Beim Landesparteitag der NRW-CDU in Münster hatte Friedrich Merz seinen ersten großen Auftritt als Kanzlerkandidat der Union.
„Arbeiten nicht nur Unterbrechung der Freizeit“Merz fordert beim CDU-Parteitag in Münster einen gesellschaftlichen Neustart
Die Szene wird von Kamerateams begleitet, aber Friedrich Merz hat keine Lust, gestellte Bilder zu produzieren. Gerade ist er vor der Halle Münsterland vorgefahren und seinem Dienstwagen entstiegen. Hendrik Wüst tritt auf ihn zu, man erwartet eine herzliche Begrüßung. Doch es bleibt bei einem nüchternen Handschlag zwischen dem Ministerpräsidenten von NRW und dem Kanzlerkandidaten der Union. Beim Landesparteitag am Samstag (28. September) treffen Geschäftspartner aufeinander, beste Freunde begegnen sich anderes.
Die beiden treten in den Flur und müssen noch kurz warten, bis der Oberbürgermeister von Münster, Markus Lewe, sein Grußwort beendet hat. Dann gibt die Regie grünes Licht für den gemeinsamen Einzug. Eine Elektrohymne erklingt, es ist „Levels“, ein Hit des schwedischen DJs Avicii. Der Track ist zwar nicht mehr ganz neu, aber er versprüht gute Laune. Die 670 Delegierten stehen auf und klatschen im Takt. „Oh, sometimes, I get a good feeling, yeah. Get a feeling that I never, never had before“, lautet der Refrain.
Es geht darum, der CDU ein gutes Gefühl zu geben
Die Inszenierung der Harmonie wirkt modern, der Song passt zur Mission von Merz an diesem Vormittag. Es geht darum, der CDU ein gutes Gefühl zu geben. Wenn der Sauerländer keinen Fehler macht, hat die Union beste Chancen, die nächste Bundesregierung anzuführen. Merz selbst hat wenig Zweifel, dass es so kommen wird. In genau einem Jahr findet die Bundestagswahl statt. „Wir sind fest entschlossen, um kurz nach 18 Uhr am 28. September als die dazustehen, die die Bundestagswahl 2025 gewonnen haben“, ruft er den Delegierten zu.
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Merz wirkt so, als habe es nie einen Zweifel daran gegeben, dass er der richtige Kandidat ist. Dabei hatte Wüst erst vor zwei Wochen deutlich gemacht, dass er selbst keine Ambitionen in der K-Frage hat. Mit einer persönlichen Erklärung hatte er sich in Düsseldorf nach einer Sitzung des Landesvorstands als „Königsmacher“ inszeniert und dem Senior den Vortritt überlassen. Ob dieses Votum nötig gewesen wäre, lässt Merz offen. Er lobt Wüst freundlich für die Unterstützung, schließt CSU-Chef Markus Söder in den Dank mit ein. Die Union habe ihr Versprechen eingelöst, einen einvernehmlichen Vorschlag für die Kanzlerkandidatur vorzulegen. „Wir haben nur dann eine Chance, die Bundestagswahl zu gewinnen, wenn CDU und CSU gemeinsam den Weg gehen“, betont Merz.
Die Rede beim Parteitag des größten CDU-Landesverbands ist der erste größere öffentliche Auftritt von Merz seit seiner Nominierung. Es geht darum, nach außen Einigkeit und Geschlossenheit zu demonstrieren. Der CDU-Bundesvorsitzende nutzt die Bühne, um die Grundzüge seiner „Agenda 2030“ vorzustellen. Gregor Golland, Landtagsabgeordneter aus dem Rhein-Erft-Kreis, erinnert die Rede an das Aufbruch-Signal des früheren CDU-Bundesvorsitzenden Helmut Kohl aus dem Jahr 1980. „Wir brauchen jetzt wie damals eine geistig-moralische Wende“, sagt Golland am Rand der Veranstaltung.
