Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Pro und ContraSoll der Heizpilz in der Gastronomie erlaubt werden?

Lesezeit 5 Minuten
heizpilze_dpa

In diesem Herbst und Winter sollen Heizpilze in der Gastronomie erlaubt sein. Das fordert der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga.

  1. Die Klimabilanz von Heizpilzen ist verheerend, ihre Nutzung an vielen Orten verboten. In diesem Herbst und Winter könnten sie aber wieder zum Einsatz kommen.
  2. Wegen der Corona-Krise bangen viele Betriebe um ihre Existenz. Die Heizpilze sollen den Sommer in der Gastronomie verlängern.
  3. Ist die Ausnahmeregelung notwendig? Oder eine Absage an den Klimaschutz? Ein Pro und Contra.

Pro: „Ein Verbot der Heizpilze zerstört Arbeitsplätze und Unternehmen“ (Thorsten Breitkopf)

Die Luft im Freien  in der Winterzeit auf Innentemperatur hoch zu heizen, ist sicherlich keine dauerhaft praktikable Idee. Die Energie der ineffizienten Strahler vor den Lokalen wäre woanders besser verwendet. Grundsätzlich muss man einen Weg finden, ohne die klimaschädlichen Heizpilze auszukommen. Doch wie bei allen Verboten gilt es, nach der Verhältnismäßigkeit zu fragen. Ist ein Verbot von Heizpilzen, die wohl verglichen mit Auto, Flugzeug, und Kohlestrom einen eher vernachlässigbaren Anteil an den CO2-Emissionen unserer Gesellschaft haben, zum jetzigen  Zeitpunkt vertretbar? Ich sage klar nein.

Wir befinden uns mitten in der schwersten wirtschaftlichen Krise in der Geschichte der Bundesrepublik. Fast alle Branchen haben unter dem Corona-Shutdown gelitten. Manche mehr, manche weniger, manche am meisten. Und genau letzteres trifft auf die Gastronomie zu. Sie krachte bei laufenden Kosten und Mieten auf einen Null-Umsatz. Der Handel auch, doch  dort gibt es Nachholeffekte. Oder  gehen Sie jetzt sechs statt drei Bier trinken und  bestellen zwei Schnitzel, weil Sie im Frühjahr keines essen konnten? Wahrscheinlich nicht. Die Gastronomie kennt keine Nachholeffekte. Sie ist massiv in ihrer  Existenz bedroht. Die Saison mit einer Ausnahme bei der Genehmigung von Heizstrahlern zu verlängern, ist das Gebot der Stunde und eine kleine Chance, die Katastrophe zu mildern.

Das könnte Sie auch interessieren:

Auch andere Branchen sind existenziell bedroht. Doch in keinem Segment arbeiten anteilig so viele Menschen im Niedriglohnbereich wie in der Gastronomie. Diese soziale Schicht – teils Ungelernte, Studenten oder Eltern in Teilzeit – würden von einer Insolvenz ihres Arbeitgebers angesichts  mangelnder Finanzpolster viel härter getroffen als andere Arbeitnehmer. Unter diesem Blickwinkel wäre ein Verbot der Heizpilze im Herbst 2020 schlicht unsozial. Ein zweiter Punkt ist die Hygiene in Corona-Zeiten. Woche für Woche erklären uns die Virologen, dass der Aufenthalt im Freien die beste Lösung ist, die Ausbreitung einzudämmen. Und jetzt  sollen wir uns an Wintertagen  wieder eng an eng in die warme Kneipe drängen? Das wäre gefährlich, unverantwortlich, und obendrein werden es viele nicht wagen. Aus Angst.  Die Lokale blieben leer.

Als Drittes kommt noch die psychische Gesundheit. Viele Menschen aller Generationen waren durch Corona wie eingesperrt. Psychologen verglichen Quarantäne und auch Kontaktverbot mit den Auswirkungen auf Menschen, wenn sie in die geschlossene Psychiatrie kommen. Heizpilze in der kalten und dunklen Zeit können das Gefühl der Isolation mindern und sind ein Mittel gegen die Einsamkeit. Wie in jedem Konflikt gilt es, die Argumente des Klimaschutzes gegen andere wichtige Anliegen abzuwägen. Heizpilze sind  CO2-Emittenten, die es grundsätzlich abzuschaffen gilt. Doch im Pandemie-Jahr 2020 ist es sozialer, ökonomischer und auch gesünder, dieses Verbot auf einen geeigneteren Zeitpunkt zu verschieben. Die Gastronomen, ihre Mitarbeiter und auch die Gäste brauchen eine Verlängerung der Außensaison so dringend wie nie.

