Der entscheidende Tipp kam vom niederländischen Geheimdienst. Anschlagsziele wurden schon ins Auge genommen.
Gruppe wollte Anschläge begehenTerrorverdächtige in NRW gaben sich als Studenten aus der Ukraine aus
Der Tipp kam vom niederländischen Geheimdienst „General Intelligence and Security Service“. Spätestens im Herbst 2022 informierte die Terrorabwehr aus dem Nachbarland das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über eine islamistische Terrorzelle, die von Nordrhein-Westfalen aus operierte. Ein V-Mann aus der holländischen Islamistenszene hatte sich offenbart. Die Gruppe aus Zentralasien stand in engem Kontakt zu einem Mitglied der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) in Eindhoven. Der 31-jährige Tadschike wollte mit der NRW-Zelle nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zeitgleich etliche Anschläge begehen. Den Auftrag erhielten die militanten Islamisten vom afghanischen IS-Ableger „Provinz Khorasan“ (ISPK). Zudem stellten die Ermittler Zahlungen an die Terror-Garden fest.
Tatverdächtige zwischen 20 und 46 Jahre alt
Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt übernahmen den Fall. Auch die Staatsschützer des NRW-Landeskriminalamts waren eingeschaltet. Am Donnerstagmorgen schlugen holländische und deutsche Spezialkräfte in einer großangelegten Razzia zu und nahmen die Tatverdächtigen im Alter zwischen 20 und 46 Jahren fest. Allein in NRW wurden 15 Objekte in Bielefeld, Bornheim, Düsseldorf, Gladbeck, Gelsenkirchen, Kamen, Lippstadt, Witten und Warendorf durchsucht. Auch durchstöberten die Strafverfolger bei Kontaktleuten in Soest deren Räume.
Monatelang hatten die Sicherheitsbehörden die kaukasische Terror-Gruppe überwacht. Die Männer waren kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine mit falschen Papieren im Frühjahr 2022 als Flüchtlinge nach Deutschland eingereist. Demnach gaben sich einige von ihnen mithilfe fingierter Bescheinigungen als Studenten der Universität in Kiew aus. Die Islamisten verteilten sich auf verschiedene Wohnorte an Rhein und Ruhr.
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Der mutmaßliche Kopf trat höchst unauffällig auf
Der mutmaßliche Kopf der Zelle, ein tadschikischer Staatsbürger, spann offenbar über ein Asylbewerberheim in Warendorf seine Fäden. In der Öffentlichkeit trat er höchst unauffällig auf, trug westliche Kleidung. Die Ermittler beobachteten häufige Reisen zu dem Anführer durch seine Mitstreiter. Laut Bundesanwaltschaft hatte die Truppe Anschlagsobjekte in Deutschland ins Auge gefasst. Auch seien „mögliche Tatorte“ ausgekundschaftet worden, hieß es. Wie zu erfahren war, stellten Observationseinheiten fest, dass die Islamisten in Berlin, Dresden und Hamburg entsprechende Fotoaufnahmen machten. Offenbar kundschaftete die Zelle in den Metropolen mögliche Angriffsziele aus. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft wollte dies auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren. Zugleich machte sie klar, dass die Beschuldigten noch keinen konkreten Anschlagsplan verfolgten.
Allerdings versuchten sich die IS-Anhänger Waffen zu beschaffen. Zudem stand man mit den Hintermännern der ISPK in engem Kontakt. Auch interessierten sich die Dschihadisten in Baumärkten etwa für Gartendünger. Die meisten Mittel enthalten Ammoniumnitrat, ein hochexplosiver und giftiger Stoff. Bei den Terroranschlägen in Oklahoma City 1995 und in Oslo 2011 explodierten Autobomben, die Attentäter mithilfe der Substanz hergestellt hatten.
Die Gruppierung ging höchst konspirativ vor. Immer wieder fuhren Mitglieder über Polen in die Ukraine und zurück. Die Staatsschützer konnten sich keinen Reim auf diese auffällige Reisetätigkeit machen.
Das Verfahren drohte zu platzen
Vor einigen Monaten drohte das ganze Verfahren zu platzen. Offenbar hatte einer der Islamisten Verdacht geschöpft: „Wir sind enttarnt, wir werden beobachtet“, warnte der Mann seine „Brüder“ in einem abgehörten Telefonat. Dann aber entspannte sich die Lage wieder. Die Terror-Zelle machte weiter. Allerdings unter noch weitaus größeren Vorkehrungen der Geheimhaltung. Am Ende, so bekannte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, habe man in einem frühen Ermittlungsstadium zugegriffen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wertete die Festnahmen als „bedeutenden Schlag gegen den islamistischen Terrorismus“. Man setze die harte Gangart gegen Islamisten fort, betonte die SPD-Politikerin. Die Bedrohung bleibe akut. „Deutschland steht weiterhin im unmittelbaren Zielspektrum islamistischer Terrororganisationen und von islamistisch motivierten Einzeltätern“, so Faeser.
NRW-Amtskollege Herbert Reul berichtete, dass die Beschuldigten nach und nach allesamt als islamistische Gefährder oder in die zweithöchste Stufe der relevanten Personen eingeordnet wurden. Daran sehe man leider: „Unter der enorm großen Zahl an Schutzsuchenden, die vor Krieg fliehen und bei uns Obhut suchen, sind schwarze Schafe dabei.“
4070 Islamisten in NRW registriert
Laut dem CDU-Politiker registrierten die Landesverfassungsschützer im vergangenen Jahr 4070 Islamisten in NRW – im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um fast zwölf Prozent. Die Zahl der gewaltbereiten Extremisten auf diesem Feld sank von 780 auf 600 Personen. „Wie die heutigen Durchsuchungen und Festnahmen zeigen, gibt dieser zahlenmäßige Rückgang aber keinen Anlass zur Entwarnung“, resümierte Reul. Schließlich stagniere die Rate der zu Anschlägen bereiten Gefährder seit Jahren auf einem hohen Niveau von nahezu 200 Personen. „Islamistische Gefährder sind im Geheimen unterwegs. Das macht sie unberechenbar und gefährlich“, mahnte der NRW-Innenminister.
Gerade in NRW und in Hamburg ereigneten sich in jüngster Zeit spektakuläre Festnahmen. Im März wurde ein 28-jähriger Syrer in der Hansestadt nebst seinem vier Jahr jüngeren Bruder im bayerischen Kempten verhaftet. Die Männer, die 2015 als Flüchtlinge eingereist waren, hatten sich bereits via Ebay Utensilien zum Bau eines Sprengstoffgürtels besorgt, um „möglichst viele Ungläubige mit in den Tod zu reißen“.
Am 21. Juni klagte die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf einen 26-jährigen Iraner aus Castrop-Rauxel an, weil er offenbar mit hochgiftigen Rizin- und Zyanid-Bomben im Namen des IS hierzulande ein tödliches Fanal setzen wollte. Nach blutigen Messerattacken wanderte ein syrischer Islamist in Duisburg in Haft. Laut Bundesanwaltschaft soll er einen Mann ermordet und vier weitere Opfer in einem Fitnessstudio teils lebensgefährlich verletzt haben.