Die beiden Spitzen-Grünen aus Köln sprechen über Streit mit Christian Lindner, Hass auf ihre Partei, Krieg in der Ukraine und die Kölner OB-Wahl.
Kölner Grüne Dröge und Lehmann„Die Demokraten sind die deutliche Mehrheit in diesem Land“
Frau Dröge, Herr Lehmann, innerhalb der Ampel-Koalition ist immer wieder Ärger. Vor allem die Auseinandersetzungen der Grünen mit FDP-Chef Lindner sorgen für Feuer. Die Koalitionspartner sagen regelmäßig: Das muss jetzt mal besser werden, wir müssen uns vertragen. Wie passt das zum ständigen Streit?
Katharina Dröge: Für uns Grüne ist das sehr klar: Wir wollen, dass die Koalition weniger streitet. Ich glaube, niemand erwartet von drei Parteien, dass sie die gleiche Meinung haben. Aber die Menschen erwarten zu Recht von ihrer Regierung, dass sie zusammenarbeitet, ihre Probleme klärt. Und wenn Beschlüsse gemeinsam getroffen werden, dann sollte man auch zu dieser Entscheidung stehen. Ein Beispiel dafür ist die Kindergrundsicherung: Der Gesetzesentwurf wurde gemeinsam von der Bundesregierung beschlossen. Die Bekämpfung von Kinderarmut ist ein zentrales Projekt dieser Koalition. Und deshalb sollte der Bundestag diese nun auch zeitnah beschließen.
Wie ist das im Innenleben der Koalition: Kommen Sie gut mit Christian Lindner und der FDP zurecht?
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Dröge: Auf der persönlichen Ebene ist es oft auch ein entspanntes und kollegiales Verhältnis, vor allem zwischen den Fraktionen. Auf Verfahrensebene ist das anders, etwa wenn Deutschland auf Intervention der FDP kurzfristig wichtige EU-Entscheidungen blockiert. Ich erwarte da auch vom Kanzler, dass er auf die Einhaltung von Abmachungen achtet.
Haben Sie in der Koalition noch eine gemeinsame Basis – oder war die Ampel ein Experiment, das Sie beenden wollen?
Sven Lehmann: Die gemeinsame Basis ist und bleibt der Koalitionsvertrag. Wir sind für vier Jahre gewählt, wir wollen auch diese vier Jahre in der Koalition arbeiten. Debatten um ein Ende der Bundesregierung helfen niemandem weiter, vor allem nicht den Bürgerinnen und Bürgern, die Zuverlässigkeit von der Politik erwarten. Gerade in diesen Zeiten mit massiven Krisen, dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, dem Krieg im Nahen Osten, der Wahl in den USA, ist es wichtig, dass Deutschland in der Welt und Europa ein verlässlicher Partner ist. Alle Debatten um ein Ende der Ampel-Koalition lenken unnötig von den Aufgaben ab, die vor uns liegen.
Dröge: Bei allem Streit gerät aus dem Blick, dass es viele Themen gibt, bei denen wir uns total einig sind. Wir alle wollen zum Beispiel das Land entbürokratisieren. Bei der Frage nach einer zukunftsfähigen Energieversorgung sind wir gemeinsam vorangekommen. Und auch ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Unternehmen dringend brauchen, haben wir gemeinsam entwickelt, das hätte es mit einer CDU in der Bundesregierung nicht gegeben. Das ging nur mit dieser Koalition. Wir haben viel hingekriegt, wir haben es angepackt.
Die Grünen liegen in der Gunst der Wähler deutlich unter der letzten Europawahl. Am 9. Juni können Sie laut Umfragen mit etwa 14 Prozent der Stimmen rechnen, 2019 waren es 20,5. Woran liegt das?
Dröge: Wir liegen bei den aktuellen Prognosen für die Europawahl im Umfeld des Ergebnisses der letzten Bundestagswahl. Wir sind mit Blick auf dieses Ergebnis die einzige der drei Ampelparteien, die keine relevanten Verluste zu erleiden hat. Das Europawahl-Ergebnis 2019 war ein absolutes Rekordergebnis. Wenn wir unter den aktuellen Rahmenbedingungen und als Regierungspartei, die in einer Zeit multipler Krisen Lösungen finden muss, an unser bestes Bundestagswahlergebnis von 2021 anknüpfen können, wäre das durchaus ein gutes Ergebnis.
Ein Verlust von einem Drittel wäre dennoch eine Niederlage. Wer trägt die Verantwortung dafür?
