Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in Marl Fragen von Lesern des „Kölner Stadt-Anzeiger“ beantwortet. Eine Auswahl.
Olaf Scholz im Leserforum„Ich bewerbe mich um das Kanzleramt – und um sonst nichts“
![04.02.2025, Marl: Interview mit Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem Bürgerforum in Marl.
Foto: Michael Bause](https://static.ksta.de/__images/2025/02/17/7ccffed9-fd76-4fa6-a639-25f8af6358b7.jpeg?q=75&q=70&rect=0,0,4000,2250&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=0bf957aed7419988f231dbb554b3719e)
Olaf Scholz nach einem Bürgerforum in Marl. Foto: Michael Bause
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Was tun Sie, um illegale Einwanderung zu stoppen? (Hermann Bloch, Brühl)
Als Bundesregierung haben wir uns intensiv um die Frage Migration gekümmert und, wie gesagt, weitreichende Beschlüsse gefasst. Wir sind damit an die Grenze dessen gegangen, was europarechtlich möglich ist. Es gibt nun Kontrollen an allen unseren Außengrenzen. Um Abschiebungen zu erleichtern, haben wir die Möglichkeit geschaffen, den Ausreisegewahrsam für 28 Tage zu nutzen. Wir haben den Behörden mehr Befugnisse erteilt, sie sind dran die Ausländerämter zu digitalisieren und die Asylverfahren zu beschleunigen – denn in manchen Ländern dauert das Gerichtsverfahren vier, in anderen 20 Monate. All das trägt jetzt Früchte: Die Zahl der Asylgesuche ist deutlich zurückgegangen. Im Januar dieses Jahres hatten wir den zweitniedrigsten Wert der letzten zehn Jahre. Im Vergleich zum Vorjahr haben wir Rückführungen um 20 Prozent erhöht, wenn man noch ein Jahr weiter zurückblickt, ist es ein Plus von 70 Prozent.
Wir sind nicht am Ende der Straße, wir sind aber auf die richtige Straße abgebogen. Irreguläre Migration bleibt eine europäische Herausforderung. Nationale Alleingänge werden uns nicht weiterhelfen. Deswegen war es so wichtig, dass wir im vergangenen Sommer endlich eine europäische Lösung erzwungen haben. Nun wird das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) geschaffen, das den Schutz der EU-Außengrenzen erhöht, Asylverfahren direkt an der Grenze ermöglicht, die Registrierung aller Flüchtlinge vorschreibt und eine solidarische Verteilung innerhalb der EU. Für uns war wichtig durchzusetzen, dass wer das Asylverfahren in einem anderen europäischen Land zu betreiben hat, einfacher dahin zurückgeschickt werden kann. Die Gesetze liegen beschlussreif im Bundestag. CDU/CSU haben das bislang blockiert.
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2024 sind nur 18.400 abgelehnte Asylbewerber zurückgeführt worden, während mehr als 220.000 ausreisepflichtig waren. Die Polizei schafft es, jemanden festzunehmen, ins Polizeiauto zu setzen und zur Wache zu fahren. Wieso ist es bei Abschiebungen möglich, dass es ausreicht, sich zu wehren, um dies zu verhindern? (Vera Carlsen, Lohmar)
![Auf dem Foto ist Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler und Spitzenkandidat der SPD, zu sehen, wie er auf einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei spricht.](https://static.ksta.de/__images/2025/02/17/ee312168-12eb-4117-ab06-3ca57da704eb.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=d4e62eca4f3c8cef422fa7c29d3246ff)
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler und Spitzenkandidat der SPD, spricht auf einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei.
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Das reicht nicht. Es kommt vor, dass Fluggesellschaften sich weigern, solche Personen zu transportieren. Dann müssen wir eigene Charterflüge buchen.
Im letzten Jahr hatten wir einen deutlichen Zuwachs bei Rückführungen gegenüber 2023 und 2022, aber da müssen die Länder noch besser werden. Die nötigen gesetzlichen Befugnisse haben wir erweitert, damit die Länderpolizei Ausreisepflichtige zum Beispiel bis zu 28 Tage in Abschiebegewahrsam nehmen können. Und als Bund sprechen wir mit vielen Herkunftsstaaten, um behördliche Hürden bei Rückführungen zu verringern. Dass Abschiebungen nicht nur an bestimmten Wochentagen und bestimmten Flughäfen stattfinden können. Und wir verhandeln mit vielen Staaten Migrationsabkommen. Damit es legale Wege gibt zur Einwanderung von Arbeitskräften, die wir dringend brauchen. Und gleichzeitig ist sichergestellt, dass die Staaten diejenigen Bürger zurücknehmen, die nicht bei uns bleiben können. Außerdem habe ich durchgesetzt, dass gefährliche Straftäter sogar in jene Staaten abgeschoben werden, in denen wir keine Vertretung haben – jüngstes Beispiel ist Afghanistan.
