AboAbonnieren

Statistik für 2022Zahl der Straftaten an Schulen in NRW steigt sprunghaft an

Lesezeit 5 Minuten
Auf einer Treppe vor dem Berufskolleg Tecklenburger Land wurden Kerzen und Blumen abgelegt. Der verdächtige 17-jährige Schüler, der vergangene Woche eine Lehrerin in Ibbenbüren getötet haben soll, war zuvor «durch sein verbal aggressives Verhalten aufgefallen». Das berichtete Nordrhein-Westfalens Schulministerin Feller (CDU) am Mittwoch im Fachausschuss des Düsseldorfer Landtags. (zu dpa «17-jähriger schon vor Bluttat an Lehrerin als aggressiv aufgefallen») +++ dpa-Bildfunk +++

In Ibbenbüren wurde im Januar 2023 eine Lehrerin von einem Schüler getötet.

Diebstahl, Sachbeschädigung. Körperverletzung, Raub oder sexuelle Belästigung: Das Klima an nordrhein-westfälischen Schulen ist rauer geworden.

Die Polizei hat an den Schulen in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr 24.513 Straftaten registriert. Im Vergleich zum Vor-Coronajahr 2019, in dem die Statistik erstmals so erhoben wurde, ist das ein Anstieg um knapp 19 Prozent*. 2020 war die Zahl der Übergriffe auf 17.355 und 2021 auf 15.982 gesunken, teilte das nordrhein-westfälische Innenministerium auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit.

Wie sich die Übergriffe im vergangenen Jahr aufteilten, verdeutlicht eine am Montag veröffentlichte Antwort des Ministeriums auf Anfrage der AfD-Landtagsfraktion. Demnach gab es 8096 Diebstähle, 6737 sogenannte Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit, zu denen unter anderem Raub, räuberische Erpressung, Körperverletzung sowie Bedrohung gehören. Hinzu kamen 4694 Sachbeschädigungen, 1147 Drogendelikte, 1047 Beleidigungen und 729 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, wovon 21 als Vergewaltigung eingestuft wurden. Insgesamt wurden in diesem Zusammenhang 8299 Tatverdächtige ermittelt und 8355 Opfer registriert.

In der polizeilichen Kriminalstatistik aufgelistet wurden die Vergehen an der „Tatörtlichkeit Schule“, zu denen auch Übergriffe außerhalb der Unterrichtszeit gehören können – etwa am Nachmittag auf dem Schulhof, auch von externen Tätern. Köln war im vergangenen Jahr der traurige Spitzenreiter der Statistik. Im Zuständigkeitsbereich des hiesigen Polizeipräsidiums ist es im vergangenen Jahr den Angaben zufolge zu 1410 Straftaten gekommen, in Düsseldorf waren es nur 490. Ein weiterer Gewaltschwerpunkt lag im Ruhgebiet. In Recklinghausen beispielsweise gab es 1179 Vorfälle, in Dortmund 924, in Essen 883 und in Duisburg 869. Auch in den Kreisen im Großraum Köln ist es zu Zwischenfällen gekommen, in Rhein-Erft zu 587, in Rhein-Sieg zu 444 und in Rhein-Berg zu 397.

Alles zum Thema Corona

8096 Diebstähle, 729 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

„Schulen sind selbstverständlich kein rechtsfreier Raum“, betont Sabine Mistler, Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Philologen-Verbandes. Es gelte zwar, Straftaten „möglichst im Vorfeld zu verhindern“. Wenn dies aber nicht gelinge, müssten die Übergriffe „konsequent aufgeklärt und geahndet“ werden. Dafür indes bedürfe es einer besseren Datenlage, ergänzt die Gymnasiallehrerin. Denn durch die bisherige Statistik sei nicht „zu erkennen“ ob die Übergriffe „auch tatsächlich einen direkten schulischen Bezug“ hatten oder nur am „Ort Schule“ stattgefunden hätten. „Hier benötigen wir eine genaue Analyse, die aufzeigt, welche Delikte und welcher Personenkreis sich hinter der Zahl der gemeldeten Straftaten verbergen“, so Mistler.

