Für die Terrormiliz IS wird auch in Deutschland Geld gesammelt. 250 Polizisten haben in NRW Einrichtungen und Häuser durchsucht, es gab vier Haftbefehle. Wie die IS-Geldgeber vorgehen.
Operation „Donum“Razzia gegen IS-Terrorfinanzierer - Geld kommt auch aus NRW
Die Spezialeinsatzkräfte sprengten am frühen Mittwochmorgen gegen sechs Uhr die Tür bei Harun Y. und seiner Frau Anna in Overath auf. Umgehend wurde das deutsche Ehepaar festgesetzt. Während man die Tatverdächtigen nach Karlsruhe zum Haftrichter des Bundesgerichtshofes brachte, übergaben Jugendamtsmitarbeiter ihre drei Kinder in die Obhut von Pflegefamilien.
Zur selben Zeit wurde das Ehepaar Alperen K. und seine türkische Frau Cagla laut Bundesanwaltschaft in Übach-Palenberg (Kreis Heinsberg) festgenommen. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Sicherheitskreisen erfuhr, stehen alle vier Tatverdächtigen auf der NRW-Liste islamistischer Gefährder. Cagla K. wurde wieder auf freien Fuß gesetzt, der Haftbefehl bleibe aber aufrechterhalten, hieß es.
Großrazzia in zwölf Bundesländern
Die Festnahmen waren Teil einer Groß-Razzia in zwölf Bundesländern. Etwa 1000 Polizeibeamten schwärmten in den Morgenstunden aus. Ein Viertel von ihnen durchsuchte allein in NRW 24 Objekte in 14 Städten. Im Kern geht es um die Unterstützung der Terror-Organisation „Islamischer Staat“ (IS). Laut Bundesanwaltschaft sollen die Eheleute neben drei weiteren Hauptakteuren eine maßgebliche Rolle in einem internationalen IS-Finanzierungsnetzwerk gespielt haben.
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Das Vorgehen dabei scheint simpel: Zwei IS-Drahtzieherinnen in Syrien sollen etwa über das Ehepaar Y. aus Overath Spendenkampagnen via Telegram-Kanäle zugunsten inhaftierter IS-Kämpfern oder ihrer Frauen initiiert haben. Entweder sollen Befreiungsaktionen oder das pure Überleben in kurdischen Internierungscamps in Nordsyrien finanziert worden sein.
Der IS ruft seit Jahren zu Befreiungsaktionen auf
Bereits seit Herbst 2019 ruft der IS zu Befreiungsaktionen inhaftierter Kämpfer auf. Im Januar 2020 teilte ein Sprecher über die IS-eigene Medienstelle al-Furqan mit, dass „die Brüder“ geduldig sein sollten, man würde sich darum kümmern, sie zu befreien.
In den kurdischen Gefangencamps wie Al-Hol oder Roj leben immer noch jeweils mehr als 40.000 Gefangene. Internierte IS-Anhängerinnen und -Anhänger, meist Frauen und Kinder, sind in abgeschotteten Bereichen untergebracht. Hier haben nach wie vor die eingefleischten Dschihad-Anhänger das Sagen. Offiziell heißt es, niemand käme in die Camps rein oder könne sie verlassen. Tatsächlich aber werden Geld, Waffen und Lebensmittel geschmuggelt, Menschen heausgeschleust.
Innenminister Reul: „Wir drehen der Terrormiliz den Geldhahn ab.“
Die große Razzia in NRW lenkte nun federführend der Kölner Staatsschutz – unter dem Namen Donum (Geschenk). Die Operation teilt sich in zwei Komplexe. Während die Bundesanwaltschaft gegen die mutmaßlichen Schlüsselfiguren ermittelt, verfolgen die jeweiligen Generalstaatsanwaltschaften die Spenden an die Terror-Kanäle. NRW-Innenminister Herbert Reul betonte, dass die Sicherheitsbehörden die Finanzbeschaffungsaktionen des IS im Auge hätten. „Wir drehen der Terrormiliz den Geldhahn ab.“
In dem Zusammenhang wies der CDU-Politiker zwar auf einen Rückgang bei den gewaltbereiten Islamisten im Lande um 180 auf 600 Personen hin. „Wie die heutigen Durchsuchungen und Festnahmen zeigen, gibt dieser zahlenmäßige Rückgang aber keinen Anlass zur Entwarnung“, so Reul.