Eine klare Mehrheit der Deutschen wünscht sich eine Verschärfung der Asylpolitik und gibt damit den Forderungen von Friedrich Merz recht. Warum haben Sie sich mit der Union nicht verständigt? (Redaktion)
![Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), kommt zum "Quadrell" der TV Runde im Bundestagswahlkampf. Bundeskanzler Scholz (SPD), Unionsfraktionschef Merz (CDU), AfD Kanzlerkandidatin Weidel und Grünen-Kanzlerkandidat Habeck stellen sich der Diskussion bei den Fernsehsendern RTL und NTV.](https://static.ksta.de/__images/2025/02/17/e4d8f718-ae68-40c5-896e-539da248b2a5.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=4db8f6b6d03f40ed678e64e3df425009)
Auch im Fernsehen stellt sich Scholz den Fragen, hier auf dem Weg zum 'Quadrell' am 16.02.2025.
Copyright: Foto: Michael Kappeler/dpa
Unter meiner Führung hat die Bundesregierung weitreichende Beschlüsse gefasst, um die irreguläre Migration zu begrenzen. Wir haben Grenzkontrollen eingeführt, Rückführungen erleichtert und Verfahren beschleunigt: Mit Erfolg – im vergangenen Jahr ist die Zahl der Asylgesuche um 34 Prozent zurückgegangen. 34 Prozent! Wir sind immer offen dafür, mit der Opposition zu sprechen. Allerdings hat Herr Merz jedes Gespräch nach kürzester Zeit abgebrochen. Das ist nicht seriös. Stattdessen hat er Vorschläge gemacht, die gegen das Grundgesetz und die Europäischen Verträge verstoßen und nicht einmal von seinen CDU-Ministerpräsidenten mitgetragen werden.
Die letzte Koalition ist gerade erst gescheitert. Wie wollen Sie sicherstellen, dass der nächste Anlauf funktioniert und die Parteien nach der Wahl konstruktiv zusammenarbeiten? (Rita Hämig-Gath, Brühl)
Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die SPD wieder die stärkste Partei wird. Aus meiner ersten Amtszeit habe ich klare Schlüsse gezogen: Ich hätte früher auch öffentlich auf den Tisch hauen müssen. Hinter verschlossenen Türen habe ich das natürlich getan. Nun ist klar geworden, es reicht nicht nach erfolgreichen Kompromissen die Ergebnisse zu verkünden und bis dahin – öffentlich still – den Laden zusammenzuhalten. Wenn Kompromisse zu lange dauern, muss der Kapitän wohl irgendwann auch öffentlich sagen: So geht das nicht. Und gleichzeitig gilt immer: Man muss verhandlungs- und kompromissfähig sein in einer Demokratie, jeder von uns, sonst kommt nichts voran.
Würden Sie in eine Regierung Merz eintreten? (Redaktion)
Ich kämpfe dafür, dass die SPD einen Regierungsauftrag bekommt. Und ich bewerbe mich erneut um das Kanzleramt – und sonst um nichts.
Nach China, Mexiko und Kanada drohen auch der EU US-Strafzölle. Wie bereitet sich Ihre Regierung darauf vor? (Redaktion)
Die Europäische Union ist ein Wirtschaftsraum mit 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern – allein daraus erwächst Macht und Einfluss. Für mich ist ganz klar: Die Weltwirtschaft braucht weniger Handelshürden und nicht mehr. Protektionismus und Zölle schaden allen. Deshalb werden wir im Gespräch mit unseren amerikanischen Freunden immer wieder für unseren Standpunkt werben und auf die Vorteile guter Handelsbeziehungen hinweisen. Im Falle eines Falles wird die EU-Kommission sehr schnell und entschlossen reagieren.
