Unter die Lützerath-Demonstranten sollen sich auch bis zu 400 Gewaltbereite gemischt haben. In Keyenberg fürchtet man die feindliche Übernahme durch Extremisten.
Proteste in LützerathWird die Klimabewegung von Linksextremisten unterwandert?
Am Dienstagvormittag bekam Barbara Oberherr hohen Besuch. In ihrem Wohnzimmer in ihrem Haus in Keyenberg saßen der NRW-Innenminister Herbert Reul und Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach. Neben ihnen acht Bürgerinnen und Bürger aus den fünf geretteten Dörfern am Rand des Tagebaus Garzweiler II im Rheinischen Revier.
Oberherr und ihre Mitstreiter hatten einen offenen Brief an Landesregierung, Polizei und die Stadt Erkelenz geschrieben und darin einschüchterndes Verhalten von Klimaaktivisten beklagt, Einbrüche in leerstehende Häuser und Missachtung von privatem Grund. Etwas mehr als eine Stunde dauerte das Gespräch. „Wir sind froh, dass wir wahrgenommen wurden“, sagte Oberherr. Reul versprach im Anschluss: „Das muss und wird ein Ende haben.“
Die Proteste in und um Lützerath haben einigen der etwa 200 verbliebenen Bewohner der umliegenden Dörfer anscheinend arg zugesetzt. Die Aktivisten haben sich in zwei Protestcamps in Keyenberg und Kuckum eingerichtet, um von dort den Widerstand gegen RWE und die Braunkohle zu organisieren. Seit ein paar Monaten steht fest, dass die Dörfer gerettet sind.
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Nun ist es zum Bruch gekommen zwischen Anwohnern, die die Aktivisten nach wie vor unterstützen, und jenen, die sie am liebsten so schnell wie möglich loswerden würden. Viele Jahre sei man einen gemeinsamen Weg gegangen, sagt Oberherr. Dafür sei man auch dankbar. Das aber, was jetzt passiere, fühle sich an wie eine feindliche Übernahme.
Nicht mehr nur von Braunkohle sei die Rede, sondern auch von einer kapitalismusfreien Zone
In den vergangenen beiden Jahren habe sich der Ton verändert, sei radikaler geworden. Nicht mehr nur von Braunkohle sei die Rede, sondern auch von einer Art kapitalismusfreien Zone. Doch Oberherr wolle nur gegen die Braunkohle kämpfen und nicht für einen radikalen Systemwechsel. Mit einigen anderen Bewohnern hat Oberherr einen eigenen Verein gegründet, die „Zukunftsdörfer“. Von den Aktivisten fühlt sich die 62-Jährige inzwischen ideologisch bevormundet.
Etwa 70 Prozent der verbliebenen Dorfbewohner hätten einen an die Aktivisten im Protestcamp Keyenberg gerichteten Brief unterschrieben, in dem sie deutlich machen, dass sie nach all den aufzehrenden Jahren des Kampfs nun endlich ihre Ruhe haben wollen. „Wir wehren uns strikt gegen diese Fremdbestimmung“, heißt es in dem Schreiben.
Der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen betrachtet die Entwicklung im Rheinischen Revier mit Sorge. Speziell während der Proteste in und um Lützerath sei es Linksextremisten gelungen, „zivildemokratische Bündnisse für sich zu vereinnahmen“, sagte ein Sprecher des Verfassungsschutzes auf Anfrage vom „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aus dem Schutz einer größeren Menschenmenge heraus seien teils schwere Gewaltstraftaten gegen Polizisten und Sicherheitskräfte begangen worden. So seien etwa im Bündnis „Lützerath unräumbar“ neben zivildemokratischen Klimaschützern auch klar extremistische Gewalttäter zusammengekommen.
„Diese anlassbezogenen Kooperationen sind nicht neu“, schreibt die Behörde. Neu hingegen sei, dass extremistische Narrative von Sprechern aus dem demokratischen Spektrum weitgehend kritiklos übernommen worden seien. Dazu gehöre der Vorwurf ungerechtfertigter Polizeigewalt ebenso wie die Behauptung, dass Gegengewalt gegen die Polizei gerechtfertigt und im Vergleich zur Klimakrise unerheblich sei. Der gemäßigte Widerstand laufe Gefahr, demokratische Grenzlinien zu überschreiten und sich insgesamt zunehmend dem Extremismus anzunähern. Die Verfassungshüter kommen zu dem Schluss: „Solche Tendenzen hin zu einer Normalisierung von Gewalt sind Beispiele für extremistische Entgrenzungsstrategien und eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat.“
Einstige Weggefährten wurden erbitterte Kontrahenten
Irgendwo in diesem immer größer werdenden Bündnisknäuel zwischen Ende Gelände, den Revolutionären von der Interventionistischen Linken und Fridays for Future findet sich auch die Initiative „Alle Dörfer bleiben“ (ADB). Auch sie ist Teil des Bündnisses „Lützerath unräumbar“.
Seit Jahren gilt ADB als Repräsentant des bürgerlichen Widerstands, gegründet und organisiert von Menschen, die in vom Tagebau betroffenen Gemeinden leben. Auch Barbara Oberherr war lange Zeit Mitglied. Im Frühjahr 2021 ist sie ausgetreten und mit ihr dem Vernehmen nach auch viele andere aus den geretteten Dörfern.