Lehmann: Die Wahl kommt ja erst noch. Umfragen sind das eine, wie die Menschen am Ende wählen, das andere. Und es ist sehr wichtig, dass die Wahlbeteiligung diesmal hoch ist. Europa steht am Scheideweg. Es geht um die Frage, ob Europa als Demokratie in Zukunft noch existiert. Bei den Wahlergebnissen der Grünen gab es in den letzten Jahrzehnten immer Wellenbewegungen. Nach der letzten Bundestagswahl war direkt absolute Krise in der Welt. Und die Angriffe auf die Grünen sind von allen Seiten massiv, in der Regierung, aber vor allem auf der Straße. In diesem Klima das Ergebnis der Bundestagswahl zu halten, wäre aus unserer Sicht ein Erfolg.
Warum konzentriert sich der Hass so auf die Grünen?
Dröge: Es gab in den letzten Wochen Angriffe auf Vertreter aller demokratischen Parteien. Das konzentriert sich nicht alleine auf Grüne, auch wenn wir überdurchschnittlich häufig betroffen sind. Über soziale Medien erleben wir ein zunehmendes Maß an Desinformation – auch gesteuert von Russland. Dass russische Falschinformationen sich ausgerechnet gegen die Partei der Außenministerin richten, die einen sehr klaren Anti-Putin-Kurs fährt, ist überhaupt kein Wunder. Die AfD trägt natürlich auch in einem hohen Maße dazu bei, eine aggressive und aufgehetzte Stimmung zu erzeugen, und das auch oft gegen Grüne. Nicht hilfreich ist aus meiner Sicht, wenn in so einer gesellschaftlichen Stimmung sich dann auch demokratische Parteien an einer unguten Polarisierung beteiligen. Ich wundere mich zum Beispiel, wie oft Friedrich Merz oder auch Markus Söder über das Gendern reden. Das tun sie tausendmal häufiger als ich. Damit wollen sie falsche Vorurteile erzeugen.
Lehmann: Kulturkampf wollen die anderen, nicht wir Grüne. Wir arbeiten in der Sache und sorgen zum Beispiel in der Gesellschaftspolitik dafür, dass unsere Gesetze endlich die gesellschaftliche Vielfalt anerkennen, die längst Realität ist. Man erreicht nicht alle Menschen immer mit rationalen Argumenten. Man darf aber nicht aus Angst vor Populismus aufhören, das Richtige zu tun. Es ist wichtig, Kurs zu halten, wenn viele andere umkippen, vor allem beim Thema Menschenrechte.
Welche Erfahrungen machen Sie persönlich mit Hass und Beleidigungen?
Dröge: Ich lese die meisten Hass-E-Mails nicht, aber mein Team zeigt alles an, was strafrechtlich relevant ist. Wie viele Anzeigen ich schon unterschrieben habe, weiß ich nicht, aber es waren viele.
Lehmann: Ich erlebe verbale Angriffe jeden Tag, vor allem im Netz. Als Queer-Beauftragter der Bundesregierung, der viel auf CSDs unterwegs ist, habe ich auch schon oft erlebt, dass Leute vom Straßenrand Beleidigungen rufen. Da ist mitunter mein Eindruck: Wenn die Polizei da nicht stehen würde, würden sie vielleicht auf uns losgehen. Ich hatte auch schon Fälle von Drohungen, die strafrechtlich verfolgt wurden, teilweise auch erfolgreich.
Haben Sie schonmal angesichts solcher Angriffe darüber nachgedacht, ob das der richtige Job für Sie ist?
Dröge: Nein, niemals. Wenn das anfangen würde, wer würde denn dann unsere Demokratie verteidigen?
Lehmann: Dann hätten die Demokratiefeinde gewonnen.
Dröge: Es ist bei vielen Menschen eher umgekehrt. Als die rassistischen Deportationspläne der AfD öffentlich wurden, gab es eine riesige Eintrittswelle bei uns Grünen, auch in Köln.
Lehmann: Auch deswegen ist es so wahnsinnig wichtig, dass die Menschen zur Wahl gehen und demokratisch wählen. Die Demokraten sind die deutliche Mehrheit in diesem Land.
Zur Person: Katharina Dröge (39) ist seit 2013 für die Grünen im Deutschen Bundestag, der Wahlkreis der Kölnerin ist Ehrenfeld, Nippes, Chorweiler. Von 2009 bis 2014 war sie Vorsitzende des Kreisverbands der Grünen in Köln. Seit Dezember 2021 ist Dröge neben Britta Haßelmann Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Zur Person: Sven Lehmann (44) ist seit 2017 für die Grünen im Bundestag. Seit Dezember 2021 ist der Kölner Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfamilienministerium und seit Januar 2022 Beauftragter der Bundesregierung für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Seit Mai 2024 ist Lehmann mit dem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Grünen im NRW-Landtag, Arndt Klocke, verheiratet.
