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Gewalt in NRWs ArztpraxenRattengift in der Post, zertrümmerte Nase, Stühle als Waffe

Lesezeit 4 Minuten
Der Eingang einer Notaufnahme mit entsprechendem Schild darüber ist zu sehen.

Gerade in der Notaufnahme oder in Notfallpraxen kommt es zu gewalttätigen Übergriffen. Häufig sind Überwachungskameras und Sicherheitspersonal nötig.

Aggressivität und Gewalt in Kliniken und Arztpraxen ist einer Befragung zufolge gestiegen. Der Landtag debattiert über schärfere Gesetze.

Wenn in Jan Schirmers Praxis die Türen knallen, medizinische Fachangestellte beleidigt und bedroht, Mobiliar umgeworfen und Schimpfworte geschrien werden, dann schiebt der Kölner Neurologe das auf den „Prime-Effekt“.

„Die Menschen sind es gewohnt, dass sie etwas anklicken und sofort bedient werden. So erleben sie das beim Bestellen im Internet. In der Arztpraxis sind sie dann aber zum Warten gezwungen. Das frustriert sie scheinbar sehr“, sagt der Vorsitzende der Kölner Kreisstelle bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Gewalt gegenüber medizinischem Personal und Ärzten hat in Praxen, Kliniken und bei Rettungsdiensten um sich gegriffen. In einer Befragung der KV Nordrhein berichten acht von zehn Ärzten oder Mitarbeitern von verbaler Gewalt, fast jeder zweite gibt an, in den vergangenen fünf Jahren Opfer von körperlichen Angriffen geworden zu sein: getreten, bespuckt, geschubst oder zum Teil sogar zusammengeschlagen.

Ein Teilnehmer an der Befragung schildert, nach ihm sei ein Stuhl geworfen worden, Patienten hätten damit gedroht, mit einer Waffe wiederzukommen und „alle abzuknallen“. Andere berichten von eingeschlagenen Scheiben, einer Briefsendung mit zerbröseltem Rattengift, einem von einem Patienten zertrümmerten Nasenbein.

Ärzte fordern härtere Strafen gegen Aggressoren in Praxen oder Kliniken

Die KV Nordrhein hat den NRW-Landtag dazu aufgefordert, sich auf Bundesebene für härtere Strafen bei Gewalttaten in Gesundheitseinrichtungen einzusetzen. „Wir fordern von der Politik, dass Gewalt in Praxen und Krankenhäusern mit dem gleichen Maß bewertet und geahndet wird wie bei Übergriffen gegen Polizei und Rettungsdienst“, schreiben Frank Bergmann und Carsten König, Vorsitzende der KV Nordrhein, in einer Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Landtags. Wer Polizisten attackiert, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen. Am Mittwoch diskutiert der Landtag auf Antrag der FDP das Thema.

Der gestiegene Anspruch, Bedürfnisse immer sofort befriedigen zu wollen, führe laut Schirmer auch dazu, dass sich die Patientenanfragen generell erhöhten: „Wenn ich morgens in die Praxis komme, dann habe ich da schon zwanzig Mails von Absendern, die eine Antwort am selben Tag erwarten.“

Das Verständnis dafür, dass Notfälle schnell behandelt werden müssten, ein Kribbeln in den Füßen, wie es die Krankheit Neuropathie beispielsweise verursacht, aber auch einige Tage warten könne, schwinde. Häufig sei den Patienten auch nicht vermittelbar, dass auch niedergelassene Ärzte Notfälle außerhalb der Praxis behandelten und es deshalb auch bei nicht vollen Wartezimmern länger dauern kann.

„Der Ton wird rauer, die Hemmschwelle sich zu beschweren, sinkt. Gerade in den Notaufnahmen kommt es auch zu körperlicher Aggressivität“, sagt Schirmer. Am Klinikum in Dortmund will man das Personal künftig mit Bodycams ausstatten, aber auch in Kölner Kliniken setzt man schon seit längerem auf Überwachungskameras und Sicherheitspersonal. Die Kölner Polizei zählte 25 Körperverletzungsdelikte in Kölner Krankenhäusern im Jahr 2023. 2019 waren es noch 13 Fälle.

Laumann verurteilt Gewalt „schärfstens“

Neben einer Verschärfung des Strafgesetzes könnte Schirmers Meinung zufolge gerade im Notdienst auch eine bessere Vorauswahl die Lage im Wartezimmer entspannen. Schon jetzt sollen Mitarbeiter bei der 116117 mithilfe eines softwareunterstützten Fragebogens Patienten bereits am Telefon an die richtige Adresse verweisen.

Damit soll verhindert werden, dass Menschen mit Bagatellerkrankungen die Notaufnahmen der Kliniken belagern. Laut Schirmer sei denkbar, diese Beratung zumindest im Zweifelsfall verpflichtend einem Besuch bei der Notaufnahme vorzuschalten.

Minister Karl-Josef Laumann verurteilt Gewalt gegen Mitarbeiter im Gesundheitswesen „schärfstens“. „Deshalb unterstützen wir die Forderung nach einer gesetzlichen Verschärfung zum Schutz des medizinischen Personals und haben bereits Gespräche mit dem Ministerium der Justiz geführt, um dieses Anliegen auf Bundesebene heranzutragen“, schreibt der Minister auf Anfrage.

Thorsten Klute (SPD) begrüßt die Diskussion über mögliche Strafverschärfung und regt an, Praxen und Kliniken sollten darüber nachdenken, „ob sie die Zahl der Begleitpersonen von Patienten von vornherein einschränken“.

Susanne Schneider von der FDP-Landtagsfraktion NRW fürchtet, dass niedergelassene Ärzte in NRW nach Gewalterfahrungen ihren Beruf hinschmeißen könnten. Sie schlägt vor, bauliche Maßnahmen zur Gewaltprävention in Krankenhäusern und Arztpraxen künftig besser zu fördern. Zudem müsse die Landesregierung „eine Respektkampagne für Beschäftigte im Gesundheitswesen entwickeln“.