Ein Leser schrieb uns: „Ich habe Angst vor einem Amerika unter Trump.“ Sie auch? (Redaktion)
Die USA sind das mächtigste Land und die mächtigste Demokratie der Welt. Die USA sind unser Verbündeter seit vielen Jahrzehnten und die USA haben Deutschland nach der furchtbaren Barbarei des NS-Faschismus die Rückkehr zur Demokratie ermöglicht. Das sollten wir nicht vergessen. Und deshalb ist unsere Politik langfristig immer darauf gerichtet, gute Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu haben und dafür zu sorgen, dass sie uns als wichtigster Verbündeter erhalten bleiben. Gleichzeitig müssen wir unsere Angelegenheit als Deutsche und Europäer selbst regeln und uns auf unsere Stärke verlassen.
Warum reduzieren Sie die Waffenlieferungen an die Ukraine, die den Krieg zu verlieren droht? (Detlev Sachse, Köln)
Deutschland ist zuverlässiger Partner der Ukraine und nach den USA der mit Abstand stärkste Unterstützer der Ukraine. Wir haben allein 28 Milliarden Euro an Militärhilfen geliefert bzw. liefern noch. Zusätzlich haben wir im Rahmen der G7, der wirtschaftsstarken Demokratien, einen Kredit von 50 Milliarden Dollar für die Ukraine aufgebracht. Der aktuelle Streit dreht sich jetzt um die Frage, ob wir darüber hinaus weitere drei Milliarden Euro zusätzlich ausgeben. Ich bin dafür – wenn die Gegenfinanzierung gesichert ist. Die Koalition ist im November auch an der Frage zerbrochen, wie wir unseren Haushalt aufstellen. Meine Sicht ist klar: Die höheren Kosten für Verteidigung und für die Unterstützung der Ukraine dürfen nicht zu Lasten unserer Infrastruktur, stabiler Renten, einer guten Gesundheitsvorsorge und verlässlicher Pflege gehen. Das muss zusammen gehen. Sonst verlieren wir womöglich die öffentliche Unterstützung für unsere Ukraine-Politik hier bei uns. Ich setze mich deshalb dafür ein, dass die Ukraine-Mittel (mindestens 12,5 Mrd. Euro in diesem Jahr plus die besagten 3 Mrd. Euro) gesondert im Haushalt behandelt werden, mit einem so genannten Überschreitensbeschluss, den die Schuldenbremse für einen solchen Fall ausdrücklich zulässt. Das können wir uns leisten. Denn alle anderen G7-Staaten haben eine Staatsverschuldung von mehr als 100 Prozent zu ihrer Wirtschaftsleistung, unsere liegt um die 60 Prozent.
Wie gedenken Sie, das Ende des Krieges zwischen Russland und der Ukraine zu beschleunigen?" (Margret Schmitz, Pulheim)
Das Wichtigste ist, dass wir alle – die USA eingeschlossen – signalisieren: Wir werden die Ukraine weiter unterstützen. Das ist die Botschaft, die Wladimir Putin jetzt hören muss. Er kann nicht darauf setzen, dass unsere Verteidigung nachlässt. Auf dieser Basis muss alles für eine diplomatische Lösung getan werden, die kein Diktatfrieden sein und nicht über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg entwickelt werden darf. Die Aussichten sind – trotz des unverändert brutalen Vorgehens Russlands in der Ukraine – nicht so schlecht. Putin hat auch nach drei Jahren Krieg die Ukraine nicht in die Knie gezwungen. Er wollte die Nato weiter weg von Russland haben. Nun ist sie näher herangerückt, hat mit Finnland und Schweden zwei neue Mitglieder hinzugewonnen und alle geben mehr für Verteidigung aus. Putin wollte ein Marionetten-Regime in Kiew installieren, stattdessen ist die Ukraine eine stabile Nation auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Putin wollte eine demilitarisierte Ukraine, im Moment sind es gut eine Million ukrainische Soldaten. All das ist die Grundlage dafür, dass jetzt ein Frieden erreicht werden kann – vor allem in Gesprächen der Ukraine mit Russland. In meinen Telefonaten mit dem US-Präsidenten habe ich den Eindruck gewonnen, dass das dort ähnlich gesehen wird.
