Ob das erste öffentlich geförderte Mehrfamilienhaus die Wohnungsnot in NRW löst, ist fraglich. Für die Mieter erfüllt sich mit der Schlüsselübergabe in Lünen jedoch ein Traum.
Bezahlbar und innovativErste Sozialwohnungen aus dem 3D-Drucker in NRW sind bezugsfertig
Eigentlich ist es ein ganz normaler Morgen für die meisten Anwohnerinnen und Anwohner der Lippestraße in Lünen. Alles wirkt noch etwas verschlafen, aus den Schornsteinen roter Klinkerbauten steigt Dampf in die kalte Dezemberluft. In der ersten Etage eines Mehrfamilienhauses schiebt jemand neugierig die Gardine zur Seite.
Aufsehen erregt an diesem Mittwoch der Neubau mit der Nummer 90b: Das Haus hebt sich deutlich vom Stil der Wohngegend ab. Statt Backstein oder heller Putzfassade türmen sich die ersten zwei Stockwerke in dünnen, wulstigen Schichten hoch. Das ist nicht nur in der Lippestraße eine Seltenheit. Deutschlandweit ist es das erste öffentlich geförderte Mehrfamilienhaus, das aus dem 3D-Drucker stammt.
118 Stunden reine Druckzeit
Innerhalb von eineinhalb Jahren entstand auf dem 651 Quadratmeter großen Grundstück ein neues Zuhause für sechs Mietparteien, unterteilt in drei Zwei-Zimmer- und drei Drei-Zimmer-Wohnungen mit 60 bis 80 Quadratmetern. 118 Stunden dauerte die reine Druckzeit der Wände mit „i-Tech-Beton“, einem speziellen Mörtel. Die Stockwerke brauchten etwa 28 Tage zum Trocknen. Teile wie Fundament, Keller und Zwischendecken wurden in massiver Bauweise errichtet.
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Die lange Bauzeit – in eineinhalb Jahren entstehen auch konventionelle Mehrfamilienhäuser – spiegele nicht die Geschwindigkeit wider, die das 3D-Bauverfahren eigentlich mit sich bringe, sagt Jan Hische. Er ist Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft (WBG) Lünen, die das Haus gebaut hat. „Wir haben sehr viele Dinge ausprobiert, das braucht Zeit. Aber genau darum ging es.“ Perspektivisch, sagen Experten, könnten die Abläufe in wenigen Jahren so standardisiert sein, dass ein Mehrfamilienhaus wie in Lünen in sechs bis sieben Monaten bezugsfertig sein könnte.
3D-Gebäudedruck kombiniert innovatives Bauen und bezahlbares Wohnen
Beim Pilotprojekt dauerte es 17 Monate, bis Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) nun die Schlüssel überreichte.
Für Hanna Ickeroolt geht damit ein Traum in Erfüllung. In der einen Hand hält sie fest den Schlüssel zu ihrer neuen Wohnung, in der anderen ein Päckchen mit Salz und Brot. Trotz innovativer Bauweise gehört das traditionelle Einzugsgeschenk für Scharrenbach dazu. Durch das Fenster der neuen, noch kahlen Wohnküche wandert Ickeroolts Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dort wohnt die 63-jährige Ukrainerin derzeit noch mit ihrem Mann. Für ihn zog die ehemalige Dozentin vor fünf Jahren nach Deutschland. Heute arbeitet sie als Betreuungskraft in einem Seniorenzentrum.
Die bisherige Dachgeschosswohnung mache ihnen Probleme, sagt sie. Ihr Partner sei schon älter. „Das Treppensteigen klappt nicht mehr so gut.“ Lange suchten die beiden nach einer barrierefreien Alternative. Mit dem Pilotprojekt haben sie diese nun gefunden.
Für die neuen Bewohnerinnen und Bewohner der Lippestraße 90b hat das 3D-Projekt einen weiteren Vorteil: die Miete. „580 Euro warm“, sagt Constanze Lippmann, während sie ihr künftiges Zuhause im Erdgeschoss samt Vorgarten bestaunt. „In der heutigen Zeit ist das ein Witz – aber ein ganz schön guter“, so die 61-Jährige.
Die Kaltmiete für das gedruckte Haus liegt bei maximal sechs Euro pro Quadratmeter. „Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen bringen wir damit unter ein Dach“, erklärt Scharrenbach. Das Bauvorhaben wurde durch das NRW-Bauministerium im Rahmen der landeseigenen Förderung „Innovation in der Bauwirtschaft“ (400.000 Euro) und aus der öffentlichen Wohnraumförderung mit rund 1,3 Millionen Euro unterstützt.
Das Gesamtbudget beträgt etwa 2 Millionen Euro. Der Wirtschaftlichkeit, beispielsweise durch geringere Personalkosten und ressourcenschonenden Einsatz von Materialien, stünden derzeit noch hohe Investitionskosten im Weg – etwa für den Drucker und das Material.
3D-Neubau: Neues Zuhause „für normale Mieter“
Die Sozialwohnungen sind für Menschen mit geringem Einkommen reserviert. Sipan Issa und seiner kleinen Familie ermöglicht das Projekt, ihren Wohnraum zu verdoppeln – von rund 40 auf etwa 80 Quadratmeter, erzählt der 39-jährige Familienvater. Als er vom Hightech-Bau in der Lippestraße erfuhr, hätte er nicht gedacht, dass da „ein Zuhause für normale Mieter“ entstehe. Als er den Bescheid der WBG erhielt, sei die Freude groß gewesen. „Das ist ganz besonders für uns“, sagt er: Ein Neubau, sauber, mit Aussicht in die Natur und Platz für den neun Monate alten Saman. „Dann kann er krabbeln und sich körperlich besser entwickeln.“
Über das Ende der Wartezeit freut sich Rentner Peter Woryna besonders. „Es ist ein richtiges Glücksgefühl, die Wohnung jetzt zu beziehen“, sagt er. Auch die Optik gefalle ihm. „Man soll ruhig sehen, dass das Haus gedruckt und nicht gemauert wurde.“ In den Innenräumen hingegen wirkt alles wie immer. „Wir wollen den Mietern ein normales Gefühl geben“, sagt WBG-Vorstand Hische.
Ob noch weitere Häuser in Lünen gedruckt werden? Hische reagiert zurückhaltend: „Ich will nichts ausschließen. Aber das Verfahren steckt noch in einem frühen Stadium, da braucht es weitere Partner.“ Es scheint, als ob der 3D-Druck in der Lippestraße vorerst eine Seltenheit bleibt.
Für die vielen Wohnungssuchenden in NRW ändert das Mietshaus aus dem 3D-Drucker vorerst nichts. Doch zumindest weckt es die Hoffnung, dass sich der angespannte Wohnungsmarkt zumindest in der Zukunft entspannen könnte.