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Überlastet und schlecht ausgebildetVor allem jüngere Kita-Fachkräfte wollen aufgeben

Lesezeit 5 Minuten
Eine Werbung für Erzieherinnen an einem Zaun.

In den nordrhein-westfälischen Kitas arbeiten immer weniger Fachkräfte.

Um den Betrieb aufrechtzuerhalten, sind in den Kitas immer mehr Menschen ohne formale Qualifikation beschäftigt.

Die Qualität der frühkindlichen Bildung in den nordrhein-westfälischen Kitas ist stark gesunken. In den Einrichtungen arbeiten immer weniger ausgebildete Fachkräfte, die mindestens über eine Qualifikation als Erzieherin verfügen, wie das aktuelle „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung belegt. Weil in vielen Einrichtungen das Personal fehlt, würden immer mehr Menschen ohne die formalen pädagogischen Voraussetzungen eingestellt, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.

In Nordrhein-Westfalen erfüllt laut der Studie nur noch fast jedes dritte Kita-Team (31 Prozent) die vom Bundesfamilienministerium empfohlene Fachkraftquote, wonach mehr als acht von zehn pädagogischen Mitarbeitenden mindestens einen einschlägigen Fachschulabschluss haben sollen. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 traf dies noch auf fast jedes zweite Kita-Team in Nordrhein-Westfalen (45 Prozent) zu.

Mit 14 Prozent fällt der Rückgang in NRW deutlicher aus als auf Bundesebene, wo er neun Prozent beträgt. Bundesweit erfüllt jede vierte Kita die empfohlene Fachkraftquote.

Alles zum Thema Jochen Ott

Vergleich Bundesländer

Anteil Kita-Personal mit Fachabschluss: Entwicklung in Deutschland

Im selben Zeitraum ist der Anteil an Kita-Teams in Nordrhein-Westfalen, in denen nur 50 bis 70 Prozent des pädagogischen Personals als Fachkraft qualifiziert sind, auf 30 Prozent gestiegen. Das ist ein Zuwachs um zehn Prozent.

Personal in Kitas fühlt sich stark belastet

Die anspruchsvolle Arbeit mit den Kindern erfordere eine ausreichende Qualifikation, sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung. Aufgrund des Personalmangels möge es in einer Notsituation vertretbar sein, die Anforderungen vorübergehend zu senken, um die Schließung einer Kita abzuwenden. „Das darf aber nicht zu einem dauerhaften Absenken der Fachkraft-Quote führen. Doch genau diese Tendenz sehen wir momentan in Nordrhein-Westfalen“, kritisierte Bock-Famulla. Zudem stelle die Begleitung von nicht einschlägig ausgebildeten Mitarbeitenden zunächst zusätzlichen Aufwand dar und damit einen weiteren Belastungsfaktor für das Fachpersonal.

Dabei befindet sich die Überlastung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kitas bundesweit auf einem sehr hohen Niveau. Das belegen eine ebenfalls von der Stiftung in Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen erstellte Studie. Fast die Hälfte der befragten Kita-Beschäftigten gibt darin an, sich täglich oder fast täglich im beruflichen Alltag überlastet zu fühlen. Viele Beschäftigte schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Berufsfeld kurz- bis mittelfristig verlassen werden, als sehr hoch ein. Bei rund einem Viertel der Befragten lag diese Einschätzung sogar bei 80 Prozent oder höher. Am größten ist das Abwanderungsrisiko bei den Jüngeren im Alter von 26 bis 30 Jahren.

Großes Abwanderungsrisiko bei jungen Kita-Beschäftigten

Die Abwanderungsgedanken treten umso wahrscheinlicher auf, je häufiger sich jemand überlastet fühlt. „Auch in Nordrhein-Westfalen besteht das Risiko, dass zahlreiche Fachkräfte das Berufsfeld verlassen. Ein weiteres Absenken der Fachkraft-Quote würde die Situation zusätzlich verschlechtern“, warnte Bock-Famulla. Dabei unterstützt die Bertelsmann Stiftung die Empfehlungen der vom Bundesfamilienministerium eingesetzten Arbeitsgruppe Frühe Bildung. Diese spricht sich für ein schrittweises Anheben der Fachkraft-Quote auf 85 Prozent in jedem Kita-Team aus.

Die derzeitige Lage in den Bundesländern sieht im Osten deutlich besser aus als im Westen: Im Osten weisen zwischen 35 Prozent (Berlin) und 89 Prozent (Thüringen) eine hohe Fachkraft-Quote von 82,5 Prozent auf. Im Westen reicht die Spannweite von 3 Prozent (Bayern) bis 36 Prozent beim „Spitzenreiter“ Hessen. Allerdings hat die Bundesregierung keinen Standard für eine Fachkraft-Quote in der Fortsetzung des Kita-Qualitätsgesetzes festgelegt.

