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Windkraft vorerst auf EisSchwarz-Grün blockiert 1500 Windräder in NRW

Lesezeit 5 Minuten
Ein Konvoi von Transportern mit Windradflügeln steckt am 10.07.2014 auf der Straße von Wöllstein nach Neu-Bamberg (beides Rheinland-Pfalz) fest. Der erste von sechs Großtransportern mit Windradflügeln ist in einer Kurve in Rheinhessen steckengeblieben. So war die Kolonne vor dem Ort Neu-Bamberg unfreiwillig zu einer Pause gezwungen worden. Foto: Fredrik von Erichsen/dpa ++ +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Konvoi von Transportern mit Windradflügeln fährt über eine Bundesstraße. In NRW könnte der Ausbau der Anlagen ins Stocken geraten.

Solange die Flächen nicht feststehen, in denen künftig Windräder gebaut werden können, sollen in NRW keine neuen Anlagen mehr entstehen. Die Pläne werden aber frühestens Ende 2025 fertig sein.

Es ist gerade drei Wochen her, da wurde beim Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) in Essen gejubelt: „Was vor Jahren noch undenkbar schien, ist heute Fakt. NRW ist das Windenergie-Land Nummer eins in Deutschland.“ 154 neue Windräder gingen 2024 ans Netz. Das bedeutet einen Nettozuwachs an Ökostromleistung von 626 Megawatt.

Doch jetzt setzt Katerstimmung ein. Warum? Weil die Genehmigungen für den Bau weiterer 1500 Anlagen, von denen 500 schon fix sind und 1000 die Stufe eines positiven Bauvorbescheids erreicht haben, nicht das Papier wert sein könnten, auf dem sie ausgestellt wurden. Sollte dieser Fall eintreten, wäre das auch ein wirtschaftliches Desaster. Das durchschnittliche Investitionsvolumen für eine Anlage beträgt laut LEE zehn Millionen Euro. „Wir reden also über 1,5 Milliarden Euro, die in NRW investiert werden sollen“, sagt LEE-Sprecher Ralf Köpke. „Die Unternehmen haben schon in die Planungen viel Geld gesteckt. Das könnte jetzt alles für den Papierkorb sein.“

Und das bei einer schwarz-grünen Landesregierung. Wie kann das sein? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie ist die Ausgangslage?

Wo neue Windräder gebaut werden dürfen, wird in NRW derzeit neu geregelt. Um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen, müssen 1,8 Prozent der Landesfläche bis Ende 2032 für den Ausbau zur Verfügung gestellt werden. NRW will schneller sein und das Ziel schon Ende 2027 erreichen.

Das ist doch prima. Wo liegt also das Problem?

Im Detail. Die Landesregierung hat vor Ostern 2024 einen Landesentwicklungsplan beschlossen. Darin ist festgelegt, wie sich die Gesamtfläche von 1,8 Prozent auf die sechs Regionen (Köln, Düsseldorf, Münster, Arnsberg, Detmold, Ruhrgebiet) verteilt. Die fünf Bezirksregierungen und der Regionalverband Ruhrgebiet müssen jetzt Regionalpläne aufstellen, in denen sie ihre Gebiete für neue Windräder festlegen. Diese Pläne werden jedoch frühestens Ende 2025 fertig sein. Außerhalb dieser Gebiete können Windräder dann nur noch gebaut werden, wenn die Kommunen das ausdrücklich unterstützen.

Und was ist mit den 1500 Anlagen, für die es schon Genehmigungen oder Bauvorbescheide gibt?

Die schwarz-grüne Landesregierung will alle Vorbescheide und Genehmigungen so lange blockieren, bis die Regionalpläne stehen. Auf ihre Initiative hin soll der Bundestag in dieser Woche das Bundesimmissionsschutzgesetz ändern, damit dies möglich wird. Damit lägen zumindest die 1000 Bauvorbescheide auf Eis. Für die 500 bereits genehmigten Anlagen will die Landesregierung eine eigene gesetzliche Grundlage schaffen, um auch deren Bau in der Übergangszeit bis zum Inkrafttreten der Regionalpläne zu verhindern.

