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Interview

Interview mit Friedensforscher
„Das Zugestehen ukrainischer Gebiete – als Appetithappen – sollte man verhindern“

Lesezeit 7 Minuten
Ukrainische Soldaten bereiten sich auf den Abschuss einer 152-mm-Panzerhaubitze 2S3 auf russische Stellungen an der Frontlinie vor.

Gut zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs schwindet die Hoffnung auf einen militärischen Sieg der Ukraine.

Wie geht Frieden, Herr Professor Debiel? Ein Versuch, eine Antwort auf die wohl schwierigste Frage unserer Zeit zu finden.

Herr Professor Debiel, nur noch wenige Menschen glauben an einen Sieg der Ukraine. Können Sie uns ein bisschen Hoffnung geben? Wie realistisch ist Frieden für Sie als Friedensforscher derzeit?

Einen Siegfrieden der Ukraine, also eine militärische Zurückdrängung der russischen Angreifer, sehe ich derzeit leider auch nicht. Die Frühjahrsoffensive der Ukraine kann man als gescheitert bezeichnen. Bleibt die Möglichkeit von Friedensverhandlungen. Empirischen Daten zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit, dass derlei Verhandlungen zu Frieden führen, bei etwa 25 Prozent, man sollte also bei aller Hoffnung nüchtern bleiben. Zudem haben Friedensverhandlungen die größten Erfolgsaussichten, wenn sich beide Kriegsparteien in einem schmerzhaften Patt befinden, also die Verluste hoch und die Erfolgsaussichten niedrig sind. Außerdem braucht es externe Partner, die den Weg für Frieden skizzieren. All das ist derzeit nicht so richtig gegeben. Was nicht bedeutet, dass man Friedensmöglichkeiten nicht dennoch heute schon vorbereiten muss. Das Schlimmste wäre schließlich, wenn der Krieg weitere fünf Jahre dauert, weitere Hunderttausende Opfer fordert, und man würde im Hintergrund keinen Schritt weiterkommen.


Tobias Debiel ist Direktor des Instituts Entwicklung und Frieden und Lehrstuhlinhaber für Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik an der Uni Duisburg-Essen.

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Ex-NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat dem Bundeskanzler zuletzt vorgeworfen, er habe versäumt, mit Macron zusammen in einen Flieger zu steigen und Putin zum Gespräch zu besuchen. Könnte ein derartiges Unterfangen tatsächlich erfolgreich sein?

Im Vorfeld des Krieges haben sich beide Staatschefs sehr bemüht, mit Putin im Gespräch zu bleiben. Derzeit wäre aus meiner Sicht nicht der richtige Zeitpunkt für einen solchen Besuch. Scholz und Macron würden Gefahr laufen, von Putin vorgeführt zu werden. Laschet hat aber Recht, wenn er das grundsätzlich einfordert, denn irgendwann wird es, so hoffe ich, diesen Zeitpunkt für eine symbolische Geste wie einen Besuch geben. Natürlich müsste das in Abstimmung mit den USA passieren.

Ist eine Verhandlung mit Putin überhaupt irgendwann denkbar? Wie soll man je vertrauen?

Die Frage ist, was wir erwarten. Wir Wissenschaftler unterscheiden zwischen positivem und negativem Frieden. Zu ersterem gehört das ganze Programm: so nicht zuletzt Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Demokratie – am besten auch in Russland. Und das ginge nur ohne Putin. Diese Erwartung wäre aber sehr überhöht. Man wird also vermutlich zunächst trotz allem mit Putin vorliebnehmen und erstmal eine Art „Waffenstillstand Plus“ anstreben müssen. Mit externen Sicherheitsgarantien für die Ukraine. In dieser Phase müsste das schwer erschütterte Vertrauen in die Aufrichtigkeit Moskaus über kleinschrittige Vereinbarungen wieder minimal hergestellt werden.

Die Unterdrückung der Menschen in Russland ist heute so allumfassend, dass ich nicht mit einem Aufstand rechnen würde
Tobias Debiel, Professor am Institut für Entwicklung und Frieden der Uni Düsseldorf

Welche Rolle kommt der russischen Bevölkerung bei Friedensbemühungen zu?

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Bevölkerung ein friedensstiftender Faktor sein kann. Im Sowjetisch-Afghanischen Krieg von 1979 bis 1989 führte letztlich auch der Protest der Mütter, die ihre Söhne im Krieg verloren, zu einem Abzug der Truppen. Allerdings ist die Unterdrückung der Menschen in Russland heute so allumfassend, dass ich derzeit nicht mit einem Aufstand rechnen würde.

Gibt es andere internationale Konflikte, die uns Hinweise auf eine Lösung dieses Krieges geben könnten?

Eine Blaupause sehe ich nicht. Dazu ist der Konflikt zu komplex. Man muss bedenken, dass die Ukraine vor dem Krieg auch in sich gespalten war, es also auch einen innerstaatlichen Konflikt gibt. Zudem ist der Westen durch seine Waffenlieferungen involviert, und Russland gehört zu den Nuklearmächten. Das alles macht die Sache nicht leichter. Zudem zeigt die Geschichte, dass sich Friedensverhandlungen über Jahre hinziehen können. Und riskant sind, weil die Kriegsparteien sich parallel dazu bemühen könnten, weiter zu eskalieren, um ihre Position zu verbessern. So lief es zum Beispiel im Koreakrieg Anfang der 1950er Jahre, wo die Verhandlungen zwei Jahre dauerten. Dennoch sollte man das Risiko meiner Meinung nach eingehen.

