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Wegen wachsender Kriegsgefahr<br>Herbert Reul fordert Zehn-Milliarden-Paket für den Zivilschutz

Lesezeit 4 Minuten
Herbert Reul (CDU), Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, bei einer Pressekonferenz in der Staatskanzlei.

In Sachen Zivilschutz will NRW-Innenminister Reul (CDU) jetzt mehr Tempo auf Bundesebene: „Wir sollten jetzt keine Zeit verlieren und die notwendigen Strukturen schaffen.“

Einem russischen Angriff wäre die Zivilbevölkerung in NRW weitgehend schutzlos ausgeliefert. Bei der Konferenz der Innenminister in Brandenburg soll jetzt ein Investitionsprogramm für den Zivilschutz auf den Weg gebracht werden.

Die Vier-Sterne-Unterkunft Hotel Rheinsberg liegt idyllisch am Grienericksee im Stechlin-Ruppiner Land im Norden von Brandenburg. Dorthin hat sich NRW-Innenminister Herbert Reul nach der Plenarsitzung in Düsseldorf mit seinem Dienstwagen auf die Reise gemacht – zur Innenministerkonferenz (IMK). Reul, seine Amtskollegen in den Ländern und Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) kommen zusammen, auf der Tagesordnung stehen wichtige Weichenstellungen bei der Verbesserung des Zivilschutzes in Deutschland.

„Wir brauchen jetzt ein Zehn-Milliarden-Paket analog zur Bundeswehr, um uns für die nächsten Jahrzehnte abzusichern“, sagte Reul dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Eine Kriegsgefahr sei „potenziell da“: „Deutschland muss auch im Inneren verteidigungsfähig werden“, so der Politiker aus Leichlingen.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert mittlerweile seit mehr als 1000 Tage an. Die Bilder aus dem Kriegsgebiet zeigen schmerzhaft, wie die Zivilbevölkerung unter dem Terror aus der Luft leidet. Den Innenministern gehe es nicht darum, Panik zu erzeugen, heißt es aus Teilnehmerkreisen. Das Thema Zivilschutz sei aber in den vergangenen Jahren „verschlafen worden“, sagte Reul: „Wir sollten jetzt keine Zeit verlieren und die notwendigen Strukturen schaffen. Der Bund muss hier die Planung bundesweit in die Hand nehmen. Zivilschutz geht nur aus einem Guss.“

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Miserable Quote bei Schutzräumen für die Bevölkerung

Nach Angaben des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK) gibt es deutschlandweit noch 579 Schutzräume mit rund 480.000 Plätzen. Das bedeutet, dass etwas mehr als ein halbes Prozent der Bevölkerung versorgt wäre. Eine miserable Quote – in Finnland kämen rund 85 Prozent aller Einwohner im Fall eines Angriffs in einem Bunker unter. 2007 hatte die große Koalition die Wartung der damals noch vorhandenen 2000 Bunkeranlagen in Deutschland eingestellt, weil ein Krieg in Europa nicht mehr vorstellbar schien.

Der Eingang zum einstigen Ausweichsitz der Landesregierung in der Eifel.

Das Land NRW hatte bis in die 90er Jahre einen „Ausweichsitz“ in einem Bunker in der Nähe des Ortes Urft in der Eifel unterhalten. Heute ist die Anlage eine Dokumentationsstätte und kann besichtigt werden.

Braucht Deutschland jetzt ein Neubauprogramm? Das ist unter Experten umstritten. Bunker-Kritiker führen an, bei einem Angriff mit Mittelstreckenraketen sei die Vorwarnzeit zu gering, um Menschen sicher in Schutzräume lotsen zu können. Das BKK empfiehlt lediglich, Kellerräume in öffentlichen Gebäuden oder in Kaufhäusern, Tiefgaragen, U-Bahnstationen und Tunneln nutzbar zu machen.

