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Reaktionen auf Ampel-Bruch„Es hat sich gezeigt: mit der FDP ist kein Staat mehr zu machen“

Lesezeit 5 Minuten
Christian Lindner und die FDP sind mit einem großen Knall aus der Ampelregierung ausgeschieden.

Christian Lindner und die FDP sind mit einem großen Knall aus der Ampelregierung ausgeschieden.

Die Ampelregierung ist Geschichte. Grüne und SPD machen Lindner persönlich verantwortlich, die Union hingegen Scholz.

Die Ampel-Koalition ist am Mittwochabend am seit Wochen währenden Streit um die Haushalts- und Wirtschaftspolitik zerbrochen. Christian Lindner weigerte sich während eines Koalitionsausschusses im Kanzleramt, erneut die Schuldenbremse auszusetzen, worauf Kanzler Olaf Scholz (SPD) seine Entlassung erklärte.

„Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert, parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Es gebe keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit, begründete Scholz seine bemerkenswerte Entscheidung und sprach von Egoismus.

Hendrik Wüst sagt wegen Ampel-Chaos Polenreise ab

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat angesichts der politischen Entwicklungen in Deutschland seine für Donnerstag und Freitag geplante Reise nach Polen verschoben. Die Reise soll möglichst zeitnah nachgeholt werden, hieß es in Düsseldorf. Angesichts der chaotischen Zustände innerhalb der Bundesregierung und den Folgen daraus habe die Lage in Deutschland „oberste Priorität“, hieß es in Regierungskreisen.

Die Reaktionen am Tag danach sind gekennzeichnet von gegenseitiger Schuldzuweisung.

Olaf Scholz entlässt Christian Lindner: Ampel-Regierung zerbrochen

Die Grünen-Fraktion erhebt schwere Vorwürfe gegen Christian Lindner (FDP). „Da hat ein Finanzminister seine Arbeit nicht gemacht“, sagte die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann am späten Abend in Berlin.

Christian Lindner (FDP) verlässt mit Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung, nach einem Fraktionstreffen in Folge seiner Entlassung durch den Bundeskanzler den Fraktionssitzungssaal.

Christian Lindner (FDP) verlässt mit Bettina Stark-Watzinger (FDP), Bundesministerin für Bildung und Forschung, nach einem Fraktionstreffen in Folge seiner Entlassung durch den Bundeskanzler den Fraktionssitzungssaal.

Die „Egoismen“ und die „destruktive Herangehensweise“ von Lindner seien dafür verantwortlich, dass man keinen gemeinsamen Haushalt hinbekommen habe. Ihre Co-Fraktionschefin Katharina Dröge bezeichnete es als „verantwortungslos“, dass die FDP Parteitaktik und kurzfristiges Kalkül in den Vordergrund gestellt habe.

Grüne kritisieren Verhalten von Christian Lindner

Vizekanzler Robert Habeck warf Lindner und seiner Partei vor, in den vergangenen Wochen einen Weg aus der Ampel-Koalition gesucht zu haben. In den ARD-„Tagesthemen“ verwies Habeck zur Begründung auf das Konzeptpapier des bisherigen Finanzministers Lindner zur Wirtschaftspolitik. Der Vizekanzler kritisierte das darin geforderte längere Festhalten an fossilen Energien und den Abbau sozialer Sicherungen. „Da können die sich nicht wundern, dass wir da, dass ich da nicht mitgehe“, betonte der Bundeswirtschaftsminister. Das habe man als Provokation empfinden müssen.

Habeck betonte, als Regierungsmitglied sei man nicht in erster Linie der Partei oder seinem persönlichen Ansehen verpflichtet. „Wir hätten nicht auf unsere Wahlprogramme und vielleicht die nächste Wahl schauen müssen, wie man das unterstellen muss“, sagte er in Richtung FDP. Parteikollege Anton Hofreiter befand, dass Deutschland nun besser dran sei, „als mit einem Minister Lindner, der die Realität ausblendet.“

Grünen NRW bezeichnen Lindner als „politischen Poker-Spieler“

Die Grünen NRW äußerten sich am Mittwochabend auf Nachfrage ähnlich. Zur Entlassung des Bundesfinanzministers durch den Bundeskanzler sagten Yazgülü Zeybek und Tim Achtermeyer, Landesvorsitzende der Grünen NRW, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Das ist kein guter Tag. Es hat sich gezeigt: mit der FDP ist kein Staat mehr zu machen. Lindner ist ein politischer Poker-Spieler. Aber das ist kein Spiel. Wer das so sieht, disqualifiziert sich fürs Amt.“

Die Grünen stünden auch in dieser Situation zu ihrer Verantwortung, innen- wie außenpolitisch, betonte die NRW-Doppelspitze der Grünen.

