AboAbonnieren

Kritik an Grenzkontrollen in NRW„Wir dürfen Folteropfer nicht abweisen und ihrem Schicksal überlassen“

Lesezeit 4 Minuten
Ein Schild mit der Aufschrift Bundesrepublik Deutschland steht in der deutschen Grenzsiedlung Köpfchen an der Grenze zu Belgien.

Der Flüchtlingsrat kritisiert die Grenzkontrollen in NRW.

Claus-Ulrich Prölß ist Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats. Er warnt vor den Folgen eines populistischen Überbietungswettbewerbs bei der Neuausrichtung der Asylpolitik nach dem Anschlag von Solingen

Herr Prölß, wie hat sich die Lage in den Flüchtlingsunterkünften vier Wochen nach dem Anschlag von Solingen verändert?

Selbstverständlich spüren geflüchtete Menschen auch den politischen Druck, der derzeit auf sie ausgeübt wird, und oftmals auch gesellschaftliche Ablehnung. Für viele ist es unverständlich, warum sie für Probleme herhalten müssen, für die sie nichts können. Dabei wollen sie nur Schutz und Sicherheit, Arbeit und eine gute Ausbildung ihrer Kinder. Wir erleben derzeit einen populistischen Überbietungswettbewerb von Maßnahmen, die teilweise sowohl in verfassungsrechtlicher als auch in europarechtlicher Hinsicht mehr als fragwürdig sind. Anstatt den radikalen Islamismus durch geeignete Mittel nachhaltig zu bekämpfen, werden Geflüchtete zum Sündenbock erklärt für alles, was in diesem Land schiefläuft. Pauschalkürzungen der Leistungen für Menschen in Dublin-Verfahren oder für Geduldete zum Beispiel hätten das Attentat in Solingen wohl kaum verhindert.

Welchen Erfolg werden die jetzt eingeführten Grenzkontrollen bei der Begrenzung der Zuwanderung haben?

Alles zum Thema Polizei Köln

Seit 25 Jahren ist Claus-Ulrich Prölß Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats.

Seit 25 Jahren ist Claus-Ulrich Prölß Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats.

Nach geltender Rechtslage haben Menschen, die an der Grenze um Schutz nachsuchen, einen Anspruch darauf, ihr Schutzbegehren im Rahmen eines Asylverfahrens überprüfen zu lassen. Wir befürchten, dass jetzt noch mehr Flüchtlinge an den Grenzen Opfer von rechtswidrigen Pushbacks werden. Für die Bundespolizei dürfte es eine enorme Herausforderung sein zu bewerten, ob Kriegsflüchtlinge, Familien mit Kindern, Traumatisierte, andere vulnerable Personen ein Schutzbegehren äußern. Wir dürfen Folteropfer nicht an der deutschen Grenze abweisen und ihrem Schicksal überlassen.

Was halten Sie von dem Vorschlag, Asylverfahren in Drittländern durchzuführen?

Die rechtlichen Anforderungen für Asylverfahren in Drittländern wären immens hoch. Es müsste dafür nicht nur die Verfassung geändert, sondern es müsste gewährleistet werden, dass die Verfahren vollumfänglich nach Unionsrecht mit allen seinen Garantien ausgestaltet und das Non-Refoulement-Prinzip sowie der Ausschluss von Kettenabschiebungen in den Verfolgerstaat tatsächlich sichergestellt und rechtsstaatlich durch unabhängige Gerichte überprüft werden. Das alles funktioniert ja selbst in manchen EU-Staaten nicht. Wie sollte es dann in Drittstaaten irgendwo außerhalb der EU funktionieren?

Das Dublin-Abkommen sieht vor, dass Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen sollen, indem sie die EU erstmals betreten haben. Was kann man tun, um das System effektiver zu machen?

Das Dublin-System ist aus verschiedenen Gründen schon lange dysfunktional. Ein Grund ist etwa, dass viele Mitgliedstaaten so schlechte Aufnahmebedingungen haben, dass Gerichte in Deutschland Rückführungen dorthin verbieten. Die Dublin-Verordnung wird aber ab 1. Juli 2026 aufgehoben und durch die Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Die Zuständigkeitsregeln bleiben im Wesentlichen bestehen. Allerdings werden sowohl die Überstellungsfristen als auch die Dauer der Zuständigkeit eines Mitgliedstaates verlängert. Und die Staaten können sich von ihrer Verpflichtung, eine bestimmte Anzahl von Geflüchteten aufzunehmen, durch Pro-Kopf-Zahlungen freikaufen.

Sollten Afghanistan und Syrien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden?

In Afghanistan verstoßen die Taliban gegen elementare Menschenrechte. Hinrichtungen, Folter, öffentliche Auspeitschungen – das steht auf deren Tagesordnung. Das Regime ist ein Terrorregime nach innen und unterstützt den radikalen Islamismus nach außen. Und auch in Syrien gibt es nach wie vor kein Gebiet, das man als sicher bezeichnen kann. Massive Menschenrechtsverletzungen finden sowohl unter der Assad-Diktatur statt als auch in den drei anderen Landesteilen. Eine Einstufung von Ländern als „sicher“ hat nach dem Grundgesetz bestimmte Voraussetzungen. Diese sind bei Afghanistan und Syrien definitiv nicht erfüllt.

Ein Schild mit der Aufschrift:· Warum?· befindet sich am Gedenkort unweit des Tatorts. Bei einer Attacke auf der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen hatte es vor vier Wochen drei Tote und mehrere Verletzte gegeben.

Bei einer Attacke auf der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen hatte es vor vier Wochen drei Tote und mehrere Verletzte gegeben.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der Landesregierung nach dem Anschlag von Solingen?

Der mutmaßliche Täter konnte ja in relativ kurzer Zeit festgenommen werden. Das ist sicherlich ein Erfolg der polizeilichen Ermittlungen unter dem Dach des Innenministeriums. Den Anschlag hätte man, wenn überhaupt, nur vermeiden können, wenn er vorher entsprechend aufgefallen wäre. Hier gibt es immer noch viel zu wenig Präventivmaßnahmen und Projekte, die den Dialog mit Moscheegemeinden suchen. Und das Land plant sogar die Kürzung der sozialen Beratung von Geflüchteten.

Der Täter von Solingen war in der Nacht, in der er abgeschoben werden sollte, nicht auffindbar. Was halten Sie von einer Verschärfung der nächtlichen Präsenzpflicht in den Unterkünften für Flüchtlinge, die abgeschoben werden sollen?

Eine nächtliche Präsenzpflicht für Geflüchtete in Unterbringungseinrichtungen würde faktisch Haft mit Tagesfreigang bedeuten. Wir brauchen solche Haftanstalten nicht, wir brauchen eine Unterbringung, die rechtlichen und humanitären Grundsätzen verpflichtet ist und insbesondere den Bedürfnissen vulnerabler Personen gerecht wird.

Kommt es häufig vor, dass Abschiebepflichtige gewarnt werden?

Das kann ich mir nicht vorstellen. In den meisten Fällen unterliegt der Termin der Abschiebung der Geheimhaltungspflicht und darf gegenüber der ausreisepflichtigen Person nicht angekündigt werden. Verstöße dagegen werden mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafen geahndet. Geflüchtete wissen zwar, wann sie ausreisepflichtig sind, sie wissen aber nicht, an welchem Tag die Abschiebung tatsächlich stattfindet. Nur in bestimmten rechtlichen Fällen wird der Abschiebungstermin kurzfristig angekündigt.