Eine neue Generation von Islamisten ersehnt sich Deutschland als Kalifat. Auch in NRW ist die Organisation aktiv.
Dicke Autos, TikTok-KanäleWer sind die Köpfe hinter „Muslim Interaktiv“?
Die Bilder gleichen sich. Am 3. November 2023 zogen etwa 3000 Menschen auf einem pro-palästinensischen Demonstrationszug durch Essen. Islamisten forderten auf Plakaten „eine Lösung - KHILAFAH“. Den Kalifat-Staat, eine autokratisch geprägte religiöse Regierungsform, die sich einzig an der Sharia, dem islamischen Gesetzeskanon, der Sunna und dem Koran ausrichtet. Als Hauptredner trat Ahmad Tamim auf, ein islamistischer Hassprediger der Gruppierung „Generation Islam“.
Er peitschte die Menge auf, als er über den angeblichen Genozid Israels im palästinensischen Gaza-Streifen wetterte. Am vergangenen Samstag forderte die Islamisten-Gruppe „Muslim Interaktiv“ auf einem Protestmarsch in Hamburg die Abschaffung der „Deutschen Wertediktatur“ und sorgt damit für Entsetzen. Wer steckt hinter der Organisation und ist sie in NRW aktiv?
Neue Generation junger islamistischer Hetzer
Die „Generation Islam“ macht insbesondere durch ihre Propaganda in Social-Media-Kanälen wie Facebook, Instagram oder TikTok mit mehr als 70.000 Followern von sich reden. Der Palästinenser Tamim gehört laut den Staatsschützern zur neuen Generation junger islamistischer Hetzer, die über ihre Online-Plattformen wie „Realität Islam“ oder „Muslim interaktiv“ gegen die hiesigen demokratischen Staatsorgane agitieren. Unlängst warnte Hamburgs Verfassungsschutzpräsident Torsten Voß vor einer „TikTokisierung“ des extremistischen Islam. „Die Islamisten wollen die Scharia einführen, sie akzeptieren unsere Gesellschaftsordnung nicht und wollen diese überwinden.“
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Radikale Demagogen wie Marcel Krass, Abdelhamid oder Abu Alia treten im Netz wie Popstars auf. Dazu zählt etwa auch Joe Adade Boateng, das Gesicht von „Muslim interaktiv“. Diese Gruppe wird bundesweit auf 800 Mitglieder geschätzt. Der Deutsch-Ghanaer postet regelmäßig Videos unter seinem Synonym Raheem via TikTok.
Verfassungsschutz: „Muslim interaktiv“ hat in NRW Tendenz zu wachsen
In NRW schätzen die Verfassungsschützer die Zahl der Anhänger von „Muslim interaktiv“ (MI) derzeit auf 130 Personen – allerdings mit Tendenz zu wachsen. Die Schwerpunkte der Organisation liegen bisher in Hamburg und Berlin. Seit vier Jahren ist die Gruppierung demnach aktiv. Im Februar 2023 konnten die Akteure von MI für eine Demonstration in Hamburg gegen Koranverbrennungen 3.500 Personen mobilisieren. Eine verbotene Propalästinensische Demonstration im Oktober 2023 führte zu Gewalt gegen Polizeibeamte.
An Rhein und Ruhr fanden sich bisher nur sporadische Aktivitäten des MI. So prophezeite Web-Imam-Boateng in Gladbeck: „Die Zukunft gehört dem Qur’an“. Die NRW-Verfassungsschützer stellen allerdings nach eigenen Angaben „Anzeichen für eine Vernetzung“ fest, „die über NRW hinausgeht“.
Die islamistischen Eiferer von „Muslim interaktiv“ lieben offenbar Hubraum und PS. In Autos deutscher Nobelmarken, verdeckt hinter verdunkelten Scheiben sitzend, reisten am 4. April modisch gekleidete Sympathisanten der Vereinigung im bürgerlichen Hamburger Stadtteil Allermöhe zu einem Treffen in der Veranstaltungshalle „Elite Eventhaus“ an – nur eine halbe Stunde später schrien sie fanatische Parolen ins Mikrophon. Muslime in aller Welt seien „Opfer der staatlichen Repression“, rief einer. „Amerika und seine Vasallen wie Deutschland dulden die Verbrennung des Korans.“, so der Mittdreißiger, angeblich Stationsarzt in einer Hamburger Klinik. „Aber unser Leiden wird ein Ende haben, schon bald.“
Herbert Reul forderte Nancy Faeser auf, drei extremistische Gruppen zu verbieten – bisher vergebens
Die Galionsfigur Boateng soll auch den Protestzug angemeldet haben, der am vergangenen Samstag rund 1.000 Menschen durch das Hamburger Viertel St. Georg, mit Plakaten „Deutschland = Wertediktatur“ und „Kalifat ist die Lösung“ lief. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind überzeugt, dass Israels Krieg gegen die Hamas-Terror-Gruppe im Gaza-Streifen junge Muslime weiter enorm aufheizen wird. „Tagtäglich die Bilder von toten Kindern und weinenden Mütter, zerbombte Häuser, die zerstörte Infrastruktur – das wird eine langanhaltende Wirkung haben. In der arabischen Welt, in Israel – und auch bei uns“, so ein Staatsschützer.
Alle drei Gruppierungen wertet etwa NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) als ideologische Nachfolger der 2003 verbotenen extremistischen Organisation Hizb ut-Tharir, die einen globalen Kalifat-Staat errichten und Israel auslöschen will. Bereits nach den Demo-Exzessen in Essen forderte Reul seine Bundesamtskollegin Nancy Faeser (SPD) im November 2023 schriftlich auf, die drei Organisationen „Generation Islam“, „Realität Islam“ sowie „Muslim interaktiv“ zu verbieten. Aus Sicht des CDU-Politikers stellen etwa Rufe nach einem Kalifat hierzulande „eine neue Qualität islamistischer Aktivitäten in NRW und in Deutschland dar“. Auf eine Reaktion der Bundesinnenministerin wartet die Landesregierung bis heute.
Deshalb erhöhte Reul jüngst den Druck auf Faeser: „Die Meinungsfreiheit ist ein extrem hohes Gut. Verbote sind in diesem Bereich immer komplex. Wir in Nordrhein-Westfalen haben aber in der Vergangenheit mit harten Auflagen versucht, das Demonstrationsgeschehen zu steuern.“ Wenn das nicht reiche, müsse man schauen, das Recht zu ändern. „Trotzdem würde es helfen, wenn das Bundesinnenministerium endlich Organisationen wie ‚Muslim interaktiv‘ verbietet“, erklärte Reul.
Dieses Unterfangen aber stößt auf politische Widerstände. So hatte die CDU-Opposition am 10. April in der Hamburger Bürgerschaft den Antrag gestellt, man möge sich doch bei Faeser für ein Verbotsverfahren gegen „Muslim interaktiv“ einsetzen. Die rot-grüne Mehrheitsfraktion bügelte das Ansinnen mit dem Argument ab, dass Verbote allein den Islamisten nicht das Handwerk legen würden.