 200-Milliarden-Euro schwere Wirtschaftsstabilisierungsfonds infrage. Kann das die Ampel sprengen? „Nein“, sagt Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner. Sie müsse nur eine weitere große Herausforderung bewältigen – und werde sie bestehen.

CDU schließt Reform der Schuldenbremse aus

Am Mittag verkündeten die Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und FDP gemeinsam, die Haushaltsberatung werde verschoben. Ein Beschluss vor Weihnachten ist nicht ausgeschlossen. In der zweiten Dezemberwoche ist die letzte Bundestags- und Bundesratssitzung in diesem Jahr. Andernfalls sind ab Januar 2024 nur Ausgaben möglich, die die Verwaltung aufrechterhalten und rechtliche Verpflichtungen erfüllen.

Die Union – und erfolgreiche Klägerin in Karlsruhe – hat schon einmal einen Ausweg verstellt: Sie schließt ein schuldenfinanziertes Klima-Sondervermögen (analog zu dem 100-Milliarden-Topf für die Bundeswehr) sowie eine Reform der Schuldenbremse aus. Das sagte der erste parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Für beide Maßnahmen ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig, die die Ampel ohne die Union nicht erreicht.

Kommt der Ausbau von Infrastruktur ins Stocken?

Zahlreiche Fragen, was die vom Finanzministerium verfügten Haushaltssperren für die Länder und Menschen bedeuten, blieben offen. Entsprechend fielen auch die Reaktionen in Nordrhein-Westfalen geprägt von Unsicherheit aus. NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) zeigte sich mit der neuen Zeitschiene unzufrieden und mahnte Tempo an: „Wir brauchen schnell Klarheit aus Berlin, in wieweit sich die Haushaltssperre auch auf den geplanten Ausbau und die Modernisierung des ÖPNV in NRW und der gesamten Schieneninfrastruktur auswirkt“, sagte Krischer auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Herbe Rückschläge bei der Verkehrswende fürchten auch Umweltschützer. „Für den Ausbau der Bahn-Infrastruktur waren Investitionen in Höhe von mehr als 12 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds geplant. Wenn der Bund ausfällt, würden viele Ausbaupläne massakriert“, sagte Dirk Jansen, Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen Landesverbandes Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Durch die Haushaltssperre könnten auch in NRW wichtige Projekte der Energiewende in Frage gestellt werden. Es wäre fatal, wenn zum Beispiel die Wärmewende ausgebremst würde“, so Jansen. Alternative Geldquellen sieht der BUND bei Abbau von Subventionen: „Der Bund muss endlich die umweltschädlichen Subventionen von Diesel und Kerosin stoppen. Das allein spart 16 Milliarden Euro pro Jahr ein“, so Jansen.

Industrie fordert Einhaltung von Investitionszusagen

Auch die Industrie in Nordrhein-Westfalen sorgt sich, dass wichtige Infrastrukturprojekte ins Stocken geraten könnten. „Für die Baubranche ist Planungssicherheit essenziell, Investitions- und Förderzusagen müssen eingehalten werden“, sagte Beate Wiemann, Hauptgeschäftsführerin des Bauindustrieverbands NRW, dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Fatal wäre es, wenn wir in einen neuen Investitionsstau in unsere Infrastruktur steuern würden: marode Brücken, kaputte Straßen und unzureichende Schienen- und Wasserwege würden den Standort NRW weiter zurückwerfen.“

Dirk Wasmuth, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands „Arbeitgeber Köln“, nannte die angekündigte Haushaltssperre „besorgniserregend“. „Um der allgemeinen Verunsicherung in unseren Unternehmen in Köln und Umgebung etwas entgegenzusetzen, erwarten wir von der Bundesregierung klare Ansagen zum künftigen finanz- und wirtschaftspolitischen Kurs“, sagte er. „Längst überfällige Investitionen in die Digitalisierung und den daraus folgenden Bürokratieabbau, in Bildung, Forschung und Entwicklung müssen den Kern der Haushaltspolitik bilden.“ In vielen anderen Bereichen müssten Ausgaben dagegen „auf den Prüfstand“ gestellt werden.

Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Nordrhein-Westfalen, betonte, dass für die Wirtschaft vor allem die Strom- und Gaspreisbremsen und das Strompreispaket von zentraler Bedeutung seien. Wenn Unternehmen an ihren heimischen Orten erhebliche Investitionen in die klimaneutrale Transformation umsetzen sollten, müssten sie auf verlässliche wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen bauen können. „Sollten sie nun den Eindruck gewinnen, die Politik sei nicht handlungsfähig, läuft unser Land Gefahr, dass Unternehmen wichtige Entscheidungen für Zukunftsinvestitionen verschieben, grundsätzlich auf den Prüfstand stellen oder an Standorten jenseits der deutschen Grenzen umsetzen.“

Welche Bereiche von der Haushaltssperre betroffen sind – und welche nicht

Die Unsicherheit bleibt auch für die Bürgerinnen und Bürger. Welche Veränderungen auf sie zukommen, blieb am Mittwoch von den zuständigen Ministerien weitgehend unbeantwortet. Man wolle den Prüfungen nicht vorgreifen, hieß es. Hier ein Überblick, welche Bereiche von den verschiedenen Haushaltssperren betroffen sind und welche nicht:

Was ist mit der Förderung für Heizungstausch und E-Autos?

Die größten Auswirkungen gibt es zwar im Bereich des Klimaschutzes. Hier ist aber die energetische Gebäudesanierung inklusive der mit dem „Heizungsgesetz“ verbundenen Förderung von den Sparmaßnahmen ausgenommen. Alle entsprechenden Förderprogramme laufen ohne Abstriche weiter. Andere Programme zum Beispiel zum Ausbau der E-Mobilität, der Wasserstofftechnologie, der Bahn oder der kommunalen Wärmeversorgung sind zunächst auf Eis gelegt. Es gibt also bis auf Weiteres keine neuen Förderzusagen. Darunter fällt nach gegenwärtigem Stand auch die Kaufprämie für E-Autos oder Zuschüsse für Ladesäulen. Grundsätzlich gilt aber: Wer einen gültigen Förderbescheid in den Händen hält, muss sich keine Sorgen machen. Die dort genannten Beträge sind garantiert.

Wie steht es um die Energiepreisbremsen, werden Strom und Gas jetzt für die Bevölkerung teurer?

Bundesfinanzminister Lindner hat den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Energiepreisebremsen bezahlt werden, zwar mit einer Haushaltssperre belegt. Das Finanzministerium versichert aber, dass die Auszahlung der Preisbremsen für Strom und Gas in diesem Jahr nicht davon betroffen sind. Niemand muss also Sorge haben, die Zahlungen würden gestoppt oder müssten zurückerstattet werden. Aber Achtung: Die Energiepreisbremsen sind befristet bis 31. Dezember 2023. Dann werden sie vermutlich auslaufen und der WSF abgewickelt. Wer laut Vertrag für seinen Strom mehr als 40 Cent je Kilowattstunde und für Gas mehr als 12 Cent je Kilowattstunde zahlt, sollte sich schnell darum kümmern, preiswertere Anbieter zu finden. Das ist kein Problem, da die aktuellen Marktpreise derzeit darunter liegen.

Sind die Subventionen der Netzentgelte betroffen?

Eine Abwicklung des WSF könnte weitere Folgen haben, weil aus ihm auch die sogenannten Netzentgelte staatlich subventioniert werden. Sie machen rund ein Viertel des Strompreises aus. Offen ist allerdings derzeit, ob die Zuschüsse tatsächlich wegfallen und wenn ja, wie stark der Strompreis dann steigt.

Werden Bürgergeld, Kindergeld, Rente gekürzt?

Nein. Staatliche Leistungen wie Bürger- oder Kindergeld oder Rentenzahlungen werden ohne Abstriche weitergezahlt. Auch die Sozialversicherungen sind nicht betroffen.

Muss ich meine Inflationsprämie zurückzahlen?

Nein. Diese Prämien werden von den Unternehmen ausgezahlt.