Aus den einstigen Weggefährten sind erbitterte Kontrahenten geworden. Denn ADB steht fest an der Seite der Aktivisten. Der Streit spaltet nun die Dorfgemeinschaften. Früher wurde gemeinsam Bier getrunken, heute grüßt man einander nicht einmal mehr, erzählen verbliebene Anwohner.
Die einen sagen, die Aktivisten seien die Lebensversicherung der Dörfer. Die anderen, dass hier eine politische Agenda von Linksaußen durchgedrückt werden soll. Auch das Bündnis ADB sei nicht mehr wiederzuerkennen. Es mangle inzwischen an lokaler Verankerung. Nur wenige Personen aus den fünf Dörfern seien überhaupt noch mit von der Partie, behauptet Oberherr.
Verbindung ins sächsische Groitzsch
Ein Blick ins ADB-Netzwerk zeigt, dass zumindest in der Führungsriege offenbar keine Person aus dem Rheinischen Revier vertreten ist. Im Impressum auf der Internetseite findet sich lediglich ein Verein namens KIB e.V. (Klimakämpfe in Bewegung). Die Adresse führt zu einem Bauschlosser im sächsischen Groitzsch. Der Ort wurde wie auch die fünf Dörfer im Rheinischen Revier von der Braunkohle bedroht.
Inzwischen ist er gerettet. Wer an ADB spenden will, überweist das Geld an den KIB e.V. Der Verein ist umtriebig in Sachen Klimagerechtigkeitskampf. Vergangenes Jahr etwa veranstaltete er das Klimacamp Leipziger Land, 2021 das zehntägige Festival „Kultur ohne Kohle“ am Tagebau Garzweiler II. Wer die Verantwortlichen hinter KIB sind, sei ihm nicht bekannt, sagt der ADB-Sprecher. Über den Verein würden nur die Finanzen abgewickelt, inhaltlich habe er mit ADB nichts zu tun.
Eines der prägenden Gesichter des Bündnisses vor Ort ist David Dresen. Er ist in Kuckum aufgewachsen und musste mit ansehen, wie das Loch, das RWE gleich um die Ecke aufgerissen hatte, immer größer wurde. Dresen wohnt noch immer in Kuckum und seine Verachtung gegen RWE ist inzwischen vermutlich so groß wie das Loch selbst.
Bei der Kundgebung am 14. Januar auf einer Wiese am Tagebaurand polterte er auf der Bühne vor zehntausenden Menschen gegen die Braunkohle und den Konzern, sprach von einer Ohnmachtserfahrung. Zum Abschluss rief er ins Mikrofon: „Geht nach Lützerath rein. Lasst euch nicht aufhalten. Macht alles, was ihr für richtig haltet.“ Genau dort, am Zaun zu Lützerath, den RWE um den umkämpften Ort hatte ziehen lassen, kam es zu teils schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dresen betont auf Anfrage, er habe auf der Bühne auch gesagt, dass ziviler Ungehorsam im Angesicht der eskalierenden Klimakrise und dem anhaltenden Versagen der Regierung legitim sei. „Hinter dieser Aussage stehe ich auch weiterhin.“
Verfassungsschutz schätzt ADB als zivil-demokratisch ein
Wer Dresen persönlich anfragt, bekommt nicht nur Antworten von ihm, sondern auch von der Initiative selbst. Namen werden dabei nicht genannt. Gemeinsam wehrt man sich gegen die Attacken der anderen Dorfbewohner. ADB sei nach der Dörfergemeinschaft „KulturEnergie“ die mitgliederstärkste Organisation in den fünf Orten. Von den etwa 160 Personen, die in den geretteten Dörfern wohnen bleiben wollen, gehörten 13 zum aktiven Teil. Dass es nun Knatsch gibt, liege an zwei Aussteigern.
Diese beiden führten gemeinsam mit der CDU eine „Negativ-Kampagne“ gegen die Aktivisten. Es würde behauptet, die Dorfbewohner hätten Angst. „Das entspricht nicht den Tatsachen“, heißt es. Weder Mittel noch Ziele hätten sich seit der Gründung 2018 geändert: Die Rettung aller durch den Braunkohle-Abbau bedrohten Dörfer, ein selbstbestimmter Strukturwandel in den betroffenen Regionen sowie ein Kohleausstieg in Deutschland, der mit der Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze der Klimaerhitzung kompatibel ist.
Dass ADB eine radikale Agenda betreibt, kann auch der Verfassungsschutz nicht erkennen. Es handle sich nach derzeitiger Bewertung um zivil-demokratische Akteure. „Eine grundsätzliche steuernde extremistische Einflussnahme oder Unterwanderung kann bislang nicht festgestellt werden.“
Wie und ob der Spalt, der die Dorfgemeinschaft entzweit, zu kitten sein wird, bleibt ungewiss. In den Protestcamps in Keyenberg und Kuckum aber bewegt sich etwas. Die Aktivisten haben angefangen, ihre Plätze zurückzubauen. Von den knapp 2000 Demonstranten, die es während der Lützerath-Räumungsphase waren, sind nach Schätzungen eines Aktivisten-Sprechers noch 50 bis 100 verblieben.