Uns haben Leserzuschriften erreicht wie die von Annelie Johannemann aus Köln, in denen gefragt wird „Herr Scholz, wo bleibt die Vermögenssteuer?“ oder „Man hört gar nichts mehr von der Finanztransaktionssteuer“. In einer etwaigen Koalition mit der Union wären Sie weiter von der Verwirklichung solcher Ideen entfernt denn je. (Redaktion)
Unser Steuerkonzept konzentriert sich darauf, 95 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu entlasten. Dafür wollen wir das obere eine Prozent, die Top-Verdiener, etwas stärker an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligen. Wichtig ist, dass wir unsere Wirtschaft wieder in Schwung bringen, nachdem die Weltkonjunktur so schwächelt. Dafür haben wir drei Ideen. Um Investitionen in moderne Technik und Maschinen zu fördern, soll es – erstens – den „Made-in-Germany-Bonus“ geben, eine Steuerprämie, die unbürokratisch und zielgenau den Unternehmen hilft; selbst denen, die gerade keine Gewinne machen. Zum zweiten wollen wir den Bau von kommunalen Wohnungen, Energienetzen und Stromautobahnen erleichtern mit einem Deutschlandfonds, der öffentliches und privates Kapital sammeln kann. Und, drittens, sollten wir die Schuldenregel modernisieren, um mehr Spielraum im Haushalt zu haben, um die nötigen Ausgaben für unsere Sicherheit und die Verteidigung zu stemmen.
Die Vermögenssteuer ist eine Steuer, die den Ländern zugutekommt, insofern müsste sie gemeinsam mit den Ländern gesprochen werden.
Die Politik fordert immer, dass die Bürger mit der Politik in den Austausch gehen sollen. Wenn man dies bei Ihnen mit der auf der Seite des Bundestags genannten E-Mail-Adresse versucht, bekommt man trotz dreimaligen Anschreibens keine Antwort. Bitte erklären Sie mir das. (Manfred Pesch, Frechen)
Auf diesem Weg erreichen mich mehrere hundert E-Mails in der Woche und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen nicht immer hinterher, die alle zu beantworten. Wenn sie mit mir als Bundeskanzler in Kontakt treten wollen, gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten: Neben den Kanzlergesprächen und Bürgerdialogen vor Ort gibt es auch den Bürgerservice der Bundesregierung, an den man sich bei Fragen oder Anregungen wenden kann. Dort kümmern sich wunderbare Kolleginnen und Kollegen darum, die E-Mails zu beantworten. Und es gibt das Infotelefon der Bundesregierung unter 030/18 272 2720 von Montag bis Donnerstag von 9 bis 12 Uhr und 14 bis 17.00 Uhr sowie freitags von 9 bis 12 Uhr und 14 bis 16:30 Uhr. Insgesamt bitte ich da um etwas Geduld. www.bundeskanzler.de/bk-de/service/kontakt/kontakt-formular
Sind mehr als fünf Millionen Beschäftigte im öffentlichen Dienst – davon ein Drittel Beamte – bei insgesamt 46 Millionen Erwerbstätigen noch zeitgemäß? Stichwort: Digitalisierung der Verwaltung (Jens Schmieja, Pulheim)
Deutschland hat eine gute Verwaltung, und gleichzeitig müssen wir verstärkt auch auf Digitalisierung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) setzen. Da sind wir oft noch etwas zögerlich. Unsere Forschung im Bereich der KI ist Weltspitze. Jetzt muss es darum gehen, die Ergebnisse auch in die Praxis zu bringen. Das ist die nächste große Wachstumsressource auch für den Abbau der Bürokratie. Donald Trump hat eine große KI-Initiative angekündigt. Die Chefs dreier KI-Unternehmen kündigten hohe Investitionen an, ohne öffentliches Geld. Und da ist schon die Frage: Warum investiert der europäische Kapitalmarkt nicht bei uns in ähnliche Projekte, obwohl hier genauso viel Kapital existiert? Eine Untersuchung hat aufgezeigt, in Europa gibt es 140 „Unicorns“, also Unternehmen mit Umsätzen von einer Milliarde und mehr. Etwa 40 sind danach in die USA abgewandert – nicht, weil die US-Behörden sie subventioniert hätten, sondern weil sie dort besseren Zugang zum Kapitalmarkt erhalten. In Europa brauchen wir endlich die Kapitalmarktunion, damit die Unternehmen risikoreichere Geldanlagen auflegen und die nötigen Investitionen für ihr Wachstum organisieren können.
