Die SPD will einen Aufbruch mit einer „Sozialdemokratie, die den Kampf aufnimmt“. Dazu gehören höhere Erbschaftssteuer und Abgaben für Reiche. Der Druck auf Scholz ist hoch.
ParteitagNach zwei Jahren Ampel wieder SPD pur – auf dem Papier
Vor zwei Jahren war der 8. Dezember für Olaf Scholz eindeutig angenehmer. Die Christdemokratin Angela Merkel übergab dem Sozialdemokraten das Kanzleramt und wünschte dem „lieben Herrn Bundeskanzler“ eine „immer glückliche Hand für unser Land“. Auch wenn er es schon wusste, gab sie ihm mit auf den Weg, dass Politik nicht anderes bedeute, als morgens aufzustehen und nicht zu wissen, was bis zum Abend passiert - und es immer ganz neue Herausforderungen gebe. „Es soll ein guter Aufbruch für unser Land werden. Ich will jedenfalls alles dafür tun“, versprach Scholz damals. Er hatte es geschafft, die SPD nach 16 Jahren wieder an die Macht zu bringen.
An diesem Freitag, wieder ein 8. Dezember, kommt die SPD zu ihrem ersten Präsenzparteitag nach der Pandemie zusammen. „Ein „denkwürdiger Moment“, sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Denn es es ist auch Halbzeit. Zeit für eine Bilanz der Arbeit der Ampel-Regierung. Die fällt für Scholz einigermaßen düster aus. Und der Druck auf ihn ist hoch.
Noch nie stand eine Kanzlerpartei in Umfragen so schlecht da wie seine SPD mit unter 20 Prozent. Die Partei hätte sich gewünscht, sie hätte nur das Corona-Virus bekämpfen müssen, was 2021 noch eine der großen Probleme darstellte. Aber dann überfiel Russland die Ukraine. So etwas steht in keinem Koalitionsvertrag. Die neue Koalition wusste an so gut wie keinem Morgen, was bis zum Abend geschieht. Obendrein zerlegte sie sich beinahe beim Heizungsgesetz und der Kindergrundsicherung und wurde im November vom Bundesverfassungsgericht wegen finanztechnischer Fehler für ihren Nachtragshaushalt 2021 abgestraft. Deshalb sollen im Haushalt 2024 noch schnell schätzungsweise 17 Milliarden Euro eingespart und womöglich die Schuldenbremse erneut ausgesetzt werden.
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Einschnitte ins Sozialsystem
Ausgerechnet vor ihrem Parteitag müssen sich die 600 Delegierten mit dem Gedanken befassen, dass auch die SPD eine Kröte schlucken muss, wenn die FDP sich bei ihrem Steckenpferd Schuldenbremse bewegt und die Grünen bei der Kindergrundsicherung. Und das heißt: Einschnitte ins Sozialsystem. Dabei soll der SPD-Parteitag genau das Gegenteil signalisieren. Kühnert mahnt: Es werde keinen Haushalt 2024 geben, in dem der Sozialstaat gestrichen werde. Von Streichung ist allerdings auch nicht die Rede. Aber von Einsparungen. Die FDP zielt auf das Bürgergeld, das inzwischen 3,9 Millionen Menschen bekommen, die als erwerbsfähig gelten.
Die Erwartung der Partei an Olaf Scholz ist aber, dass er als Sozialdemokrat im Kanzleramt den Sozialstaat verteidigt. Der 65-Jährige wird an diesem Samstag auf dem Kongress in Berlin sprechen. Das ist für die Partei, die ihn im Fernsehen überall auf der Welt sieht, aber eben nicht vor „der roten Wand der SPD“ etwas Besonderes. Es wird erwartet, dass er seine Sicht auf „die sozialdemokratische Bewegung“ darlegt. Kühnert gibt die Stimmung so wieder: Es herrsche ein großes Bedürfnis, „vom Reagieren ins Agieren“ zu kommen. Die SPD wolle wieder „proaktiv“ werden. .
Da schwingt der Unmut mit, dass die SPD im Sinne des Koalitionsfriedens mit FDP und Grünen in den vergangenen zwei Jahren oft geschwiegen hat. Nun soll es mit Anträgen zu Industriepolitik, Modernisierung, Finanzpolitik, Bildung, Innenpolitik und Migration eine Vorstellung von „SPD pur“ geben - als Grundlage für das Programm für den Bundestagswahlkampf 2025. So war das auch 2019, als sie die Erhöhung des Mindestlohns forderten, damit 2021 Wahlkampf machten und es dann auch in der Regierung umsetzten.
SPD-Anträge bergen Potenzial für Provokation der FDP
Die SPD-Anträge bergen aber das Potenzial für Provokation der FDP. So wird etwa die Reform der Einkommens-, Erbschaft- und Schenkungssteuer sowie auch der Schuldenbremse gefordert. Superreiche sollen zusätzlichen eine temporäre Krisenabgabe und eine Zukunftsabgabe zahlen.
Die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil stellen sich an diesem Freitag zur Wiederwahl. An ihren Ergebnissen kann Scholz die Temperatur messen, wie hitzig es bei seinem Auftritt zugehen könnte. Maßgebend wird sein, wie weit die Koalitionäre bei den Haushaltsverhandlungen kommen. Es heißt, es werde in diesem Jahr noch eine Einigung zum Bundeshaushalt 2024 geben. Fraglich ist, ob noch Zeit für Beratung in Bundestag und Bundesrat sein wird. Die SPD hofft darauf, dass sich wenigstens das Kabinett vor Weihnachten einigt, damit alle beruhigt in die Feiertage gehen können und sich die Koalitionäre nicht via Medien streiten.
Es hört sich wie eine sanfte Warnung an, wenn Kühnert sagt, alle sozialpolitischen Streitfragen kämen wieder an die Oberfläche. Und: „Wir werden eine Sozialdemokratie erleben, die den Kampf aufnimmt und kampfbereit sein wird.“