Contra: „Deutschland hat versagt. DIe gewonnene Zeit ist eine Illusion“ (Eva Kunkel)

Der Heizpilz entscheidet nicht die Klimafrage. Aber wer sich dafür ausspricht, die Strahler in der Gastronomie in diesem Herbst und Winter zu erlauben, hat nicht verstanden, worum es geht. Er ist bereit, wissentlich den Karren weiter gegen die Wand zu steuern. Monate voll streikender Jugendlicher, Debatten und Reden, dass der Klimawandel die Herausforderung unserer Zeit ist. Es gab doch schon einen breiten Konsens. Bis wir auf Krisenmodus schalteten und die Weitsicht kurzfristigen Lösungen weichen musste. Alte Wege zu gehen, bei denen jeder weiß, dass sie in einer Sackgasse enden und all das mit einer Ausnahmesituation zu legitimieren, ist immer schlecht.

eisdiele_köln_corona_dpa

Der Besitzer einer Eisdiele in Köln säubert die Stühle seines Cafes. Etwa 60 Prozent der Betriebe bangen laut einer Umfrage des Gaststättenverbandes um ihre Existenz.

In der Gastronomie ist die Lage ernst. Nach einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, kämpfen etwa 60 Prozent der Betriebe um ihre Existenz. Der Verband ist daher für die Aussetzung des Verbotes von Heizpilzen. Aber: Die Klimabilanz der Strahler ist verheerend. Laut Umweltbundesamt ist das so: Wer einen Gas-Terrassenheizstrahler draußen eine Stunde in Betrieb nimmt, könnte mit der Energie einen gleich großen Innenraum drei- bis zehnmal so lange beheizen. Ein Strahler mit 14 kW Leistung erzeugt in acht Stunden 26 Kilogramm CO2 . Das entspricht dem Ausstoß eines mittelgroßen Autos auf 140 Kilometer Fahrtstrecke.

Außerdem sind die Anschaffungskosten für Heizstrahler hoch. Die Investition lohnt sich weder ökologisch noch ökonomisch. Viele Gastronomen verzichten deshalb sowieso. Und denken über Alternativen nach: Raumluftreiniger, Windschutzwände, Pavillons oder schlicht Wolldecken. Für den Klimaschutz. Sie agieren damit verantwortlicher und vorausschauender als Ministerpräsident Armin Laschet, der sich für die Zulassung von Heizpilzen ausgesprochen hat. Dabei würde eine verantwortliche Politik bedeuten: Sich klar gegen den Heizpilz auszusprechen und den Gastronomen mit Zuschüssen zu klimaneutralen Alternativen zu helfen. Die Entscheidung, ob Heizpilze in der Gastronomie eingesetzt werden dürfen, liegt bei den Kommunen. In NRW haben Wirte bisher nur in Lüdenscheid die Erlaubnis.

Umweltverbände wie der BUND warnen davor „die Coronakrise gegen die Klimakrise auszuspielen“. Das abenteuerlichste Argument der Pilz-Befürworter: Wir hätten in diesem Jahr viele Flugreisen gespart, die CO2 -Bilanz schaue deshalb gut aus. Die paar Heizpilze könnten wir uns also erlauben. Die Logik dahinter: Wenn schon die Flüge nach Thailand oder Mexiko ausgefallen sind, hauen wir dieses Jahr doch an anderer Stelle auf den Putz. Wer so denkt, meint es nicht ernst mit dem Klimaschutz. Er meint es nicht ernst damit, diese Erde zu retten.

Das Klimaziel für 2020 erreicht Deutschland nur wegen der Corona-Krise. Das als Argument heranzuziehen, um sofort wieder Dreck in die Atmosphäre zu blasen – so wie beim Verbrenner, der die Autoindustrie stützen soll – ist absurd. Deutschland zahlte über Jahre hinweg Strafen in Millionenhöhe, weil die EU-Grenzwerte für Treibhausgasausstoß überschritten wurden. Deutschland hat versagt. Und die vermeintliche Verschnaufpause, die gewonnene Zeit, ist eine Illusion.