So funktioniert das IS-Spendennetzwerk in Deutschland
Wie das deutsche IS-Spendennetzwerk funktioniert, offenbarte jüngst ein Staatschutz-Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart gegen zwei führende Terrorfinanziers, die insbesondere IS-Anhänger aus NRW in kurdischen Lagern unterstützten. Das Verfahren endete im Februar 2023 mit mehrjährigen Haftstrafen.
Der Iraker Aymen A.-J., 31, hatte im Namen des IS hierzulande große Spendenaktionen für inhaftierte Anhänger initiiert und die illegalen Geldtransfers in das syrische Krisengebiet abgewickelt. Seine Instruktionen erhielt er von einem Befehlshaber der Terror-Miliz namens Abu Omar. Zwischen 2020 und 2022 organisierte Aymen A.-J. in Deutschland über Mittelsmänner in der Türkei und Syrien neue Geldtransfers. Mitunter baten auch Angehörige von IS-Kämpfern den Spendensammler via Chatnachrichten um Hilfe, um ihre Leute aus den Camps herauszuholen. Aymen A.-J. antwortete: Die Befreiung von Gefangenen sei „die Pflicht eines jeden Muslimen“. Das Geld floss entweder über das altorientalische Finanztransfersystem Hawala-Banking oder per PayPal-Dienst „Moneypool“.
Menschen aus den Lagern zu schleusen ist teuer
Besonders hoch fielen die Tarife für Schleusungen aus den Lagern aus. Mal ging es um 8000, mal um 10.000 Euro. Teurer wurde es, wenn man den direkten Weg zur türkischen Grenze nehmen wollte. Auch mussten die Terrorfinanziers mitunter viel Geld abschreiben, denn die Schleuser waren nicht immer zuverlässig.
Das zeigt ein missglückter Befreiungsversuch eines IS-Kämpfers aus Oberhausen. Die deutsche IS-Spendenconnection warb für ihn im Sommer 2020 Gelder ein; der gebürtige Libanese saß in einem Gefängnis in Beirut. Ein Kontaktmann hatte versichert, ihn gegen einen vierstelligen Dollar-Betrag herauszuholen. Daraufhin wurden 1550 US-Dollar über zwei Finanzbüros übermittelt. Die Befreiungsaktion scheiterte. Bis heute ist unklar, wo das Geld geblieben ist. Der Inhaftierte kam allerdings später frei und lebt nun bei seiner Mutter in Beirut. Nach Deutschland wird er wohl nicht wieder zurückkehren. Erwartet den mit Haftbefehl gesuchten islamistischen Gefährder hierzulande ein Terrorverfahren.
Genauso wie seine Frau. Die Deutsch-Bosnierin aus Oberhausen galt in NRW-Sicherheitskreisen als höchst gefährliche Fanatikerin. Fünf Jahre nachdem die Islamistin mit ihren drei Töchtern zum IS ausgereist war, um im selbst ernannten Kalifat ihr Heil zu suchen, wurde sie durch kurdische Freischärler gefangen genommen und im Camp Al-Hol festgesetzt. Ein sogenanntes „Schwesternnetzwerk“ versuchte, mithilfe deutscher Geldgeber die dreifache Mutter und ihre Kinder durch einen Schleuser in Sicherheit zu bringen. 17.000 US-Dollar standen zur Verfügung. Der Versuch scheiterte aber, da die Frau noch davor in ein anderes Lager gebracht worden war.
Geld geschickt für „inhaftierte Schwestern“
Hinter dem Schwesternetzwerk stand eine Deutsch-Polin aus Hilchenbach im Kreis Siegen-Wittgenstein. Monika K. zunächst selbst interniert, gelang die Flucht aus Al-Hol. Statt aus der Krisenregion auszureisen, schloss sie sich erneut dem IS in der Rückzugsbastion Idlib an. Von dort aus betrieb die Islamistin das Spendennetzwerk „Sisters for justice“ in Deutschland. Mit ihrem Mann schmuggelte sie die Gelder an „inhaftierte Schwestern“.
Im September 2020 geriet Monika K. in die Hände türkischer Streitkräfte. Zwei Jahre später wurde sie mit neun anderen IS-Anhängerinnen den deutschen Behörden überstellt. Mitte Februar 2023 verurteilte der OLG-Senat in Düsseldorf die Angeklagte nach ihrem umfassenden Geständnis zu dreieinhalb Jahren Haftstrafe.