Die SPD ist für die Stabilisierung der Rente. Wie kann das aber bei der demografischen Entwicklung geleistet werden, ohne die Beitragssätze weiter zu erhöhen? (Mathias Brandt, Köln)
Es wird Sie überraschen: Die Beiträge zur Rentenversicherung sind heute niedriger als zum Ende der Regierungszeit von Helmut Kohl 1998. Sie werden auch in den 2030er Jahren nicht so hoch sein, wie es uns seinerzeit schon für heute prognostiziert worden ist. Und warum? Heute haben wir die höchste Zahl von Erwerbstätigen in der Geschichte Deutschlands: 46 Millionen und damit sechs Millionen mehr Arbeitskräfte als um die Jahrtausendwende. Für die Zukunft gilt also: Wenn wir unser Rentensystem, unser soziales Sicherungssystem und unseren Wohlstand stabilisieren und verbessern wollen, müssen wir alles aus unserem Land herausholen: Gute Chancen für die jungen Leute, familienfreundlichere Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt, so dass nicht so viele Eltern in Teilzeit arbeiten müssen, weil sie sonst nicht wissen, wie sie das mit der Kinderbetreuung außerhalb von Kita und Schule hinkriegen sollen. Wir brauchen auch bessere Chancen für Menschen mit Mitte 50, Anfang 60, einen neuen Job zu finden. Und wir brauchen weiterhin fleißige Leute aus anderen Ländern. Dazu haben wir die nötigen Voraussetzungen geschaffen.
Bitte erklären Sie, wie in Zukunft die pflegerische und medizinische Versorgung finanziert und durch genügend Personal gesichert werden kann, damit auch die „Babyboomer“ im Alter versorgt sind. Ich bin 63 Jahre alt, habe 44 Jahre in der Pflege gearbeitet und mache mir Sorgen. (Sabine Gerick, Pulheim)
Das sind mehrere wichtige Fragen. Zunächst zur Finanzierung: Ich bin gegen Leistungskürzungen – weder bei der Rente noch im Bereich Gesundheit und Pflege. Für die Pflege brauchen wir einen Kostendeckel, damit niemand Angst haben muss, im Alter auf Pflege angewiesen zu sein und sie nicht finanzieren zu können. Im Gesundheitssystem müssen wir effizienter werden. Im Pro-Kopf-Verhältnis von Pflegebedürftigen und Pflegekräften liegen wir in Deutschland oft besser als in anderen Ländern.
Allerdings nutzen wir die vorhandenen Möglichkeiten nicht klug genug, weil Pflegekräfte zu viel Zeit für Bürokratie aufbringen müssen. Zudem brauchen wir mehr Solidarität unter den Kassen und Versicherungsarten. Wer als Single monatlich 5000 Euro verdient, finanziert die Krankenversicherung des alleinerziehenden Vaters mit drei Kindern mit, der mit einem geringen Einkommen – sagen wir 2000 Euro – geringere Versicherungsbeiträge zahlt. Wer 8000 Euro im Monat verdient und nicht in der gesetzlichen Krankenkasse ist, hat mit dieser Solidarität nichts mehr zu tun. Das sollten wir ändern.
Neben der Finanzierung sprechen Sie auch die Personalnot im Pflegesektor an. Wie löst man die? Mit guten Löhnen und mitarbeiterfreundlichen Angeboten, die den Pflegeberuf attraktiver machen. An der Bezahlung haben wir bereits etwas verändert – durch den Mindestlohn im Bereich Pflege. Einrichtungen, die nicht nach Tarif zahlen, werden nicht mehr refinanziert. Das hat Bewegung ausgelöst. Pfleger/Pflegerin muss ein Beruf sein, der entlang der hohen beruflichen Anforderungen bezahlt wird.