Die Landesregierung gehe gemeinsam mit den kommunalen Trägern entschieden gegen Gewalt an Schulen vor, heißt es aus dem Schulministerium. Die Probleme würden auch eng mit dem Innen-, Familien- und Justizministerium erörtert. In einem gerade noch einmal aktualisierten „Notfallordner“ seien den Schulen konkrete Handlungshinweise für die Prävention und akute Straftaten gegeben worden. Parallel dazu seien „Schulpsychologie und Schulsozialarbeit in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut“ worden. In jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt gebe es einen schulpsychologischen Dienst, für den in den vergangenen Jahren 100 Stellen neu geschaffen worden seien. Insgesamt würden landesweit derzeit 464 Psychologinnen und Psychologen in diesen Einrichtungen arbeiten, so das Ministerium.

2800 Sozialarbeiter an NRW-Schulen

Für Sozialarbeit stünden derzeit etwa 2800 Vollzeitstellen „dauerhaft“ zur Verfügung. 1600 würden vom Land finanziert, 1200 von den jeweiligen Trägern. Und darüber hinaus erhielten die NRW-Kommunen jährlich noch 57,7 Millionen Euro vom Land für die „Anstellung von qualifizierten Fachkräften“. Sicherheit sei schließlich „eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass unsere Schülerinnen und Schüler gut lernen und unsere Lehrkräfte guten Unterricht machen können“, betonte Schulministerin Dorothee Feller (CDU): „Die Schulen in Nordrhein-Westfalen müssen sichere Orte sein!“ Erst vor wenigen Wochen habe man sich„ mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis über einen möglichen weiteren Handlungsbedarfausgetauscht“, so Feller: „Wir sehen also auch weiterhin sehr genau hin.“

NRW-Innenminister Herber Reul (CDU) hatte in den vergangenen Tagen insbesondere die Zunahme von Straftaten mit Messern an Schulen thematisiert. Im vergangenen Jahr wurden landesweit 193 Vorfälle registriert. Das war ein Anstieg von 47 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Und es war zugleich der höchste Stand seit 2019, als 182 Vorfälle an den Schulen aktenkundig wurden. Danach ging die Zahl, vermutlich mindestens zum Teil bedingt durch die Corona-Pandemie, deutlich zurück: Im Jahr 2020 wurden 103 Fälle festgehalten, im Jahr 2021 waren es dann 131 Fälle.

„Was ein Messer im Schulranzen zu suchen hat, ist mir ein Rätsel“, kommentierte Reul die Entwicklung. „Stichwaffen und Messer müssen in jeder Hand, auch in der jüngsten Hand, ein Fremdkörper bleiben. Messer sind kein Spielzeug!“ Insgesamt aber ist die Zahl der Messer-Angriffe in NRW in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Von 2019 bis 2022 beispielsweise um 27 Prozent auf zuletzt 4200 Fälle im gesamten Bundesland. In 149 dieser Fälle sei es um Mord und Totschlag gegangen, 26 Menschen seien dabei gestorben, teilte das Innenministerium mit. Bei etwa 550 Fällen habe es sich um gefährliche und schwere Körperverletzung auf öffentlichen Straßen und Plätzen gehandelt.

„Was ein Messer im Schulranzen zu suchen hat, ist mir ein Rätsel“

Dies ängstige verständlicherweise besonders ältere Menschen, obwohl sie tatsächlich nur einen sehr geringen Prozentsatz der Opfer stellten, sagte Reul. 22 Prozent der fast 4000 Tatverdächtigen seien Kinder und Jugendliche gewesen. Die Quote zeige, dass mehr Präventionsangebote in der Schule allein auch keine Lösung seien. Die Hintergründe solcher Messer-Angriffe seien äußerst unterschiedlich. Daher müsse die Debatte über Lösungen differenziert geführt werden, mahnte der Innenminister. (mit dpa)

*Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass die Steigerung der Straftaten von 2019 bis 2022 22 Prozent betrug. Diese Angabe war nicht korrekt, wir haben sie korrigiert. Richtig ist eine Steigerung um knapp 19 Prozent.


„Wie war’s in der Schule?“ Abonnieren Sie hier unseren Newsletter für Familien und Lehrende in der Kölner Region – immer mittwochs.