Bei dem Messerangriff könnte es sich um Rache handeln. Der Verteidiger des Jungen will, dass er aus der Haft entlassen wird.
Amokalarm an Wuppertaler SchuleYilmaz B. wurde verspottet, dann stach der 17-Jährige zu
Der Schlag erfolgte von hinten. Getroffen am rechten Ohr, drehte sich der Oberstufenschüler des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums in Wuppertal-Elberfeld am Morgen des 22. Februar überrascht um. Im Aufenthaltsraum der Oberstufe erkannte das Opfer den 17-jährigen Yilmaz B. aus der elften Klasse mit einem kurzen Klappmesser in der Hand. Drei weitere Freunde soll der Jugendliche mit der Waffe ebenfalls angegriffen haben.
Yilmaz B. stach sich selbst in die Brust
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, soll es sich um einen Racheakt gehandelt haben, weil der Tatverdächtige eine Einladung zu einem Döner-Essen mit der Begründung abgelehnt hatte, dass seine Großmutter für ihn kochen würde. Als seine Mitschüler den Deutsch-Türken verspotteten, zückte er plötzlich sein Messer. Anschließend stach Yilmaz B. sich wiederholt in die Brust.
Bei Yilmaz B. fand sich ein Brief. Demnach sei es seine Pflicht zu morden, hieß es dort. Außer seiner Familie hasse er alle anderen Menschen.
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Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben
Die Staatsanwaltschaft erwirkte einen Haftbefehl wegen zweifachen versuchten Mordes und zweifacher gefährlicher Körperverletzung. Nach Informationen dieser Zeitung hat Staatsanwalt Patrick Penders am Mittwoch Anklage gegen den Jugendlichen erhoben.
Yilmaz B. ist von seinen schweren Verletzungen wieder genesen und sitzt in Untersuchungshaft. Seine Opfer kamen mit eher leichten Blessuren davon.
Die Düsseldorfer Rechtsmedizin ging von Stichverletzungen und Schnittwunden aus, die den Tatverdacht gegen Yilmaz B. erhärten sollten. „Aber weder die Rechtsmedizin noch die Staatsanwaltschaft kamen auf die Idee, das Messer näher zu untersuchen“, moniert Mustafa Kaplan, Verteidiger des Schülers. Der Rechtsanwalt strengte ein Gegengutachten durch den bekannten Chef der Kölner Rechtsmedizin, Professor Markus Rothschild, an. Der Kölner Rechtsmediziner nährt in seiner Expertise Zweifel an der Ermittlungsversion der Staatsanwaltschaft: „Bei dem Tatmesser fehlen die Griffschalen, wodurch die Kanten des Stahlgriffs deutlich schärfer werden“, erläuterte Anwalt Kaplan den Befund.
Der Haftgrund könnte entfallen
Rothschild halte es für möglich, „dass die Verletzungen bei den Schülern auch mit den scharfen Kanten des Messergriffs erfolgt sein können“. Sollte es sich demnach nicht um einen versuchten Mord, sondern um gefährliche Körperverletzung handeln, entfiele bei einem bisher unbescholtenen Jugendlichen der Haftgrund.
Der Wuppertaler Staatsanwalt Penders wollte den Gymnasiasten zudem wegen mutmaßlicher seelischer Störungen psychiatrisch untersuchen lassen, um ihn in einer geschlossenen Abteilung einer Klinik unterbringen zu lassen. Verteidiger Kaplan untersagte die Exploration. Vielmehr beauftragte der Kölner Anwalt die psychiatrische Forensikerin Anette Korte mit einem Gutachten zur Seelenlage des Jugendlichen sowie seiner Biografie. Laut Kaplan ist das Ergebnis eindeutig ausgefallen. „Von meinem Mandanten geht keine Gefahr aus. Es ist völlig ausreichend, dass er eine ambulante Psychotherapie macht.“
Verhält es sich aber wirklich so einfach? Schließlich handelt es sich um ein Parteigutachten. Ein Blick in die Vita des Beschuldigten liefert Antworten. Yilmaz B. stammt aus gutem Hause. Sein Vater arbeitet sehr erfolgreich als Immobilienmakler, seine Mutter kümmert sich um den Vertrieb von Autogardinen. Die Großeltern väterlicherseits sowie eine Tante leben ebenfalls in dem elterlichen Haus.
Er geht nie aus, trinkt keinen Alkohol, nimmt keine Drogen
Der jüngste Sohn der Familie entwickelt einen ungeheuren Ehrgeiz auf dem Gymnasium. Außer im Sport erhält B. nur Einsernoten, avanciert zum Jahrgangsbesten. Zu Hause und in der Schule gilt er als freundlich und hilfsbereit. Auch, wenn er eher den Außenseiter gibt. Yilmaz B. hat zwar Freunde, aber geht nie aus, trinkt keinen Alkohol oder nimmt Drogen.
Im Jahr 2019 erfolgt ein traumatisches Erlebnis. Sein Großonkel wird durch eine Bande von jugendlichen Intensivtätern ins Koma geprügelt. Der Großonkel ist nach dem Überfall ein Schatten seiner selbst, sitzt im Rollstuhl und dämmert nur noch vor sich hin, 2023 stirbt er. Die Trauer in der Familie lässt den Schüler nicht los.
Wenn Yilmaz B. nach Hause kommt, schaut er in seinem Zimmer nach, ob sich da ein Angreifer versteckt. Weil er sich körperlich unterlegen fühlt, schafft sich der Jugendliche ein Klappmesser an.
Mitschüler schildern Wesensveränderungen
Mitschüler schildern in ihren Vernehmungen Wesensveränderungen bei Yilmaz B. Insbesondere das Werk „Woyzeck“ von Georg Büchner, das im Deutschunterricht thematisiert wurde, fesselt ihn. Das Buch handelt vom Soldat Franz Woyzeck, der die Mutter seines Kindes ersticht. Mitschülern gegenüber soll Yilmaz B. gesagt haben, Woyzeck habe alles richtig gemacht. Mitunter fabuliert der Jugendliche über einen Amoklauf oder eine Revolution. Verteidiger Kaplan wertet diese Sätze als „pubertär-provokatives Geschwafel“.
Als ein Freund ihn und seine Großmutter im Oberstufenraum verhöhnt, weil er das Döner-Essen absagt, brennt ihm offenbar die Sicherung durch.
Strafverteidiger Kaplan will in den nächsten Tagen Haftbeschwerde einlegen, um seinen Mandanten vorläufig freizubekommen.