Warum macht die Landesregierung das?

Weil sie verhindern will, dass jetzt noch mit dem Bau von Windrädern begonnen wird, die alle außerhalb der künftig Windradzonen in den sechs Regionen stehen werden.

Woher weiß man das? Die Pläne sind doch gar nicht fertig.

Das stimmt, aber die Planungen sind schon so weit fortgeschritten, dass man ziemlich genau erkennen kann, wo diese Gebiete liegen werden. Laut NRW-Wirtschaftsministerium lagen Ende November 2024 Anträge zu 855 Windrädern vor, die außerhalb dieser Zonen liegen. Damit wollten sich die Unternehmen auf den letzten Drücker noch Flächen sichern, auf denen sie später nicht mehr bauen dürften, wenn die Kommune etwas dagegen hat.

Das ist aber ganz schön gewieft, oder?

Laut LEE NRW haben viele Genehmigungsbehörden den Antragsstellern genau dieses Vorgehen empfohlen, um den Ausbau möglichst schnell voranzutreiben. „1000 Windenergieanlagen könnten in etwa den Stromverbrauch von vier Millionen Haushalten decken. Außerdem verbessert der preiswerte Windstrom die Wettbewerbsfähigkeit des Gewerbe- und Industriestandortes NRW, sagt Hans-Josef Vogel, Vorsitzender des LEE NRW. Dass die Landesregierung alle Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen vorerst stoppen wolle, sei „ein fatales Signal“. Natürlich müsse es eine kommunale und regionale Steuerung geben. Das gehe aber nicht mit pauschalen Ablehnungen. „Mit dem Kopf durch die Wand kommt man hier nicht weiter.“

Was sagt die Landesregierung?

Alle bisherigen Versuche, den Ausbau über das Landesrecht auf bestimmte Flächen zu steuern, seien gerichtlich gestoppt worden, heißt es in einer Stellungnahme. „Die Landesregierung hatte unmittelbar danach den Bund darum gebeten, über Bundesrecht eine solche Steuerung herzustellen. Es ist eine gute Nachricht, dass im Bund das Verständnis für die Situation in Nordrhein-Westfalen gereift ist und sich über die Fraktionsgrenzen hinweg eine Einigung über die Steuerung von beschleunigten Vorbescheiden abzeichnet.“ Der Bund könne sich aber nur mit den 1000 Windrädern befassen, für die es bisher nur Vorbescheide gibt. Für die anderen 500 Anlagen hat das Land eine neue Regelung gefunden, die mit den Stimmen von CDU und Grünen am Mittwoch im Landtag verabschiedet werden sollte.

Die Naturschutzverbände müssten die Regelung begrüßen. Sie sehen den Wildwuchs bei den Windrädern doch kritisch.

Ja. Der Bund für Umwelt und Naturschutz ist der Überzeugung, dass 1,8 Prozent der Landesfläche ausreichend Platz für neue Windanlagen bieten. „Das fordern wir schon seit mehr als zehn Jahren“, sagt NRW-Vorsitzender Holger Sticht. Die Ausweisung von speziellen Windenergie-Gebieten sei „das richtige Mittel, damit die Ausbauziele erreicht und Naturschutzbelange berücksichtigt werden.“ Man müsse verhindern, „dass Investoren und Eigentümer aktuell die Rechtslücke nutzen, um vor Rechtskraft der Regionalpläne noch Bauanträge auf den Weg zu bringen.“

Die Landesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, bis zum Ende der Wahlperiode Mitte 2027 mindestens 1000 neue Windenergie-Anlagen in Betrieb zu nehmen. Das sind rein rechnerisch 200 Windräder pro Jahr.