Universität Duisburg Essen | Campus Duisburg - Fakultät für Geisteswissenschaften | Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)

Tobias Debiel ist Professor am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Uni Duisburg-Essen.

Wie sollte es keinesfalls laufen?

Jedenfalls sollte man es nicht so machen wie bei der Appeasement-Politik 1938, ein Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Damals hat man im Abkommen von München die Tschechoslowakei dazu gezwungen, die sudetendeutschen Gebiete an Hitler abzutreten. Am Ende hat das Hitlers Eroberungshunger aber nur noch vergrößert. Das Zugestehen solcher Appetithappen sollte man also meiner Meinung nach verhindern.

Sie meinen damit, man sollte Putin nicht die Aussicht vermitteln, man würde seine Eroberung der ukrainischen Gebiete anerkennen.

Ja, das halte ich für falsch. Dennoch ist es auch unrealistisch, dass Putin auf die eroberten Gebiete verzichten wird. Eine Lösung könnte eine Übergangsverwaltung unter internationaler Kontrolle sein. Auch hier sollte man allerdings bedenken, dass dauerhafte Konfliktregelungen von außen schwer zu beeinflussen sind. Das zeigt das Abkommen von Dayton 1995. Mit einem multiethnischen Regierungsmodell gelang es hier zwar, den Bosnienkrieg zu beenden. Das Land ist aber auch heute noch instabil.

Nach einem Trump-Deal könnte Putin weiter Unruhe stiften
Professor Tobias Debiel

Wie würde ein Sieg Donald Trumps bei den US-Wahlen im Herbst die Lage in der Ukraine beeinflussen?

Danach wäre ein Siegfrieden der Ukraine unmöglich, weil Trump die militärische Unterstützung vermindern oder gar beenden würde. Zudem ist davon auszugehen, dass Trump einen Deal mit Putin einfädeln würde, der zwar auch zu einem Waffenstillstand führen könnte, am Ende aber ein problematischer Frieden wäre, der internationale Rechtsnormen verletzen würde. Man muss sich dann auch darauf einstellen, dass Putin weiter Unruhe stiften würde. Beispielsweise in Transnistrien. Oder auch im Baltikum.

Dessen Staaten ja Nato-Mitglieder sind, bei deren Angriff der Bündnisfall einträte.

Davor hat Putin Respekt, da bin ich sicher. Allerdings nur so lange der US-Präsident an der Nato festhält. Wenn Trump Präsident wäre und Putin freie Hand gäbe bei Staaten, die sich finanziell seiner Meinung nach unzureichend an den Nato-Verteidigungsausgaben beteiligen, wäre die amerikanische Schutzgarantie verloren.

Im Kalten Krieg herrschte auch kein Frieden, aber das Machtgleichgewicht sorgte für eine gewisse Ruhe. Machen die multipolaren Machtverhältnisse heute den Frieden noch unmöglicher?

Das stimmt einerseits. Andererseits kann man die Existenz vieler starker Player auch als Chance begreifen. Man könnte den Einfluss von China, Indien oder Brasilien nutzen. Uns fällt der Gedanke schwer, dass diese Staaten wichtig sein könnten, um den europäischen Frieden zu sichern. Ich bin da anderer Meinung. Peking beispielsweise wäre ein Kandidat, der bei Friedensverhandlungen Garantien absichern könnte. Käme es zu einer Übergangslösung mit militärischer Präsenz ausländischer Staaten in den besetzten Gebieten, kämen als kontrollierende Truppen weder die Amerikaner noch die Europäer in Frage. Aber vielleicht die Chinesen, die Inder oder die Brasilianer. Darauf könnte Putin sich gegebenenfalls einlassen.

Liegt in diesen Staaten auch der Schlüssel für die ersten Schritte der Diplomatie? Muss man erstmal mit China reden, um Frieden in Europa schaffen zu können?

Auf jeden Fall. Der Westen muss nun mit Entschlossenheit versuchen, Verhandlungen vorzubereiten. Sollte Joe Biden die US-Wahlen gewinnen, fällt ihm da sicher die Hauptverantwortung zu. Man muss viel Energie darauf verwenden, den Druck von außen zu erhöhen. Und die einzige Regierung, auf die Putin hört, ist die Pekings. Wirtschaftlich wie politisch ist diese Allianz für ihn zentral. Deshalb war es auch gut und wichtig, dass Olaf Scholz nach Peking reiste und von dort die ablehnende Haltung Xi Jinpings gegenüber Putins Atomwaffendrohungen mitbrachte. Die Aufgabe der Diplomatie wird sein, diesen Staaten auf Augenhöhe zu begegnen. Damit hat der Westen oft Schwierigkeiten. Aber wir müssen auf jeden hören, der versuchen könnte, Brücken zu bauen.

Ostern ist traditionell die Zeit der Friedensmärsche. Ist der dahintersteckende pazifistische Wunsch heute naiv?

Ich habe großen Respekt vor Pazifismus, vor allem wenn er religiös oder ethisch motiviert ist. Diese Haltung muss man in jedem Fall ernst nehmen. Aber es gibt auch die problematischen Strömungen. Beispielsweise benennen die Ostermarsch-Organisatoren in Rhein-Ruhr, wozu auch Köln gehört, Russland im Ukraine-Krieg nicht als Aggressor. Da hört man eher die linksorthodoxe Fraktion raus, die früher eine prosowjetische Haltung hatte und die Nato immer noch als das alte Feindbild im Kopf hat. Realpolitisch Friedensbewegte, die gerade Anfang der 80er Jahre auf die Straße gegangen sind, aber auch noch unmittelbar nach Kriegsbeginn im Frühjahr 2022, werden da kaum abgeholt.