Wie man die Situation kurzfristig verbessern könnte

Um die Situation trotzdem kurzfristig zu verbessern, empfiehlt Bock-Famulla eine verlässlich finanzierte, professionelle Beratung und Begleitung der Kita-Teams. Dauerhaft könnten Kita-Beschäftigte aber nur im Beruf gehalten werden, wenn es gelinge, den Anteil an Fachkräften wieder zu erhöhen.

Für das Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme wurden die Daten des Statistischen Bundesamtes ausgewertet. Das Kooperationsprojekt mit der Uni Gießen beruht auf der Befragung von 21.635 Kita-Beschäftigten.

Die Gewerkschaft und Erziehung NRW bezeichnete die Situation als alarmierend. "Die Qualität der frühkindlichen Bildung sei essenziell für die weitere Bildungsbiografie - vor allem für Kinder aus benachteiligten Familien, betonte die Vorsitzende der GEW NRW, Ayla Celik. Es sei die Pflicht der Landesregierung, hier für ausreichend qualifiziertes Fachpersonal zu sorgen.

Für große nordrhein-westfälische Kita-Träger wie Fröbel untermauert das aktuelle Monitoring der Bertelsmann Stiftung den dringenden Handlungsbedarf. „Das Kitasystem wird immer unzuverlässiger“, konstatierte Fröbel-Geschäftsführer Stefan Spieker. „Der aktuelle Kurs in Nordrhein-Westfalen ist fatal, denn er ist klar der Notstands-Politik der Landesregierung geschuldet“, kritisierte er. Es dürfe nicht passieren, dass ungelernte Ergänzungskräfte oder Quereinsteiger den Fachkräftemangel dauerhaft kompensieren. Dann kämen zentrale Aufgaben der Kitas wie Sprachförderung unweigerlich zu kurz.

Spieker bezieht sich in seiner Kritik auf die gelockerte Personalverordnung von NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne). Damit Kitas nicht wetterbedingt oder während Krankheitswellen schließen müssen, sollen jetzt Ergänzungskräfte wie Kinderpfleger eingesetzt werden können, wenn sonst zu wenig sozialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte da wären. Heißt: Bei akutem Personalnotstand können dann bis zu 60 Kindern für bis zu sechs Wochen von nur einer sozialpädagogischen Fachkraft (staatlich anerkannter Erzieher, Heilpädagoge oder Sozialpädagoge) mit verstärktem Einsatz von Ergänzungskräften betreut werden.

Übergangsweise bräuchte es demnach in Einrichtungen mit höchstens 60 Kindern lediglich noch eine Fachkraft. Pro weiterer 60 Kinder bräuchte es eine Fachkraft, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich müssen auch weiter zwei Kräfte in einer Gruppe sein.

Was die Kitas brauchen, ist eine solide Finanzierung, die es den Trägern ermöglicht, langfristig und sicher zu planen
Jochen Ott, SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag

Die Opposition im Landtag nahm die Landesregierung in die Verantwortung. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Jochen Ott sieht in der Studie den Beleg einer der sich ausweitende „Kitakatastrophe in NRW“. Sie zeige, „dass wir noch mehr Fachkräfte und Qualität in unseren Kitas verlieren werden, wenn Schwarz-Grün so weitermacht wie bisher“. Die Sorgen seien groß, dass eine Öffnung mit einer Fachkraft und weiteren Ergänzungskräften für bis zu 60 Kinder eine schleichende Regel werde und sich damit eine dauerhafte Deprofessionalisierung manifestiere. Die SPD fordert eine grundlegende Änderung im System. „Was die Kitas brauchen, ist eine solide Finanzierung, die es den Trägern möglich macht, langfristig und sicher zu planen“, so Ott.

"Wir setzen alle Hebel in Bewegung, um mehr Erzieherinnen und Erzieherinnen zu gewinnen", versprach Eileen Woestmann, Sprecherin für Kinder und Familie der Grünen-Landtagsfraktion. Aber Frühkindliche Bildung gelinge nur mit geöffneten Kitas. Auch Kinderpflegerinnen könnten das Team positiv mitgestalten. "Die Alternative wären noch mehr Schließungen."

Die kommunalen Spitzenverbände hatten die Lockerungen grundsätzlich begrüßt, um in Notzeiten für die Eltern Verlässlichkeit herzustellen. Kita-Erzieherinnen starteten dagegen eine eigene Petition, um die Lockerungen zu stoppen, da sie das Kindeswohl gefährdet sehen, wenn eine ausgebildete Erzieherin allein die Verantwortung für 60 Kinder tragen müsse.