Hat die FDP gezielt auf den Bruch der Ampel-Regierung hingearbeitet? Die Liberalen bestreiten das. Ein internes Papier lässt andere Deutungen zu.
Einer „gewaltigen Lüge“ überführtHeftige Kritik wegen „D-Day“-Papier – FDP-Spitze in Erklärungsnot
Ein detailliertes Papier der FDP zum Ausstieg aus der Ampel-Koalition bringt die Parteiführung in Erklärungsnot. Die FDP hatte das achtseitige Dokument im Stil einer Powerpoint-Präsentation am Donnerstag selbst veröffentlicht, nachdem das Nachrichtenportal „Table.Briefings“ bereits darüber berichtet hatte. Man habe „nichts zu verbergen“, hieß es in einem Statement.
Zuvor hatte eine Recherche der „Zeit“ schon große Diskussionen über Ursachen und Urheber des Koalitionsbruchs ausgelöst. In mehreren Treffen der engsten FDP-Führung wurden demnach seit Ende September Szenarien für ein Ende der Koalition durchgespielt.
FDP: Strategiepapier beschreibt Ablaufszenarien zum „D-Day“
Das nun veröffentlichte FDP-Papier stieß nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen der Wortwahl auf Kritik. In dem Dokument taucht der durch den Zweiten Weltkrieg historisch vorgeprägte Begriff „D-Day“ mehrfach auf – als Synonym für den möglichen Zeitpunkt zum Ausstieg aus der gemeinsamen Regierung mit SPD und Grünen.
Kritik und Spott gab es in sozialen Medien für das vielfach geteilte Bild einer „Ablaufpyramide“ aus dem Dokument. Darin werden die vier verschiedenen „D-Day“-Phasen vom ersten „Impuls“ - einem Presse-Statement des Parteivorsitzenden Christian Lindner - bis hin zum „Beginn der offenen Feldschlacht“ genannt.
Kritik an Strategiepapier kommt auch aus der eigenen Partei
In Berlin sorgte die Veröffentlichung des Papiers für teils heftige Kritik – auch aus den eigenen Reihen. FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann schrieb auf X, angesichts der Situation in der Regierung sei es zwar richtig gewesen, sich mit Ausstiegsszenarien auseinanderzusetzen.
Aber: „Die Wortwahl ist der Sache nicht dienlich, eine Verschriftlichung mit dieser Tonalität nicht nachvollziehbar.“ Sie forderte Selbstkritik und Aufarbeitung.
FDP-Generalsekretär muss sich korrigieren
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai – der in einem Fernsehinterview vor über einer Woche mit Blick auf damalige Medienberichte über die „D-Day“-Formulierung betont hatte, dass „dieser Begriff nicht benutzt worden“ sei – ruderte in der „Welt“ nun zurück. Das Papier sei auf Ebene der Mitarbeiter entstanden. „Niemand aus der Führung der FDP kannte das Papier“, so Bijan Djir-Sarai. Einen Grund zurückzutreten, sehe er nicht.
SPD fordert Entschuldigung
Bei den früheren Koalitionspartnern löste das Papier Empörung aus. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch warf der FDP-Führung vor, die Öffentlichkeit wiederholt getäuscht zu haben und forderte eine Entschuldigung von Lindner. Miersch sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), es sei „zynisch“, dass die FDP für den Zeitpunkt des Ampel-Bruchs in ihrem Papier das Wort „D-Day“ benutzt und den nachfolgenden Wahlkampf als „offene Feldschlacht“ bezeichnet habe.
SPD-Chef Lars Klingbeil befand: „Es ist gut, dass langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein Bild machen können.“ Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann äußerte ebenfalls Kritik auf X: „Ein Parlament ist kein Schlachtfeld, und das Ringen um die besten Ideen und Konzepte gehört zu unserer lebendigen Demokratie. Diese FDP sollte keine Verantwortung für unser Land übernehmen.“
Die ehemalige Bundesvorsitzende von den Grünen, Ricarda Lang, bezeichnete das Ringen mehrerer FDP-Politiker um Erklärungen für das Papier als „peinlich“. „Wer Politik nur noch als Schlachtfeld begreift und als einziges verbleibendes Ziel Destruktion zum eigenen Nutzen hat, sollte keine politische Verantwortung tragen“, schrieb die 30-Jährige auf X.
Politologe Albrecht von Lucke sagte beim Sender ntv, die FDP sei bei einer „gewaltigen Lüge“ überführt worden. Die Liberalen hätten mit der Veröffentlichung des Papiers die Flucht nach vorne angetreten, dies sei der Versuch, den „Skandal“ herunterzuspielen. „Alles, was die FDP jetzt tut, um das zu leugnen, ist regelrecht albern“, befindet der Politikwissenschaftler.
FDP spricht von „Vorbereitung auf Szenarien“
Im nun veröffentlichten Papier ist zum Beispiel davon die Rede, dass der „ideale Zeitpunkt“ für einen „avisierten Ausstieg“ aus der Koalition zur Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November liegen könnte. Am 6. November kam es tatsächlich zum Bruch des schon lange kriselnden Bündnisses – indem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses FDP-Chef Lindner als Finanzminister entließ.
Die Neuwahl des Bundestags ist für den 23. Februar nächsten Jahres geplant. Die FDP steht in Wahlumfragen derzeit bei drei bis vier Prozent, also knapp unter der Einzugshürde von fünf Prozent – und könnte somit den Wiedereinzug ins Parlament verpassen. (pst/dpa)