Merz: Demokratie vor wohl „härtester Bewährungsprobe der vergangenen Jahrzehnte“
Merz erteilt zunächst einer Zusammenarbeit mit der AfD eine klare Absage. „Mit diesen Leuten haben wir Christdemokraten nichts, aber auch gar nichts zu tun.“ Die Demokratie in Deutschland stehe vor ihrer wohl „härtesten Bewährungsprobe der vergangenen Jahrzehnte“. Die Vorgänge im Landtag von Thüringen rund um die AfD seien „nur ein kleiner Vorgeschmack“ auf das gewesen, was in naher Zukunft noch kommen könnte. Die Union müsse in der nächsten Legislaturperiode unter Beweis stellen, dass demokratische Parteien in der Lage seien, die Probleme des Landes zu lösen. Andernfalls würden das „Parteien jenseits der politischen Mitte“ übernehmen.
Als wichtigste Themen der „Agenda 2030“ nennt Merz die Migrations- und die Wirtschaftspolitik. Künftig sollten nur noch die Geflüchteten eine Bleibeperspektive erhalten, die bereit seien, sich zu integrieren. Deutschland müsse ein Land der industriellen Fertigung bleiben. Das Erste, was die nächste Bundesregierung leisten müsse, sei ein vernünftiger Umgang miteinander, sagte Merz mit Blick auf die Streitereien in der derzeitigen Ampel-Regierung. Dann spricht er sich für eine Abschaffung des Bürgergelds aus: „In den Augen der Bürger ist das ein bedingungsloses Grundeinkommen.“
Arbeit könne laut Merz auch Teil der Selbsterfahrung sein
Als Grundbedingungen für einen wirtschaftlichen Aufschwung sieht Merz einen Mentalitätswandel bei der Einstellung zur Arbeit. Arbeit dürfe nicht nur eine temporäre Unterbrechung der Freizeit sein, sondern könne auch ein Teil der Selbsterfahrung sein und „sogar richtig Spaß“ machen, sagt der CDU-Bundeschef unter Beifall. Er lobt das Sicherheitspaket, das NRW gemeinsam mit den Grünen in den Bundesrat eingebracht hatte. Die Bemerkung, dass sich die CDU bei den Zurückweisungen an den Grenzen ja nicht durchsetzen konnte, kann er sich nicht verkneifen.
Ministerpräsident Wüst gibt sich staatsmännisch, betont, im Bereich einer „konsequenten und besonnenen Sicherheits- und Migrationspolitik“ kämen die „Impulse aus NRW“. Er erinnert in seiner Rede an seine Wahl zum Landesvorsitzenden im Jahr 2021. Damals habe man sich in einer schwierigen Situation zusammengerauft und bis zur Landtagwahl 13 Prozent aufgeholt. „Nur einer starken und einigen Union im Bund wird die Ablösung der Ampel-Regierung gelingen“, warnt der Münsterländer. Die habe der Demokratie schwer geschadet. „Lieber Friedrich, gemeinsam werden wir alles dafür tun, damit du der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wirst.“
Nur einen Ratschlag gibt er Merz mit auf den Weg. „Wir als CDU müssen auch in Zukunft das soziale Gewissen im Parteiengefüge der Bundesrepublik Deutschland sein.“
Wüst wird bei seiner Rede von einem Roboter mit einem Glas Wasser versorgt. Der Parteitag steht unter dem Motto „Von der Kohle zur KI“. Der Ministerpräsident betont, das Land erlebe derzeit den Beginn einer neuen technologischen Revolution in den Bereichen Gesundheit, Bildung oder Wirtschaft. NRW könne als Digitalregion zu einem starken Zukunftsstandort in Europa werden: „Wir haben die besten Voraussetzungen, bei den kommenden Entwicklungen ganz vorne mit dabei zu sein.“
Am Morgen hatte der CDU-Landesvorstand zudem einen Antrag zur Inneren Sicherheit verabschiedet. Die Forderungen gehen weit über Ziele des Sicherheitspakets hinaus, auf das sich die CDU in der Koalition mit den Grünen verständigt hatte. So sollen Asylverfahren künftig auch in Drittländern durchgeführt werden. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, Islamisten die doppelte Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Pünktlich um 15 Uhr endet der Parteitag mit der Nationalhymne. Zuvor hatte Wüst dem Kanzlerkandidaten noch ein Paar Sportschuhe in den Farben Schwarz-Rot-Gold überreicht. Wüst hält sie hoch und zeigt auf die dicke Noppensohle. Die sollen dem Träger dabei helfen, im Wahlkampf richtig sprinten können.