Die globalen Multikrisen scheinen die Rechtsextremisten zu beflügeln. Dazu kommt eine wegbrechende Infrastruktur, Probleme in Wirtschaft, Bildung. Wie begegnen Sie diesen Problemen?
Dröge: Wir haben einen Bund-Länder-Kommunen-Fonds für die Stärkung von Investitionen vorgeschlagen, den „Deutschland-Investitionsfonds“. Dafür müsste man die Schuldenbremse modernisieren, die Ampel allein hat dafür allerdings nicht die notwendige Mehrheit. Deswegen sprechen wir ganz bewusst eine Einladung an die Bundesländer aus, zum Beispiel auch an den NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. Gemeinsam wollen wir unseren Kindern ein Land überlassen, das einfach funktioniert. Das wäre möglich, wenn man das notwendige Geld in die Hand nimmt. Wenn wir die Schuldenbremse nicht modernisieren, und nicht für gute Schulen, gute Straßen und vernünftiges Internet sorgen, ist das Sparen am falschen Ende. Das schwächt Deutschland und geht auf Kosten der jungen Generation.
Lehmann: Die Schuldenbremse darf nicht zur Gerechtigkeitsbremse, zur Zukunftsbremse werden. Die Probleme haben sich viele Jahre aufgetürmt, wir wollen und müssen sie jetzt lösen.
Beim Krieg in der Ukraine ist kein Licht am Ende des Tunnels, es geht immer weiter. Wie blicken Sie auf die aktuelle Lage?
Dröge: Die Lage ist noch ernster, als wir das vor ein paar Monaten befürchtet hatten. Für den Frieden in der Europäischen Union ist es wichtig, dass wir die Ukraine unterstützen, noch mehr als wir das bislang tun. Wir müssen, gerade weil wir den Konflikt eindämmen wollen, mit Blick auf Waffenlieferungen so viel wie möglich so schnell wie möglich tun, die Zeit läuft davon.
Was halten Sie von der Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht?
Lehmann: Die Bundeswehr hat ein Personalproblem. Es gibt aber bessere Lösungen, als die Wehrpflicht wiedereinzuführen, von der sich Deutschland aus guten Gründen verabschiedet hat. Die Bundeswehr kann zum Beispiel noch aktiver werben, die Ausbildung attraktiver machen und dort auch mit Anreizen arbeiten. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre mit massiven Folgekosten verbunden, eine riesengroße Infrastruktur müsste wieder aufgebaut werden. Außerdem ist es ein starker Eingriff in den Lebensweg junger Menschen. Das wollen wir nicht mehr.
Die Grünen suchen in Köln nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten für die Oberbürgermeister-Wahl 2025. Wäre das eine Aufgabe für Sie?
Dröge: Ich werde wieder für den Deutschen Bundestag kandidieren und mache das mit großer Begeisterung und Überzeugung. Ich habe einen wahnsinnig verantwortungsvollen Job als Fraktionsvorsitzende und den möchte ich weiterhin machen. Die Aufgabe einer Oberbürgermeisterin in Köln ist toll, aber für mich jetzt nicht die richtige Aufgabe. Aber ich bin Teil der Auswahlkommission und bin mir sicher, dass wir Grünen am Ende eine Person vorschlagen werden, der oder die diese schöne Stadt sehr gut führen kann.
Lehmann: Ich bewerbe mich ebenfalls für ein neues Mandat im nächsten Bundestag. Um die Kandidatur als Oberbürgermeister in Köln bewerbe ich mich nicht. Die Arbeit für Köln in Berlin macht mir große Freude und ich möchte sie weiterführen. Aber natürlich haben wir in Köln einen hohen Anspruch: Bei der letzten Kommunal- und Bundestagswahl waren die Grünen in Köln die stärkste Partei. Und das wollen wir 2025 wieder werden. Auch bei der OB-Wahl. Die Wählerinnen und Wähler erwarten von einer grünen Kandidatin oder grünem Kandidaten eine klare Haltung bei Klimaschutz und Verkehrswende. Zwei Beispiele aus meinem Wahlkreis: Der Grüngürtel darf nicht zugebaut werden und die Rodenkirchener Brücke nicht abgerissen werden. Auch das muss eine grüne Kandidatur ausstrahlen.