Union macht Kanzler Olaf Scholz für Scheitern der Ampel verantwortlich

Aus der Union kommen ebenfalls Vorwürfe, allerdings nicht primär gegen Lindner. Die Kölner Bundestagsabgeordnete Serap Güler macht vor allem Kanzler Olaf Scholz für das Scheitern der Berliner Ampelkoalition verantwortlich. „Bundeskanzler Scholz ist heute gescheitert. Die Bilanz nach drei Jahren unter seiner Führung ist erschütternd: eine historische Wirtschaftskrise, die Verdopplung der AfD und eine höchst verunsicherte Bevölkerung, die das Vertrauen in Politik und Staat verloren hat. Massiv gestiegen sind dagegen Staatsschulden und Bürokratie“, so die CDU-Politikerin gegenüber dieser Zeitung.

Auch die Kommunikation des Bundeskanzlers findet Güler inakzeptabel. „Das war heute Abend eine lang vorbereitete ‚Spontanrede‘ von Bundeskanzler Scholz. Aber wie kann man das Ende einer Koalition SO verkünden? Alle drei Statements trugen mehr Eitelkeit als staatspolitische Verantwortung in sich. Das war so unfassbar unstaatsmännisch und purer Wahlkampf. Bundeskanzler Scholz will bis März weitermachen. Warum mutet er diese lange Zeit unserem Land überhaupt zu? Klarheit könnte der Kanzler auch schneller haben.“

Nach Ampel-Aus: Serap Güler und andere Unionspolitiker fordern schnelle Neuwahlen

Güler fordert die Vertrauensfrage, und zwar „so schnell wie möglich“. Die CDU sei bereit für schnelle Neuwahlen. Scholz hatte zuvor am Mittwochabend angekündigt, der Bundestag solle erst am 15. Januar über eine Vertrauensfrage abstimmen.

Olaf Scholz sollte jetzt ohne Verzug die Vertrauensfrage stellen, damit wir zügig eine neue und voll handlungsfähige Regierung bekommen
Mathias Middelberg

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), forderte Scholz ebenfalls auf, möglichst rasch die Vertrauensfrage zu stellen. „Olaf Scholz sollte jetzt ohne Verzug die Vertrauensfrage stellen, damit wir zügig eine neue und voll handlungsfähige Regierung bekommen“, sagte der Fraktionsvize. Auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter betonte, es sei viel zu spät, wenn Scholz die Vertrauensfrage erst in zwei Monaten stelle. „Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung. Da kann die Vertrauensfrage nicht im Januar gestellt werden“, sagte er in den ARD-„Tagesthemen“.

Am Donnerstagvormittag zog CDU-Chef Friedrich Merz nach, er und die gesamte Unionsfraktion forderten den Kanzler auf, spätestens in der kommenden Woche die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen. Die Ampel-Koalition sei „gescheitert“, und damit sei die Legislaturperiode zu Ende, sagte Fraktionschef Merz nach einer Fraktionssitzung in Berlin. Merz schlug Neuwahlen für den Bundestag in der zweiten Januarhälfte vor. Zu Gesprächen mit dem Kanzler über eine mögliche punktuelle Zusammenarbeit sei die Union bereit.

Christian Lindner erhält Rückendeckung aus seiner Partei

Volle Rückendeckung erhielt Lindner nach dem Bruch der Ampel-Koalition hingegen von seiner FDP-Fraktion. Der Vorsitzende Christian Dürr sagte nach einer Sondersitzung der Abgeordneten, die Entscheidung Lindners, auf die Forderung von Scholz zu einem Aussetzen der Schuldenbremse nicht einzugehen, werde einstimmig unterstützt. Es habe dazu Beifall im Stehen gegeben.

Schwere Vorwürfe gab es von den Freien Demokraten an Scholz. Bundeskanzler Olaf Scholz hat weder die Kraft noch den Mut zu durchgreifenden Wirtschaftsreformen. In dieser Koalition ist die Wirtschaftswende unerreichbar – und einen Abstieg Deutschlands in das wirtschaftliche Mittelmaß werden wir Freie Demokraten niemals akzeptieren“, sagte Henning Höne, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion und der Freien Demokraten NRW am Mittwochabend dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

„Die fundamentalen Differenzen bei der Analyse der wirtschaftlichen Lage und den Maßnahmen zur Bekämpfung der Wachstumsschwäche waren nicht länger überbrückbar, ohne unsere eigenen Prinzipien aufzugeben“, begründet er den Bruch.

Christian Lindner wird am Donnerstag offiziell entlassen

Nach dem dramatischen Platzen der Ampel-Koalition werden am Donnerstag die Scherben zusammengekehrt. Der von Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem beispiellosen Zerwürfnis gefeuerte Finanzminister Christian Lindner erhält am Nachmittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Entlassungsurkunde.

Um einen fließenden Übergang zu gewährleisten, soll sofort anschließend Lindners Nachfolger oder Nachfolgerin die Ernennungsurkunde erhalten. Der Name soll schon feststehen, ist aber noch nicht öffentlich bekannt. Auch die Posten, die durch den angekündigten Rücktritt der anderen drei FDP-Minister frei werden, sollen möglicherweise schon heute neu besetzt werden – jeweils zwei von SPD und Grünen. (mit dpa)