„Gegen moderne Präzisionswaffen, die gezielt einzelne kriegsrelevante Objekte zerstören und bei deren Angriff nur wenige Minuten Vorwarnzeit verbleiben, sind zentral gelegene öffentliche Schutzräume für mehrere Hundert oder Tausend Menschen keine geeignete Schutzmaßnahme“, heißt es in einem BKK-Papier. Diskutiert wird aber darüber, die Absicherung privater Kellerräume zum Beispiel durch Abdeckung der Luftschacht-Fenster staatlich zu fördern. Dies sei schnell umsetzbar und kostengünstig, heißt es.

Auch Reuls Ansatz ist nicht nur auf den Bau von Bunkern fokussiert. „Es geht auch um die Errichtung von Energiespeichern für den Krisenfall, die Sicherung der Bevölkerungsversorgung mit Lebensmitteln und um die Stärkung der Infrastruktur“, sagte der CDU-Politiker unserer Zeitung. Beim Straßenausbau gelte es, „Truppenbewegungen der Bundeswehr und unserer Verbündeten zu erleichtern“.

NRW ist als Bundesland mit seinen vielen Einwohnern, der sehr hohen Bevölkerungsdichte, zahlreichen Ballungsräumen und einem engen Infrastrukturnetz von zentraler Bedeutung für den Zivilschutz. Viele Transitstrecken in Europa führen in Richtung Nord-Süd und West-Ost durch NRW.

Die zivile Verteidigung in der Bundesrepublik funktioniere nur, wenn alle Länder den Herausforderungen mit den gleichen Planungen und Lösungen begegnen würden. Dieses Zusammenspiel müsse dringend vom Bund synchronisiert werden, hieß es in Düsseldorf.

Geht es nach der IMK, sollen die Mittel für den Zivilschutz über ein Sondervermögen bereitgestellt werden. Eine Beschlussvorlage, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, sieht vor, dass das Geld in den nächsten Jahren investiert werden soll. Im Katastrophenschutz seien viele Fahrzeuge in die Jahre gekommen: „Angesichts des zunehmenden Alters der den Ländern zur Verfügung gestellten Zivilschutzfahrzeuge verstärkt sich der Druck, parallel notwendige Ersatzbeschaffungen in erheblichem Umfang einzuplanen“, steht in dem Papier zu lesen. Allein für die vollständige Erfüllung des Ausstattungskonzepts des Bundes sowie die Ersatzbeschaffungen würden in den nächsten Jahren Haushaltsmittel in Milliardenhöhe benötigt.

Blick in den Schlafrraum im früheren Schutzraum in Köln-Kalk

Blick in den Schlafrraum im früheren Schutzraum in Köln-Kalk

Die Innenminister fordern die Bundesregierung laut Beschlussvorlage zudem auf, „im Rahmen einer Änderung des Wehrdienstmodells“ zu prüfen, „wie auch die Feuerwehren und Hilfsorganisationen in personeller Hinsicht hiervon profitieren könnten“. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland im Jahr 2011 war auch der Zivildienst ausgesetzt worden. Weil es wahrscheinlich sei, dass es künftig vermehrt zu Naturereignissen mit einem hohen Schadenspotenzial kommen werde, müsse die grenzüberschreitende und europäische Zusammenarbeit im Katastrophenschutz verbessert werden.

Das Land NRW hatte bis in die 90er Jahre über einen „Ausweichsitz“ in einem Bunker in der Nähe des Ortes Urft in der Eifel unterhalten. Dort sollten die Minister und ihre Führungsstäbe 30 Tage lang unabhängig von der Außenwelt leben und arbeiten können. Die Anlage war für 200 Personen ausgerichtet. Heute ist die Anlage eine Dokumentationsstätte und kann besichtigt werden.

In Köln ist an der U-Bahn-Station Kalk Post noch ein Atom-Schutzbunker für 2366 Menschen erhalten geblieben. Der Schutzraum kann nicht mehr genutzt werden, weil die technischen Anlagen seit 2005 nicht mehr gewartet wurden.