In Deutschland hängt 20 Jahre nach Pisa der Bildungserfolg eines Kindes immer noch maßgeblich vom Elternhaus ab. Die Schulgebäude sind marode, es fehlen Tausende Lehrerinnen und Lehrer. Bildungsexperten konstatieren: Die Schule brennt! Welche Lösungen würden Sie forcieren, um in Deutschland für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen und die Zukunftskompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu fördern? (Désirée Frese, Köln)
Dazu zwei Antworten. Ich war als Erster Bürgermeister schon einmal für Bildung zuständig und habe in Hamburg das gemacht, was ich für richtig halte: Ganztagsangebote von der Krippe bis zum Abitur. Kleine Klassen und Gruppen. In jeder Regelschule kann man das Abitur als höchsten Schulabschluss erwerben. Die Leistungen werden untereinander verglichen, damit man weiß, welchen Schulen man helfen muss. In Krippen und Kitas ist das Kernangebot gebührenfrei. Das ist längst nicht überall in Deutschland so. Zur Unterstützung der zuständigen Länder und Kommunen haben wir im Bund verschiedene Programme aufgelegt: ein Ausbauprogramm für die Kitas, ein Kita-Qualitätsprogramm, ein Programm zur Bausanierung und Digitalisierung der Schulen, ein Programm für Schulen in Quartieren, in denen die Bildungsvoraussetzungen der Eltern einen zusätzlichen Einsatz für Chancengleichheit erfordern. Und wir haben ein Gesetz beschlossen zum Ganztag in der Grundschule, der bis 2030 überall in Deutschland flächendeckend gelten soll.
Wie sollen Eigenheimbesitzer die erhöhte Grundsteuer, den Umstieg auf neue Heizungen, nachträgliche zusätzliche Isolierungen und dann noch die freigegebene CO2-Steuer bezahlen? Wovon sollen Rentner, die keinen Kredit mehr bekommen, dies bezahlen? (Eckhart Lissek, Bergheim)
Die Grundsteuer fließt allein den Städten und Gemeinden zu. Oft ist sie ihre wichtigste Einnahmequelle. Die Steuer musste reformiert werden, weil das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil entschieden hatte, dass in einer Gemeinde zwei Grundstücke, die gleich viel wert sind, nicht unterschiedlich hoch besteuert werden dürfen. Bei der Reform der Grundsteuer hatten die Städte und Gemeinden zugesagt, ihre individuellen Hebesätze so zu nutzen, dass sie aus der Steuer keine größeren Mehreinnahmen erwirtschaften: Also die Gesamteinnahmen einer Stadt aus der Grundsteuer sollen etwa gleichbleiben. Es liegt in der Natur der Sache, dass aufgrund der Neubewertung einige mehr, andere aber weniger zahlen müssen. Und es liegt in der Verantwortung der Kommunen, es so zu gestalten, dass alle damit zurechtkommen.
Zu Ihrer Frage zur Heizung sage ich offen, der Entwurf für das Heizungsgesetz ist ziemlich vergurkt gewesen, das habe ich dem zuständigen Minister Robert Habeck auch klar gesagt. Die öffentliche Debatte hätten wir uns ersparen können, wenn es deutlich pragmatischer und weniger ideologisch angegangen worden wäre. Die gute Nachricht: Das Gesetz ist jetzt gut. Es besagt letztlich, wer bis 2045 eine neue Heizung braucht, muss dann handeln und erhält dafür sogar Fördermittel. Wessen Heizung funktioniert, für den besteht erstmal gar kein Handlungsbedarf. Mit Blick auf Bürger mit niedrigem Einkommen, zum Beispiel oft Rentnerinnen und Rentner habe ich im Übrigen durchgesetzt, dass auch ihre Belange bei der Kreditfinanzierung über ein KfW-Programm berücksichtigt werden. Niemand wird überfordert.
Wann deaktivieren Sie Ihren X-Account? (Gernot G. Hermann, Köln)
Den Ärger über X und seinen Eigentümer kann ich verstehen, aber ich habe aktuell nicht vor, den Account aufzugeben. Als Bundeskanzler will ich da präsent sein, wo sich Bürgerinnen und Bürger informieren.
Ich bin 19 Jahre alt und lebe mit Trisomie 21. Ich habe große Sorge, dass mit dem Erstarken rechter Parteien die Bemühungen um Inklusion wieder abgewickelt werden, wie das zurzeit in den USA passiert. Wird Ihre Partei zur UN-Behindertenrechtskonvention über die Teilhabe von Menschen mit Behinderung stehen, diese verteidigen und weiterentwickeln? (Jonas und Hubertus Halbfas, Bergisch Gladbach)
Sie können sich auf mich verlassen – und auf viele andere: Wir setzen uns ein für Gleichstellung, für gute Bedingungen von Menschen mit Behinderung und für Inklusion. Als Bundesarbeitsminister habe ich im Jahr 2009 die Behindertenrechtskonvention in Deutschland anerkennen lassen. Die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, ob mit oder ohne Behinderung, sagt viel über unsere Gesellschaft aus. Sie gehören zu uns und niemand darf Sie ausgrenzen.