„Reichsbürger“-ProzessPrinz Reuß bricht sein Schweigen und spricht viel über seine Familie

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Heinrich XIII. Prinz Reuß, Hauptangeklagter im Prozess gegen eine mutmaßliche „Reichsbürger-Gruppe“ sitzt zwischen seinen Verteidigern auf der Anklagebank. (Archivbild)

Heinrich XIII. Prinz Reuß, Hauptangeklagter im Prozess gegen eine mutmaßliche „Reichsbürger-Gruppe“ sitzt zwischen seinen Verteidigern auf der Anklagebank. (Archivbild)

Der Hauptangeklagte im Verschwörerprozess spricht hoch emotional – und vor allem über sich selbst.

Sie ist gekommen, um ihren Vater zu sehen, den Mann, den die Bundesanwaltschaft für einen Hochverräter hält. Sie ist kleingewachsen, trägt ein beiges Kleid mit schwarzen Sternen, und weil sie das Downsyndrom hat, ist nicht ganz klar, was sie von all dem versteht, was hinter der Scheibe im Gerichtssaal passiert, die vielen Verteidiger, die schwarzen Roben, die Justizbeamten in ihren Uniformen.

Aber was sie versteht, ist, dass ihr Vater zu ihr an die Scheibe kommt, geführt von zwei Beamten, dass er die Hände an die Scheibe legt, wie sie es auf der anderen Seite tut. Und dass ihm dabei die Tränen über das Gesicht laufen, das wird sie auch verstehen.

„Reichsbürger“-Netzwerk wollte Bundestag stürmen und neue Regierung aufstellen

Der Vater, das ist Heinrich XIII. Prinz Reuß, der Hauptangeklagte im größten Staatsschutzprozess der jüngeren Zeit in der Bundesrepublik. Insgesamt 26 Angeklagte stehen in drei Prozessen wegen Umsturzplänen in Frankfurt am Main, Stuttgart und München vor Gericht. Hier in Frankfurt, vor dem Oberlandesgericht, muss sich die Führungsriege jener Gruppe verantworten, die laut der Anklage Waffen für die Machtübernahme hortete, die Stürmung des Bundestags plante und schon mal eine neue Regierung aufstellte.

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In diesen Plänen war er als Vorsitzender des Rates vorgesehen, als neuer Herrscher: Der 72-jährige Frankfurter Immobilienunternehmer Prinz Reuß, in der Öffentlichkeit der Namensgeber der mutmaßlichen Gruppe. Bislang hat er beharrlich geschwiegen, auch gegenüber den Ermittlern. Aber jetzt, an diesem elften Prozesstag, spricht er zum ersten Mal selbst. Nicht über die Vorwürfe, wohl aber, wie es am Anfang in großen Prozessen üblich ist, zur Person, über sein Leben.

Prinz Reuß packt über seine Familiengeschichte aus

Wobei ihm das Sprechen zunächst einmal kaum gelingt. Immer wieder schluchzt er, stockt, setzt neu an. „Ich weiß nicht, was passiert ist“, sagt er, „ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen.“ Als sei er sich selbst ein Rätsel. Die emotionale Instabilität sagt nichts über seine Schuld oder Unschuld, sie macht einen Menschen nicht harmlos. Aber sie prägt tatsächlich seine Aussage. Und sie wirkt nicht gespielt.

Was er dann abliest, von vorbereiteten Zetteln, handelt vor allem von einem extrem ambivalenten Verhältnis zur eigenen Familie. Da ist einerseits der Stolz auf seine Vorfahren, auf seinen Adoptivurgroßvater, der 1918 abdankte, und auf seinen Adoptivgroßvater, Heinrich, den 45., der 1945 nicht mit der Familie von Thüringen nach Hessen flüchtet und in der sowjetisch besetzten Zone verschollen bleibt. Erschossen, verhungert, man wisse es nicht, sagt Reuß im Gerichtssaal. „Die Suche nach ihm“, dem Zurückgebliebenen, „hat unser Leben geprägt.“ Auch dabei schluchzt er.

Doch mehr noch ist die Familie offenbar ein Quell des Ärgers. Als er Ende der Achtzigerjahre eine gebürtige Iranerin heiratet, sind seine Verwandten strikt dagegen. „Ich durfte nur eine christliche Partnerin aus dem europäischen Adel heiraten, alles andere war streng verboten“, sagt er.

„Selbst die Tochter des Kaisers von China, wenn es ihn noch gegeben hätte, wäre nicht akzeptiert worden.“ Sie heiraten dennoch. „Aber der Widerstand der Familie hat unsere Ehe stark belastet.“

Ihn belaste die „familiäre Disharmonie“ bis heute, so Reuß

Auf der Ehe liegt auch sonst nicht nur Segen. So leidet der 1991 geborene Sohn lange unter der Ermordung eines engen Freundes, des Bankierssohns Jakob von Metzler im Jahr 2002. 2005 schließlich wird die Ehe geschieden, Heinrich XIII. Prinz Reuß erhält das Sorge- und Aufenthaltsrecht für beide Kinder, er ist fortan alleinerziehender Vater.

Der Bruch mit seiner eigenen Familie ist da längst offenkundig. Während er um die Rückgabe der verlorenen Ländereien und Gebäude kämpft, hätten sich seine Verwandten in den Neunzigerjahren günstig Grundstücke aus dem Treuhandbestand gesichert – und ihn in seinem Kampf alleingelassen. „Die familiäre Disharmonie“, sagt er, „belastet mich bis heute.“

Reuß weist alle Vorwürfe pauschal zurück

Das ist das Selbstbild des Heinrich Prinz Reuß: Er sieht sich als denjenigen, der sich aufopfert für seine Familie – und dem es niemand dankt. Und der deshalb auch das Recht hat, sich aller Mittel zu bedienen, auch der ungesetzlichen?

Die Anklage wirft Reuß vor, dass die Rückerlangung der alten Grundstücke sein Hauptmotiv gewesen sei, die Putschpläne voranzutreiben. Er soll sich auch bewusst gewesen sein, was ihm bei einer Verhaftung drohte. Doch die Vorwürfe weist er an diesem Tag nur pauschal zurück. „Ich kann die Dinge, die mir vorgeworfen werden, in der Sache nicht bestätigen“, sagt er. Und: „Natürlich lehne ich Gewalt ab, auch wenn mir durch die Anklage immer wieder das Gegenteil unterstellt wird“, beteuert er.

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